Ruhrfestspiele:Egodämmerung

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Eine Bühne nur fürs Ego. (Foto: Candy Welz)

Rieke heißt die Heldin in Oliver Bukowskis neuem Stück "Verzicht auf zusätzliche Beleuchtung". Regisseur Stephan Rottkamp hat die Uraufführung inszeniert: skizzenhaft, wuchtig, wohltuend deutungsoffen und mit Spaß am Rollenspiel.

Von Cornelia Fiedler

Erwachsenwerden, das heißt marktförmig werden. Es heißt ankommen in der Welt der Funktionstüchtigen. Mit dem Eintritt ins Arbeits- und Familienleben wird Impulskontrolle zur Kernkompetenz. Die Kindheit als Phase voller Quatschideen soll gefälligst abgehakt sein, ebenso die Jugend mit ihrer existenziellen Verunsicherung. Und wenn nicht? Dann geht es auch! Das propagiert zumindest Rieke, die eigenwillig hemmungslose Außenseiterin, die der Theater- und Drehbuchautor Oliver Bukowski in seinem neuen Stück "Verzicht auf zusätzliche Beleuchtung" entwirft. Regisseur Stephan Rottkamp hat die Uraufführung bei den Ruhrfestspielen in Koproduktion mit dem Nationaltheater Weimar inszeniert.

Rieke ist Ende dreißig, sie erzählt gut gelaunt Lügengeschichten, säuft, macht sich über die Falten ihrer Mutter lustig, zahlt keine Rechnungen, stalkt ihre Tochter auf Tinder und bricht einer Kollegin die Nase. Bukowski zeigt diesen Lebensausschnitt ohne Vorgeschichte, ohne Interpretationshilfe, ohne Moral. Diese Vorgabe hat er sich selbst gesetzt, dafür steht der Titel "Verzicht auf zusätzliche Beleuchtung". Dieser strengen Maxime folgen auch Rottkamp und sein Team, was den Abend abstrakt, aber wohltuend deutungsoffen hält: keine Requisite, kein realistisches Spiel, keine Kulissen, nur drei Frauen und zwei Männer in grauen Jeans und T-Shirts. Einzeln oder chorisch bombardieren sie das Publikum mit Text, mal statisch, mal in tänzerischen Machtspielen, Klettereien, ironischen Blickduellen. Klare Rollen gibt es nur für Minuten. In die Festspielstätte "König Ludwig 1/2", eine ehemalige Bergwerkshalle, hat Bühnenbildnerin Kathrin Frosch lediglich drei mit Draht bespannte Klettergerüst-Buchstaben gestellt: E - G - O.

Darum geht es, ums Ego, um Persönlichkeit oder deren Fehlen. Bukowskis Hauptfigur ist narzisstisch und hält es in keiner Rolle aus, ob Mutter oder Tochter, Freundin oder Angestellte. Stattdessen zelebriert Rieke den Spaß am Rollenspiel, ist sprunghaft, unberechenbar, hoch emotional. Und bedroht damit ein Fundament der Gesellschaft: das Konstrukt Identität.

Für ihr Umfeld ist Riekes Leben eine Folge von Aussetzern, aufgereiht wie eine Perlenkette, schlimmer, wie eine Beweiskette, die sie eines Tages in den Knast oder die Psychiatrie bringen wird. Dorthin, wo das Verunsichernde gut weggeschlossen und ruhiggestellt wird. Schließlich leben wir in Zeiten abnehmender Ambiguitätstoleranz: Die Bereitschaft, Uneindeutiges auszuhalten, ist seit Jahren rückläufig, wie der Islamwissenschaftlers Thomas Bauer in seinem Buch "Vereindeutigung der Welt" (Reclam-Verlag, 2018) schreibt.

"Verzicht auf zusätzliche Beleuchtung" kommt fast skizzenhaft daher und entfaltet dennoch Wucht. Rieke nimmt sich jede Freiheit. Dass das zum Problem wird, hat mit ihrem Status zu tun: Sie ist arm, sie ist eine Frau. Bei Politikern akzeptieren wir Halbwahrheiten, bei Vätern das reduzierte Engagement fürs Kind, bei Künstlern den Exzess - aber nichts davon bei den Riekes dieser Welt.

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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