Rollenklischees:Von Moses bis Malcolm X

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Leben und Image der Stars kollidieren oft mit ihren Rollen.

Fritz Göttler

Für Ben Kingsley war alles eigentlich recht einfach, damals im Jahr 1982, als er groß auf der Leinwand herauskam in seiner Rolle als Gandhi. Ein unbeschriebenes Blatt gewissermaßen - er hatte bis dahin fast ausschließlich in TV-Produktionen gespielt oder auf dem Theater. Sein eigentlicher Name ist Krishna Bhanji, er hat einen indischstämmigen Vater, und seine körperliche Statur konnte dem schmächtigen Vorbild, das er zu verkörpern sich anschickte, mit Leichtigkeit angepasst werden.

Das alles machte einen starken Eindruck in dem Film von Richard Attenborough, und Ben Kingsley durfte sich auch prompt mit der ersten richtigen Kinorolle den Oscar als bester Akteur abholen. Danach stand die Kinowelt offen für ihn, er spielte ein paar Promis wie Schostakowitsch oder Moses, noch lieber aber zelebrierte er dubiose, verbrecherische, sadistische Figuren - sein Gangster in "Sexy Beast" wird von vielen als eine sehr viel aufregendere Rolle angesehen als der Gandhi. Einen richtigen Rollenkonflikt hat es für ihn bis heute nicht gegeben.

Sir Ben ist eine der glücklichen Ausnahmen. Denn Protest war nicht selten, wenn die amerikanische Filmindustrie sich große historische Figuren vornahm. Im mildesten Fall ernteten die Stars, von ihrem Studio nolens volens dazu verdonnert, Spott und Hohn, weil die Figuren, die sie spielen sollten, mit ihrem Image kollidierten. Der Westerner John Wayne beispielsweise, der sich Mitte der Fünfziger als Dschingis Khan verdingen musste. In den Sechzigern musste er dann erneut im Kostüm antreten, als Zenturio im Bibelfilm "Die größte Geschichte aller Zeiten". Ein ähnliches Schicksal erfuhr Marlon Brando, der als Amerikas angry young man den Durchbruch auf der Bühne und in Hollywood schaffte und dort prompt historisch querbeet besetzt wurde, als Emiliano Zapata und Marcus Antonius und sogar als Napoleon.

Es wurden reihenweise Diskrepanzen in Kauf genommen, Geschichten umgebogen, Figuren angepasst, und man war skrupellos, wenn es darum ging, fremde Erzählräume zu annektieren - die europäische Geschichte, die Antike, an der Spitze die Bibel. Irgendwann musste fast jeder große Akteur sein vertrautes Terrain verlassen und sich der Historie anvertrauen. Für Charlton Heston kam dieser Moment im Jahr 1956, als Cecil B. DeMille ihn als Moses für seine zweite Version der "Zehn Gebote" holte. Bis dahin hatte Heston amerikanisches Urgestein verkörpert, Buffalo Bill, den Präsidenten Andrew Jackson, William Clark vom Flussfahrerteam Lewis and Clark. Für Moses verschmolz Heston amerikanische Tugenden mit antiker Größe - mit nachhaltigen Folgen: Ben Hur, El Cid, Michelangelo waren die Nächsten. Heston spielt Moses als Kraftkerl, als Widerstandskämpfer im Pharao-Regime, der seinen Stab so wild reckt wie später der greise Heston seine Büchse, an der er erst im Tod den Griff lockern will.

Den Widerstandskämpfer gibt nun auch Tom Cruise, als Stauffenberg in Bryan Singers Film "Valkyrie". Natürlich ist Tom Cruise kein unbeschriebenes Blatt. Man wird nicht unbedingt konkrete Inhalte der Scientology-Lehre und ihres Mythos mit dem Namen verbinden, eher einen missionarischen Impuls, mit dem der Star gern auftritt. Ein Mann mit Prinzipien, einem Glauben, einer Mission. Es ist diese vage Aura des Einsatzes für eine Sache, an die man glaubt, die den Star mit seiner Rolle verbindet. Sie produziert im Hollywood-Starsystem ein merkwürdiges Surplus, bei dem beide voneinander profitieren, der Star von der Rolle und die Rolle vom Star.

"Die Bezahlung hat gestimmt"

Im Theater beginnt der Akteur immer wieder von vorn, jedes Sujet wird von Anfang an neu verhandelt. So hat es Bruno Ganz reklamiert, als er fürs Kino daran ging, sich in Hitler zu versenken. Er bekam ähnliche Probleme wie Denzel Washington, als der mit seinem Star-Charisma den dubiosen Malcolm X verkörperte. Ein ähnlich sakrales Projekt wie der Stauffenberg-Film für die Deutschen war der 9/11-Film "World Trade Center" für die Amerikaner. Ausgerechnet Oliver Stone als Regisseur? Das waren die ersten Reaktionen, und es brauchte die enge Zusammenarbeit mit den Opfern John McLoughlin und Will Jimeno, um Vorbehalte auszuräumen - auch gegen die Schauspielerin Maggie Gyllenhaal, die leichtfertig eine Mitverantwortlichkeit der USA an der internationalen terroristischen Entwicklung monierte.

Wie einfach hatte es da doch der kernige Jack Palance, als er 1969 Fidel Castro spielte in dem Film "Che!", die Titelrolle hatte Omar Sharif übernommen: "In diesem Stadium meiner Karriere muss ich keine Gründe formulieren, warum ich Rollen annehme . . . Die Bezahlung hat gestimmt."

© SZ vom 10.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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