Satzzeichen:. . , -

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fertig ist das Mondgedicht. So lautet das wohl kürzeste Gedicht von Robert Gernhardt. Ein Aufsatz untersucht die meist übersehene Schönheit der Satzzeichen - die ja oft erst bei Abweichungen richtig auffällt Punkt.

Von  Johan Schloemann

"Schreiben kann man ganz gut auch ohne aber lesen geht mit

Satzzeichen doch wesentlich besser sie sorgen für Lesbarkeit sind also eigentlich Lesezeichen und deren wichtigstes ist das Leerzeichen das spatium nicht umsonst hat es die größte Taste auf allen Tastaturen..

." So, nämlich aller Lesezeichen beraubt, die der Lesbarkeit, liebe Leser, dienen sollen, die allerdings manchmal auch zu allzu vielen Einschüben, wie hier zu sehen ist, einladen - so steht es am Anfang eines schönen kleinen Essays zum Lob der Interpunktion. Verfasst hat ihn der Literaturwissenschaftler Rudolf Helmstetter, gedruckt hat ihn die Zeitschrift Merkur in ihrem Augustheft, im weiteren Verlauf des Textes jedoch, zum Glück, in gewohnt korrekter Zeichensetzung.

Der Kern von Helmstetters Aufsatz ist eine Interpretation von Robert Gernhardts sehr kurzem "Mondgedicht". Das geht so:

"..,- fertig ist das Mondgedicht."

Wenn man genau hinschaut, erkennt man einen wichtigen Unterschied: Der Endpunkt hinter "Mondgedicht" (den der Dichter in der Ausgabe letzter Hand gesetzt hat) wird, wie alle Satzzeichen, beim (Vor-)Lesen nicht ausgesprochen. Satzzeichen repräsentieren ja kein Wort und keinen einzelnen Laut, sie sind "stumme Diener". Anders ist es mit den Zeichen am Anfang: Sie müssen als "Punkt Punkt Komma Strich" ausgelesen werden, laut oder im Stillen. Das Gernhardt-Gedichtchen verweist also - wie die Anweisung zum Malen eines Mondgesichts in dem Kinderspruch, auf den es anspielt - zurück auf den Ursprung aller Schrift: nämlich Abbildung zu sein, Piktogramm, Bilderschrift.

Mit solchen Beobachtungen, und mit einiger Leidenschaft, setzt sich der Autor Rudolf Helmstetter dafür ein, die Satzzeichen in ihrer oft übersehenen Schönheit zu betrachten - eine Bedeutung, die bei Abweichungen erst richtig auffällt. So auch beim rätselhaften Komma in der Inschrift "Sans, Souci" auf Schloss Sanssouci in Potsdam, über das H. D. Kittsteiner ein ganzes Buch geschrieben hat; oder bei dem Titel eines Bildes von Blinky Palermo: "Ohne Titel mit Komma".

Das Interesse an den Satzzeichen wächst in den Kulturwissenschaften, in dem Moment, in dem Schriftkultur und Chat-Kultur aufeinanderstoßen. Helmstetters Essay endet dann arg psycho-spekulativ mit der Gleichsetzung von "Mondgesicht" und Mutterbrust. Stattdessen hätte er noch etwas über die Emoticons nachdenken können, die zunächst aus Satzzeichen Gesichter machten, bis sie als Emojis wieder ganz Bildzeichen geworden sind. Punkt

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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