Sarkozy und die Medien:Brunisconi, der Omnipräsident

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In ihrem Buch "Le Téléprésident" entlarven zwei Soziologen Nicolas Sarkozy als Showmaster des Politikgeschäfts. Nach dem Vorbild von Reality-Formaten wie "Big Brother" werde ihm ganz Frankreich zur Kulisse.

Alex Rühle

Als das Observatoire du débat publique die Franzosen im Herbst fragte, was ihnen von den ersten Monaten der Regentschaft ihres neuen Ministerpräsidenten im Gedächtnis haften geblieben sei, antworteten diese fast ausschließlich mit Bildbeschreibungen: Sarkozy auf der Yacht seines Freundes Bolloré, joggend im Bois de Boulogne, mit nacktem Oberkörper auf dem Lake Winnipesaukee . . .

Auf dem Weg nach nirgendwo

Nun ist es nicht verwunderlich, dass fast all diese Bilder den Präsidenten in dynamischer Bewegung zeigen. Sarkozy inszeniert sich am liebsten wie ein Manager auf dem Weg nach irgendwo, das Handy am Ohr, während seine Entourage im Laufschritt hinterhereilt. Selbst die Kameras können kaum Schritt halten mit ihm und schicken den Franzosen abends verwackelte Bilder in die Statik ihres Wohnzimmers. Permanent ist der neue Präsident in seiner Frankreich GmbH unterwegs, hält kurz Rücksprache mit den Abteilungsleitern vor Ort, um dann Entscheidungen zu treffen, die das ganze Land nach vorne bringen.

Symptomatisch für diese Inszenierungen war bereits am zweiten Tag seiner Präsidentschaft der Besuch bei Airbus in Toulouse. Die Nachrichtensendungen zeigten alle dieselben vier Sequenzen: Sarkozy eilt in die Werkshalle, isst dann mit Arbeitern in der Kantine, im blauen Werksoverall, sitzt im Anschluss mit Entscheidungsträgern am runden Tisch und erklärt am Ende alleine, was zu tun ist.

"Das", so schreiben die Soziologen François Jost und Denis Muzet, "ist die bildliche Umsetzung seines Wahlversprechens: Hingehen, zuhören, entscheiden. Das Gesetz wird nicht von oben dekretiert sondern als Resultat dessen verkauft, was ein Mann beobachtet hat, der eben zufällig der Präsident ist."

Jost und Muzet haben soeben ein verstörendes Buch vorgelegt, in dem sie nachweisen, dass Sarkozys Kommunikationspolitik einzig für das Fernsehen konzipiert sei ("Le Téléprésident. Essai sur un pouvori mediathique." L'Aube, Paris 2008). Über Sarkozys inzestuöse Nähe zu den mächtigsten Medienmogulen des Landes wurde viel geschrieben. Jost und Muzet lassen deren Propaganda und Kungeleien für ihren Freund außen vor. Sie interessiert, wie Sarkozy selbst "als erster Präsident eine Methode zum System macht, deren Ziel es ist, das Handeln und die Kommunikation über dieses Handeln in eins zu setzen."

Phantompolitik in Echtzeit

Sie glauben, dass Sarkozy der Boden bereitet wurde durch Reality-Formate wie "Big Brother". Seine erste mediale Inszenierung als Präsident vergleichen die beiden mit "24", der amerikanischen Action-Serie, die ihren Sog aus dem 24-stündigen Countdown in Echtzeit bezieht.

Um visuell darzustellen, dass sich die Ereignisse permanent überschlagen, wird in "24" mit Split Screens gearbeitet. Bei Sarkozys Inaugurationsfeierlichkeiten kam ebenfalls dieses Verfahren zum Einsatz: Anstatt die Übertragung im Palast zu beginnen, wurde die Zeremonie durch eine Parallelmontage vorbereitet. Während Sarkozys Autofahrt durch Paris gezeigt wurde, konnte man parallel dazu seiner Familie dabei zusehen, wie sie sich im Innenhof des Palastes vor dem roten Teppich aufstellt. Öffentlicher und privater Raum wurden ineinandergespiegelt, zusammengeführt wurden die Bilder, als ein Protokollant dem Präsidenten, vor seiner Familie stehend, das triumphale Wahlergebnis vorlas.

Seither besteht Sarkozys Strategie darin, Politik als Echtzeit-Serie zu verkaufen, täglich neue handliche Storys zu servieren, in denen Entscheidungen weniger zählen als deren bildmächtige Inszenierung. Ganz Frankreich wird ihm dabei zur Kulisse. Jost und Muzet zitieren einen seiner Mitarbeiter mit dem Satz, die Realität habe keinerlei Bedeutung, es zähle nur die Wahrnehmung - ein in seiner geradezu schamlosen Affirmation beängstigender Satz.

Der Ministerpräsident Michel Rocard erklärte 1983 die Beziehung zwischen Wählern und Gewählten einmal mit einer wunderbar gemächlichen Metapher: Einer Regierung bei der Arbeit zuzusehen, das sei so, wie einer Blume beim Blühen zuzusehen, wobei es nicht so schnell gehen könne in der Politik, von der Entstehung einer Idee bis zu deren Umsetzung in ein Gesetz würden nun mal drei Jahre vergehen. Drei Jahre! Nicolas Sarkozy fährt innerhalb von 24 Stunden an den Ort des Geschehens. Politik heißt für ihn, Präsenz zeigen, oft sagt er, Präsident zu sein heiße "dorthin zu gehen, wo es nicht rund läuft."

Muzet und Jost schreiben, Sarkozys Kommunikation funktioniere nach dem Prinzip der Postkarte, täglich kurze Grüße aus aller Welt und allen Gesellschaftsschichten, Sarkozy mit einigen Fischern, Sarkozy im Gespräch mit dem Vater eines misshandelten Jungen, in der ernsten Diskussion mit Managern. "Der Präsident bewegt sich in dieser Welt, in der man sich jede Sekunde woanders aufhält, mit einem unglaublichen Zapping-Effekt." Am 10. Juli war er in Algerien, am 11. in Tunesien, am 12. in Paris, während seine Frau die bulgarischen Krankenschwestern aus Libyen abholte.

Der verborgene Sinn

Schon am ersten Tag seiner Amtszeit machte der "Omnipräsident" (Le Canard enchaîné) den Bürgern und den Journalisten gegenüber klar, dass hinter jeder dieser Gesten ein verborgener Sinn zu suchen sei. So sagte er im Bois de Boulogne vor dem Denkmal für 35 erschossene Widerstandskämpfer: "Mögen unsere Kinder durch meine Geste den Horror des Krieges erahnen." Am selben Abend sagte er in Berlin: "Dass ich hierher gekommen bin, ist mehr als eine symbolische Geste." Worin dieses Mehr besteht, das dürfen die journalistischen Auguren sich dann meist selber zusammenreimen.

Zwei Probleme beinhaltet eine solche Politik der Geste. Die erste könnte man die Unwiederholbarkeit nennen: Dass Sarkozy den Vater eines jungen Missbrauchsopfers empfing, berührte viele Franzosen. Aber soll Sarkozy jetzt jedes Missbrauchsopfer samt Familie in den Élysée-Palast bitten? Das zweite, damit verwandte Problem liegt darin, dass sich symbolische Gesten abnutzen, ja dass man sie eigentlich jeweils nur einmal machen kann.

Für Jost und Muzet liegt einer der strategischen "Geniestreiche" des Präsidenten in seinem affirmativen Verhältnis zur Boulevardpresse. Das Interessante an Sarkozy sei nicht, dass er Dauerthema in den bunten Blättern ist, sondern dass er genau das intendiere: Allwöchentlich in Paris-Match aufzutauchen und dort Politik zu verkünden. Die Regenbogenpresse dankt es ihm und retuschiert gnädig seine Speckröllchen weg.

Jost erzählt von einem Pariser Kabarettisten, der die Pressekonferenz des Premierministers François Fillons imitiert und den Journalisten schulterzuckend sagt, sie mögen bitte den kommenden Montag abwarten: "Da erscheint Voici, und ich bekomme aktuelle Informationen vom Präsidenten."

Überraschung!

Seine fünf Vorgänger waren strenge Repräsentanten des Staates, alle legten sie Wert darauf, sich als Kunstkenner zu präsentieren. Sarkozy schert sich nicht um den Geschmack der gehobenen Bourgeoisie, wichtig ist ihm, was die Masse denkt. Mitterrand trat nur sporadisch im Fernsehen auf, einer seiner Berater erklärte dazu, als öffentliche Person dürfe man sich auf keinen Fall zu häufig zu Wort melden, da man sonst Gefahr laufe, sich mit dem Lärm der Medien zu verwischen. Sarkozy ist der Lärm der Medien.

Einer seiner Tricks, die Medienmaschine am Laufen zu halten, liegt in den Augen der beiden Pariser Soziologen darin, dass Sarkozy gezielt vom Protokoll des Élysée abweiche. Denn nur die überraschende Nachricht ist eine echte Nachricht. Als er zur Amtseinführung die Champs Élysées abschritt, ging er plötzlich auf die Menge zu und schüttelte Hände, was Stoff für unzählige Kommentare gab. Als er sich mit dem Gewerkschaftsführer François Chereque zum Essen treffen sollte, ging er mit ihm in ein Pariser Restaurant. Die Journalisten waren mehr damit beschäftigt, diesen Bruch der Etikette zu kommentieren als das Ergebnis des Treffens.

Jost und Muzet sagen, Frankreich erlebe durch dieses Bündnis der Medien und des Präsidenten eine "Parismatchisierung" der Politik. Eindrucksvoller Beleg ihrer These ist eine Ausgabe von Paris Match, in der Bettina Rheims die Privaträume des Élysée ablichtete, das Doppelbett mit zurückgeschlagener Decke, den Präsidenten beim Anstecken einer Zigarre am Schreibtisch, beim Legospielen mit seinem zehnjährigen Sohn Louis, "dem jüngsten Bewohner aller Zeiten im Élysée", wie es ehrfürchtig in der Unterzeile heißt. Kein Journalist war dabei. 18 Seiten Bilder, so viel gab es nicht mal zum Staatsbegräbnis von Mitterrand.

Momentan aber läuft diese Maschine nicht mehr rund. Zuerst war da das Treffen mit Gaddafi, der den Besuch nutzte, um seinerseits eine "Postkarte" nach Hause zu schicken: Gaddafi streckte die Faust in den Himmel, Sarkozy war zum hilflos lächelnden Statisten degradiert.

Amtsentweihung

Dann kam die Nachricht von der nachlassenden Kaufkraft. Jost resümiert, Sarkozys Kommunikation, die rein auf lesbare Bilder angelegt sei (visualisible), stoße bei diesem Thema an ihre Grenzen. "Die Kaufkraft ist etwas Abstraktes, und man kann den Franzosen die bisher unternommenen Anstrengungen nicht durch ein Bild vermitteln." Dann sorgte auch noch die offensive Inszenierung seiner Affäre mit Carla Bruni (die bezeichnenderweise in Disneyland publik gemacht wurde) für Verärgerung.

Interessant ist nun, so Muzet in einem aktuellen Interview, dass sich Sarkozy, als er diesen ersten schweren Imageverlust einstecken muste, plötzlich auf alte Formen des Präsidentschaftsprotokolls besann: auf eine Neujahrsansprache und auf das Ritual der Pressekonferenz, abgehalten im Élysée, bei der er von Dauerhaftigkeit und Visionen sprach und die aktuelle Situation tief in der französischen Geschichte verankerte.

Jost und Muzet sind skeptisch, ob Sarkozys Konzept der Telepräsidentschaft aufgeht, er entweihe das Amt, die Leute seien bald entnervt von seiner Show. Fürs Erste aber gibt er den Medien auf geradezu unheimliche Art und Weise den Takt vor; selbst in hiesigen Zeitungen dürfte er seit seiner Amtseinführung das am häufigsten gezeigte Staatsoberhaupt sein.

Und was den Unterhaltungswert angeht, so sagte Claude Chabrol unlängst: "Zurzeit sorgt er dafür, dass die Winterabende kurzweilig sind."

© SZ vom 17.1.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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