Schauplatz Berlin:Da lacht ja der Affe 

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Wie man im Medizinhistorischen Museum dem Gattungswesen Mensch begegnet und der bildenden Kunst in der Medizin. Außerdem kommt man auf Ideen für Weihnachtsgeschenke.

Von Lothar Müller

Nehmen wir an, Sie sind im Berliner Hauptbahnhof, und der Zug fällt aus, mit dem Sie die Stadt verlassen wollten. Soll ja vorkommen. Dann haben Sie Zeit gewonnen. Sie gehen zum Nordausgang, schlendern über die Invalidenstraße, lassen, obwohl es verlockend aussieht, das Museum für Gegenwartskunst im Hamburger Bahnhof links und den Humboldthafen rechts liegen, und schon sind Sie nach wenigen Minuten im Charitégelände. Dort erwartet Sie das Medizinhistorische Museum. Es ist ein guter Grund, den nächsten Zug auch gleich sausen zu lassen. Denn Sie können dort sich selbst begegnen, zwar nicht unbedingt sich selbst als Individuum, aber dem Gattungswesen, dem Sie angehören.

Rudolf Virchow, der das Museum 1899 als "Pathologisches Museum" eröffnete, begrüßt Sie persönlich. Als Geist schwebt er über seinem eigenen Arbeitszimmer in der 2007 eröffneten neugestalteten Dauerausstellung. Eine Fotografie zeigt, dass das Affenskelett, das oben auf dem Schreibtischaufsatz hockt und auf Menschenschädel herabblickt, denen sich ein Affenschädel zugesellt hat, auch in seinem historischen Arbeitszimmer hockte.

In einem Video wird der Affe aus Virchows Arbeitszimmer lebendig

Immer schon hat die Medizin die Kunst in ihren Dienst genommen, etwa die Kunst des Zeichnens, wie ein Blick in den anatomischen Atlas des Andreas Vesalius aus dem 16. Jahrhundert zeigt. Oder die Kunst der Wachsbildnerei wie in den Moulagen aus der Augenklinik der Charité, die Krankheitssymptome zeigen. Und die Instrumente der Ohrenspiegelung, Kehlkopfspiegelung und die Augenspiegel, die Hermann von Helmholtz 1850 entwickelte, wirken wie Zwitter aus Kunst und Wissenschaft.

In seinen Sonderausstellungen wird das Medizinhistorische Museum zum Museum für Gegenwartskunst. Bis Anfang April sind "mirror images. Spiegelbilder in Kunst und Medizin" zu sehen, und die Deutsche Bahn ist sicher bereit, Ihnen noch ein bisschen mehr Zeit für dieses Spiegelkabinett zur Verfügung zu stellen. In einem faszinierenden Video von Xavier Hubert-Brierre wird der Affe aus Virchows Arbeitszimmer lebendig und hat ein Schimpansenbaby auf dem Rücken, das zum ersten Mal in einen Spiegel schaut. Videokunst kann sehr langweilig sein, hier ist sie es nicht. In "Human Mirror" hat Charlie Todd eineiige Zwillinge mit gleichem Haarschnitt und gleicher Kleidung ausgestattet und in einer U-Bahn auf gegenüberliegenden Bänken oder an Haltegriffen dieselbe Haltung einnehmen lassen: eine Realverdoppelung, die auf die Passanten - sie sind hier in der Position des kleinen Affen - wie ein Spiegeleffekt wirkt. Finden Sie albern? Na gut, kehren wir in die Wissenschaft zurück, zu der Aquarellzeichnung, mit der Otto Becker im 19.Jahrhundert das Bild festhielt, das auf dem von Helmholtz entworfenen Augenspiegel zu sehen war. Und zur Neurowissenschaft. Die kommt in der Videoinstallation von Marta dell'Angelo vor, in der Paare einander ähnlich sehender Menschen bei der Erstbegegnung versuchen (es aber natürlich nicht schaffen), nicht zu lachen. Jetzt müssen Sie aber wirklich zum Zug? Es gäbe noch viel zu sehen, zum Beispiel das Modell des Gehirns von Adib Fricke. Der Künstler hat sein Gehirn scannen und im 3D-Drucker ausdrucken lassen. Sieht gut aus, in strahlendem Weiß. Suchen Sie noch ein Weihnachtsgeschenk?

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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