Rostocker Theaterintendant:Wir müssen erklären, was Kultur ist

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Sewan Latchinian wurde nach nur einem halben Jahr im Amt entlassen. Ein Gespräch über kurzsichtige Kulturpolitik und die Hoffnung auf Einsicht.

Interview von Mounia Meiborg

Sewan Latchinian hat das Volkstheater Rostock nur ein halbes Jahr geleitet. Vorige Woche wurde er entlassen - offiziell, weil er die Sparmaßnahmen der mecklenburg-vorpommerschen Kulturpolitik mit den IS-Milizen verglich, die im Irak Kulturstätten zerstören. Latchinian hatte sich zuvor lautstark dagegen gewehrt, dass die Musiktheater- und Tanzsparte geschlossen und das Haus somit von vier auf zwei Sparten - Schauspiel und Orchester - zusammengeschrumpft werden soll. Die Entlassung von Latchinian, der in der Theaterszene einen ausgezeichneten Ruf hat, stieß auf viel Protest. 250 Rostocker besetzten das Rathaus; Theaterleute wie der Intendant Ulrich Khuon und der Regisseur Leander Haußmann veröffentlichten Appelle. Latchinian klagt gegen seine Kündigung.

SZ: Sind Sie gerade in Rostock?

Sewan Latchinian: Nein, ich bin heute morgen in die Uckermark gefahren. Ich brauchte mal Abstand. Es ist mein erster freier Tag seit über einem Jahr.

I hre Entlassung wurde ja sehr knapp vom Hauptausschuss der Rostocker Bürgerschaft beschlossen. Nächsten Montag berät die gesamte Bürgerschaft noch einmal über Ihre Personalie. Haben Sie die Hoffnung, dass die Entscheidung rückgängig gemacht wird?

Ich bin gespannt. Illusionen habe ich keine mehr, und Hoffnung wäre eine Schwester der Illusion. Ich würde mich sehr freuen für die Hansestadt, die Bürgerschaft und die Bürger, wenn sich die Meinung durchsetzt, dass meine Entlassung rückgängig gemacht wird. Die eigentliche Ursache meiner Entlassung ist die noch nicht wirklich zu Ende geführte Strukturdebatte.

Warum wollte die Rostocker Politik Sie loswerden?

Die Rostocker Politik gibt es nicht. Es gab im Februar eine knappe Mehrheit für die Schließung von zwei Sparten. Die ist allerdings in dem Missverständnis entstanden, dass es alle vier Sparten weiterhin geben könnte und zwei der Sparten künftig einfach mehr koproduzieren. Das war für viele Politiker eine Vorstellung, mit der sie leben konnten. Inzwischen haben sie verstanden, dass es auf eine Schließung von zwei Sparten hinausläuft. Wenn es jetzt noch mal eine Abstimmung gäbe - diese Signale erhalte ich aus der Bürgerschaft -, gäbe es keine Mehrheit mehr für eine Schließung der zwei Sparten. Das haben wir in den letzten Wochen erreicht, auch durch Einzelgespräche mit Politikern. Bei so knappen Mehrheiten wie in Rostock lohnt es sich, zu kämpfen. Das habe ich bis gestern getan und würde ich gern weiter tun.

Die Politiker waren also einfach schlecht informiert?

Wir müssen Vermittlungsarbeit machen. Wir müssen erklären, was Kultur ist, was Kulturpolitik ist. Das lag Jahrzehnte lang im Argen. Es freut mich, dass die Diskussionen in der Stadtgesellschaft zurzeit so lebhaft sind wie noch nie.

Aber wenn Politiker Entscheidungen treffen, deren Ausmaß sie nicht verstehen, läuft doch etwas falsch.

Selbstverständlich läuft vieles falsch. In Mecklenburg-Vorpommern sind die Zuschüsse für die Theater seit 21 Jahren nicht mehr erhöht worden. Diese gerade noch funktionierende, bescheidene, dünn besiedelte Theaterlandschaft soll jetzt zerstört werden. Deshalb müssen wir die Politiker mitnehmen und uns in ihre Köpfe hineinversetzen, wenn wir diesen Kulturkampf gewinnen wollen.

Dass es in Rostock schwierig werden würde, war Ihnen doch wahrscheinlich schon bei der Bewerbung klar.

Gesucht wurde ein charismatischer Theaterleiter für ein Vier-Sparten-Haus für fünf Jahre. Am Rande der Vertragsvereinbarungen hieß es, ich bekäme zwei Jahre Zeit, um zu beweisen, dass die vier Sparten sinnvoll sind. Ich bekam nicht mal eine Woche. Der Kulturminister Mathias Brodkorb begrüßte mich mit den Worten: "Ihr Theater gibt es für mich schon gar nicht mehr."

Sie haben in den ersten Monaten Ihrer Intendanz die Einnahmen und die Besucherzahlen des Theaters gesteigert. Warum hat das niemanden interessiert?

Es ist offenbar der Erfolg, der stört. Damit wird nachgewiesen, dass ein Vier-Sparten-Theater eine Zukunft hat; dass es mit dem Geld auskommt. Und das passt offenbar zwei Politikern - Brodkorb und Oberbürgermeister Methling - nicht in ihre Planungen. Sie wollen das Geld sparen. Und offenbar, so muss ich mutmaßen, ist ihnen das Volkstheater Rostock inzwischen relativ egal. Rostock ist die größte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns, die Stadt prosperiert, die Steuereinnahmen sprudeln. Es ist also völliger Quatsch, dass das Theater in Rostock nicht mehr finanzierbar sein soll.

© SZ vom 10.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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