Rubrik: Ein Aufsatz:Hühnergeschichte

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Wie rassistische Codes in alle Details des Alltags einsinken, lässt sich sogar an der Rolle des Geflügels in den Vereinigten Staaten ablesen.

Von Marie Schmidt

Im Augenblick erfahren die Fans der großen amerikanischen Konsumkultur, in welchen Details und Symbolen Rassismus und Sklavenhaltermentalität überlebt haben, nachdem die Sklaverei offiziell abgeschafft war. Wer ist zum Beispiel dieser "Uncle Ben" auf den Reis-Packungen des Mars-Konzerns, fragen sich neuerdings Konsumenten. Dazu hat sich eine PR-Abteilung die tolle Geschichte eines texanischen Farmers ausgedacht. Aber allein das Wort "Onkel" und die Fliege, die die Markenfigur auf alten Packungen trug, signalisierte: Er ist ein Dienstbote. Jetzt will die Firma das Label austauschen.

Eine andere Geschichte rassistisch konnotierten Essens findet sich im Katalog "Future Food. Essen für eine Welt von morgen" zu einer gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden ( herausgegeben von Anna-Lisa Dieter und Viktoria Krason. Wallstein Verlag, Göttingen. 176 Seiten, 19,90 Euro). Hühnchen, erklärt die Historikerin Psyche Williams-Forson unter der Überschrift ",Rasse' und Huhn in den Vereinigten Staaten", sei ein überaus ambivalent mit der Geschichte des schwarzen Amerika verbundenes Lebensmittel. Ob es vor der Kolonisierung Amerikas dort schon Hühner gab, wisse man zwar nicht. Alle möglichen Arten von Geflügel gehörten aber zu den ersten Tauschobjekten zwischen Ureinwohnern und britischen Einwanderern. Reiche Farmer hätten später Sklavinnen und Sklaven die Versorgung des Geflügels überlassen und ihnen ein minimales selbständiges Wirtschaften gestattet: "Einige Afroamerikaner durften Gärten bewirtschaften sowie Geflügel züchten, erwerben und verkaufen." Es sei vorgekommen, dass sich versklavte Frauen und Männer mit den Gewinnen später ihre Freiheit erkauften.

Sogleich sei der Topos aber auch abwertend stereotypisiert worden, Schwarze als gierige Hühnerdiebe dargestellt worden. Noch im Wahlkampf von 2008 sei Barack Obama in Memes mit "Eimern voller Brathähnchen" abgebildet worden: "Derartige Bilder werden in den USA immer wieder in Umlauf gebracht, wenn ein Afroamerikaner eine ,Rassenschranke' durchbricht." Auch in der Werbung tauchte der Topos immer wieder auf, so dass die Landsleute, wie die Autorin fürchtet "Afroamerikaner wohl auf ewig mit diesem Hausvogel verknüpfen werden."

© SZ vom 25.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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