Sammlermuseum:Einfach süß - und ziemlich giftig

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Wayne Thiebaud, „Bakery Case“, 1996. (Foto: Wayne Thiebaud/collection museum Voorlinden, c/o Pictoright Amsterdam 2018/ VG Bild-Kunst Bonn)

Eine Ausstellung in Holland: Wayne Thiebaud malt Hochzeitstorten, Donuts, Eis und andere Kalorienbomben.

Von Till Briegleb

Die Kuratoren dieser Schau versprechen, dass den Besuchern beim Betrachten der Bilder das Wasser im Mund zusammenläuft. In Zeiten erhöhten Zuckerbewusstseins kann es aber auch sein, dass die Gäste der Wayne-Thiebaud-Retrospektive in der Nähe von Den Haag eher an kommende Diäten oder den Zahnarztbohrer denken. Denn auf den meisten Bildern in diesem Sammlermuseum sind Sahnetorten zu sehen, dazu Donuts, Lollies oder Eis. Und zwar in so knalligen Farben, dass Karius und Baktus sofort einen Fan-Club gründen würden.

Aber für dieses Museum mag Thiebauds Schlaraffenland in Öl eine Anziehungskraft entfalten wie die Eisreklame am Strandkiosk ein paar hundert Meter weiter für Kinder. Und das ist nötig. Denn Voorlinden liegt in einem alten Herrschaftspark hinter den Dünen von Scheveningen, dem größten Seebad der Niederlande, den man leider nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Hier kommt kein Kunstfreund zufällig hin. Hier muss man gute Gründe schaffen.

Joop van Caldenborgh hat diese Gründe mit viel Geld erzeugt. Als Chef des niederländischen Chemie- und Lebensmittelkonzerns Caldic kauft der 78-Jährige seit mehr als 50 Jahren Kunst und schuf eine der größten Privatsammlungen in Holland. Anfänglich begeistert von Minimal Art und der Düsseldorfer Zero-Gruppe weitete van Caldenborgh auf seinen unternehmerischen Weltreisen das Interessensgebiet systematisch aus. Ihm gehören heute abstrakte Werke von Ellsworth Kelly und Glamour-Kunst von Damien Hirst, dazu hyperrealistische Riesenrentner unterm Sonnenschirm von Ron Mueck, Arbeiten von Maurizio Cattelan oder Skulpturen von Richard Serra.

Weil man speziell Serras Cortenstahllabyrinth nicht einfach durch die Tür tragen kann, hat van Caldenborgh wenige hunderte Meter entfernt von seinem eigenen Landsitz das Museum Voorlinden rund um das rostige Monument errichten lassen - nachdem er den Entschluss fasste, der langen Reihe der Sammlermuseen, wie sie seit den Neunzigern in aller Welt entstehen, ein weiteres hinzuzufügen. Vorher bestückte der Unternehmer den Garten seiner eigene Villa mit Skulpturen von Henry Moore, Sol LeWitt oder Antony Gormley. Und in der Firmenzentrale in Rotterdam ließ er Ausstellungen einrichten. Aber im September 2016 eröffnete er dann doch einen stilvollen Showroom zur Präsentation seiner Bestände.

Der lichte Bau im Grünen vom Architekten Dirk Jan Postel, der mit seinem riesigen Baldachindach und den großen Panoramascheiben an Renzo Pianos Fondation Beyeler in Basel erinnert, folgt den Vorlieben des Sammlers für edlen Minimalismus. Scharfkantige Stein- und Glasflächen wechseln sich in offenem Raster ab, so dass die Hängung von Bildern genauso zu ihrem Recht kommt wie der freie Blick in den weiten Park. Mit ins Haus eingebaut wurden noch ein Skyspace-Saal von James Turrell, der mit seinem quadratischen Ausschnitt in der Decke den Himmel zum "Gemälde" macht, sowie ein Swimming Pool von Leandro Erlich, welcher mit einem zugänglichen Raum unter der bewegten Oberfläche die Besucher wie Wassergeister wirken lässt.

Zur Hälfte wird das großzügig dimensionierte Museum für prominente Wechselausstellungen genützt: zur Eröffnung mit einer Retrospektive von van Caldenborghs "Idol" Ellsworth Kelly, dann für Rodney Graham und Martin Creed. Und nun eben von dem vermeintlichen Topagenten der Zuckerindustrie im Kunstmarkt, dem "Bonbonmaler" Wayne Thiebaud. Seit Anfang der Sechzigerjahre hat der mittlerweile 97-jährige Maler aus Sacramento, Arizona, immer und immer wieder Karamellstangen und Hochzeitstorten, Schokoladenüberzüge und kandierte Äpfel gemalt, stets im gleichen Stil mit der gleichen Farbigkeit - getaucht in kaltes Licht ohne Hintergrund.

Perfekt gekleidete Männer und Frauen sehen aneinander vorbei

Dabei geht es nicht um Verführung im Garten Eden der Pop-Art. Der Künstler, der im Museum Voorlinden mit 53 Bildern aus 60 Jahren seine erste Retrospektive in Europa überhaupt erhält, beschäftigt sich pointiert mit den Symbolen amerikanischer Wohlstandskultur. Die Ambivalenz von Lust und Last ist in seiner fetischhaften Präsentation der Dickmacher so offensichtlich, dass einem das Wasser im Mund nicht zusammenlaufen mag. Die Objekte der Begierde erzeugen in ihrer seriellen klinischen Darstellung viel eher Distanz und Alarmstimmung.

Denn mit diesen Leckereien stimmt etwas nicht. Wenn man näher tritt, erkennt man in der malerischen Technik Thiebauds, der Schatten und Umrisslinien mit grellen Kontrastfarben betont, dass seine Zuckermonumente eine Giftbotschaft tragen. Sie sehen nur von Ferne anziehend aus. Aus der Nähe scheint der Genuss eher kritisch. Und das hat einen fast selbstironischen Subtext an diesem Ort, gestiftet von einem Unternehmer, der Chemie und Lebensmittel zusammen herstellt. Oder hat hier das Unterbewusstsein der Begeisterung einen Streich gespielt?

Weil Thiebaud ausgebildeter Werbefachmann ist wie Andy Warhol oder James Rosenquist, weiß er mit den scheinbar trivialen Konsumbotschaften so hintersinnig zu spielen wie seine hierzulande berühmteren Kollegen. Zeigen sich bereits die abstrahierten Kalorienbomben als ausgesprochen distanzierte Stillleben, so wird Thiebauds Redundanz der Schlüsselreize bei seinen steifen Porträts von wohlanständigen Amerikanern und besonders in der Landschaftsmalerei bedrückend.

Die perfekt angezogenen Männer und Frauen, die unbewegt aneinander vorbei sehen, zeugen von einer Gesellschaft des mitleidslosen Individualismus. Und die riesigen Landschaften, die eher Porträts landwirtschaftlicher Ausbeutung sind, erscheinen in den gleichen Knallfarben wie die Konditorware eher als apokalyptische Szenarien. Ein Verunsicherungsgefühl entsteht, das der virtuose Maler noch dadurch verstärkt, dass er Felder, Highways und Industrieanlagen in kippenden Perspektiven ineinander malt.

Im Trend großer Sammlermuseen, vom Palazzo Grassi in Venedig bis zur Fondation Louis Vuitton in Paris, zeigt sich auch das Museum Voorlinden nicht nur als Schaufenster für die Sahnestücke eines Sammlers. Mit überzeugenden Ausstellungen, die Anbindungen an die Sammlung haben, und unter Mithilfe vieler anderer Sammler, die dem Kollegen Werke zur Verfügung stellen, machen Neugründungen wie das Museum Voorlinden staatlichen Instituten ernste Konkurrenz.

So lange diese Ausstülpungen des Kunstmarktes die Vermittlung mit Ernsthaftigkeit und kritischem Sinn betreiben, sollte man den glänzenden Hallen des Reichtums ebenso einen zweiten Blick gönnen wie Wayne Thiebauds knalligem Mantra des Süßen.

Wayne Thiebaud. Museum Voorlinden, Den Haag. Bis 16. September.

© SZ vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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