Schauplatz Berlin:Abrisshaus auf Partydrogen

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In Berlin hat die "größte temporäre Street-Art-Gallery der Welt" eröffnet, bevor das Gebäude Luxuswohungen weicht.

Von Lothar Müller

Da ist sie ja wieder, die Schlange! Und gar nicht weit weg vom Zoo. Sie ist eine richtige Berliner Schlange. Wenn sie das Maul aufmacht, berlinert sie. Und sieht ganz anders aus als die Kunstliebhaberschlange, die sich um die Neue Nationalgalerie wickelte, als dort die klassische Moderne aus New York gastierte. Diese Berliner Schlange ist überhaupt nicht elegant. Sie ist nur neugierig. Sie will in das furchtbar hässliche Haus Nürnberger Straße 68/69 hinein, das Anfang Juni abgerissen wird, damit hier Luxuswohnungen entstehen können.

Das furchtbar hässliche Haus steht in Charlottenburg und wurde von einer Bank genutzt. Derzeit ist auf den fünf Etagen "die größte temporäre Street-Art-Gallery der Welt" zu sehen. Überall Graffiti, ausgemalte Flure, Damen- und Herrentoiletten, Pop-Art-Reminiszenzen und viel Quietschbuntes, Comicfiguren, die sich ins Dreidimensionale fortsetzen, Steckdosentapeten, die mit realen Steckdosen rivalisieren, abgeschnittene Kabel, durch die mal Kontendaten zirkulierten, Unmengen von Stickern und Klebekunst, Dunkelräume mit psychedelischen Bildern auf Partydrogen-Basis. All das wird mit dem Haus verschwinden. Das hat sich herumgesprochen, darum gibt es die Schlange. Nichts stachelt die Neugier des Berliners mehr an als die Angst, etwas zu verpassen.

Diese Performance passt gut zum Theatertreffen, das am Wochenende beginnt. Denn nichts liebt das Theater derzeit mehr, als wenn das Leben sich selber aufführt. Hier wird ein Stück aktuelles Berlin gegeben, die Fusion von Immobilienbranche und Straßenkunst. Dieses Abrisshaus musste nicht besetzt werden, es hat seine Sponsoren. Den Verwertungsinteressen der Investoren nützt die Aufwertung des Hauses zum Hotspot, seine Verwandlung in einen legendären Ort, den Verwertungsinteressen der (honorierten) Künstler nutzt das Dabeisein beim Produzieren der Legende. Zur Performance gehört die Selbstfeier der S-Bahn-Sprayer und Schienenabmontierer in Videos, die sie bei der Arbeit zeigen. Aber aus den Spraydosen in dem hässlichen Haus ist alles Illegale entwichen. Der Clou der Performance ist die Trennung der Street-Art von der Straße. Besprühte S-Bahnen, Hauswände, Mauern im Stadtraum kann jedermann fotografieren. Hier aber muss die Berliner Schlange ihre Handys am Eingang in kleine Tüten verstauen. Eintritt zahlen muss sie nicht. Aber in dem hässlichen Haus herrscht absolutes Fotografierverbot. Die verschwundene Kunst wird in einem Bildband vermarktet.

© SZ vom 05.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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