Schaubühne Berlin:Endzeithorror

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Streamingdienstleitung: Anne-Cécile Vandalems Stück "Die Anderen"ist ein Mystery-Thriller wie aus einer Netflix-Serie und fühlt sich an wie zwei Staffeln hintereinander.

Von Anna Fastabend

Mit "Die Anderen" ist das so eine Sache. Anne-Cécile Vandalems Uraufführung gefällt einem vermutlich, wenn man Fan von David Lynchs "Twin Peaks", Michael Hanekes "Wolfszeit" und der Netflix-Serie "Dark" ist. Wenn man Dunkelheit und Regen mag, ausgestopfte Tiere, skandinavisches Design und kaputte Gestalten, die zu viel rauchen und Wodka aus Wassergläsern trinken. Ja, sie würde einem tatsächlich gefallen, wenn man gerade keine Lust auf das eigene Sofa hat und lieber mal wieder ins Theater gehen möchte, weil Theatervorstellungen ja meistens einen Mehrwert haben. Nur welchen eigentlich? Das fragt man sich nach diesem Abend an der Berliner Schaubühne dann schon.

Dabei klingt die Story, die die belgische Theatermacherin selbst geschrieben hat, eigentlich vielversprechend: Sie spielt im Jahr 2023 in einem vergessenen Landstrich irgendwo in Europa. Der Klimawandel ist bereits so weit vorangeschritten, dass es die Bewohner der südlichen Hemisphäre gen Norden treibt. Unter ihnen ein junger Mann, der per Zufall an den Schauplatz der Geschichte gelangt. Ein winziges Dorf inmitten eines großen Waldes, in dem Geflüchtete nicht willkommen sind. Da ist es natürlich blöd, dass die Hotelbetreiberin den jungen Mann anfährt und man ihn deshalb erst mal dabehalten muss. Auch, weil er während seines Aufenthalts einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur zu kommen droht.

Riesige Tannen ragen in den Himmel, der Nebel wabert, und es regnet ohne Unterlass

Diese dystopische Aufführung, die sich dramaturgisch wie ein Mystery-Thriller aufbaut, ist Vandalems dritte Inszenierung an der Schaubühne. Vorher waren sie und ihre Kompanie Das Fräulein zweimal beim Festival Internationale Neue Dramatik zu Gast. Mit "Die Anderen", bei dem die europaweit angesehene Regisseurin erstmals mit dem Ensemble des Berliner Theaters zusammenarbeitet, knüpft sie sowohl thematisch als auch inszenatorisch an ihre Vorgängerstücke an, in denen es ebenfalls um apokalyptische Gesellschaftszustände vom europäischen Rechtsruck bis zur menschengemachten Zerstörung des Planeten ging. Dabei stets im Einsatz die Live-Kameras, mit denen sie im Verborgenen stattfindende Szenen parallel zum Bühnengeschehen auf einer großen Leinwand zeigt. Dies funktioniert auch deshalb in Kinoqualität, weil die Bühnenbilder von Christophe Engels und Karolien de Schepper derart hyperrealistisch sind, dass man das Gefühl hat, einem aufwendigen Filmset gegenüberzusitzen. So auch dieses Mal. Der Nebel wabert geheimnisvoll durch den Saal, riesige Tannen ragen unheilverkündend in den Himmel, eine Straßenlaterne spendet schummriges Licht. Und als würden das nicht genügen, regnet es ohne Unterlass. Das Herzstück der bedrohlichen Kulisse aber ist ein sich drehender, mehrfunktionaler Gebäudekomplex, der je nach Bedarf das Hotel "Zum alten Kontinent", das Rathaus oder eine klaustrophobische Wohnstube zeigt.

Beeindruckend sind auch die Figuren, von denen jede auf ihre Weise so exzentrisch und schrullig ist, dass sie einem noch lange in Erinnerung bleiben werden. Da macht es auch nichts, dass so manche große Ähnlichkeit mit bekannten Filmheldinnen hat, wie die von Jule Böwe gespielte Hotelbetreiberin, die mit ihrer schnoddrigen Schlagfertigkeit an Mildred Hayes aus "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" erinnert. Und auch die von Ruth Rosenfeld verkörperte Werwolfsfrau, die melancholische Popsongs singt, hat man von ihrem äußeren Erscheinungsbild her so vorher schon mal in der Wrestling-Serie "Glow" gesehen.

Darüber hinaus müsste "Die Anderen" aber auch dramaturgisch funktionieren. Doch dafür bemüht sich das Stück zu sehr, wirklich alle brennenden Fragen unserer Zeit abzudecken, und das auf viel zu vereinfachende Art und Weise. Hier erfährt etwa ein einziger Geflüchteter dermaßen viele rassismustypische Anfeindungen, dass sie aufgrund ihrer schieren Anzahl irgendwann unwahrscheinlich wirken. Hinzu kommen Wendepunkte im Minutentakt, Klimakatastrophen, verdrängte Traumata, Amok, Selbstjustiz und jede Menge Massaker, die für eine Inszenierung, die auch Splatterfilme zum Vorbild haben will, allerdings ziemlich brav ausfallen.

Kurzum: Bei Vandalem durchlebt eine Handvoll Figuren in zwei Stunden all das, was Drehbuchautoren vermutlich doppelt so vielen Charakteren in zwei Staffeln zumuten würden. Und auch das Finale funktioniert nicht wirklich, weil es nach all dem Spannungsaufbau zu behäbig und erklärend ist. Gleichzeitig kommt der düstere Humor, der hier und da aufblitzt, viel zu kurz. Dabei hätte gerade er das Potenzial gehabt, dieses Stück zu einem parodistischen Kommentar auf Endzeitserien werden zu lassen, die gerade die Streaming-Plattformen überschwemmen. Die subversiven Möglichkeiten des Theaters hat Vandalem nicht genutzt.

© SZ vom 12.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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