Rock:Trotzige Totenwache

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Endlich: Neil Youngs grandioses Siebzigerjahre-Live-Album "Roxy - Tonight's The Night Live" erscheint, das ausnahmsweise so viel besser ist als die Studioversion.

Von Jens-Christian Rabe

Neil Young in den Siebzigerjahren - bei seinen Konzerten im Roxy 1973 soll er zum ersten Mal auf der Bühne richtig Spaß gehabt haben. Das hört man. (Foto: Gary Burden)

Das Live-Album stand in der Geschichte der Pop-Musik schon immer irgendwo zwischen den Stühlen. Im Normalfall sind veröffentlichte Live-Versionen von Pop-Songs bestenfalls mehr oder weniger missglückt. In der Doppelnatur des Live-Albums liegt leider, dass es in zwei Richtungen defizitär ist. Die Studioversion ist ausgefuchster arrangiert und hochwertiger produziert, das Erlebnis wiederum, das man als Zuschauer während des Konzerts hatte, ist unmittelbarer. Meist bleibt das Live-Album deshalb eine bittersüße Konserve. Live und indirekt. Eine Erinnerung, die - wenn überhaupt - später nur noch den wenigen echte Körpertreffer verschafft, die dabei waren. Eine uneingeschränkt zwingende Idee ist das Live-Album deshalb nur, wenn man es als ofenfrischen Mitschnitt gleich nach dem Konzert am Merchandising-Stand serviert.

Ausnahmen wie Jerry Lee Lewis' "Live At The Star Club Hamburg" (1964), das manchen als das beste Live-Album aller Zeiten gilt, oder die rohe Kraft von "Kick Out The Jams" (1969) von den MC5 bestätigen die Regel. Vielleicht liegt der auffällige Mangel an überzeugenden Live-Alben aber auch daran, dass man für ein wirklich gutes Live-Album besser eine begnadete Rampensau ist. Und begnadete Rampensäue sind nun doch noch etwas seltener als begnadete "Recording Artists", Studiokünstler, die im Zweifel noch mal und noch mal und noch mal neu ansetzen können. Es ist umgekehrt allerdings auch kein Zufall, dass unter den Pop-Künstlern, die die berühmtesten Live-Alben veröffentlicht haben - Jerry Lee Lewis, Johnny Cash ("At Folsom Prison", 1968), B.B. King ("Live at the Regal", 1965), oder selbstverständlich James Brown ("Live at the Apollo", 1963) - niemand ist, von dem es das eine kanonische Studiowerk gibt.

All dies im Sinn, ist der nun erschienene gloriose Live-Mitschnitt "Roxy - Tonight's The Night Live" (Silver Bow/Reprise) der Konzerte, die Neil Young und Band vom 20. bis zum 22. September 1973 im Roxy Theater auf dem Sunset Strip in Los Angeles spielten, ein grandioser Glücksfall. Und auch über vierzig Jahre nach seiner Aufnahme selbst für Viel-zu-spät-Geborene ein echter solcher Körpertreffer. Die Platte ist der ziemlich einzigartige Fall eines Live-Albums, das den Geist seiner Vorlage hörbar unterminiert, und sie so unwahrscheinlicherweise sogar noch übertrifft.

Das Live-Album mit den Aufnahmen von 1973 ist jetzt erst erschienen. (Foto: Label)

Das wenige Wochen vor den Konzerten aufgenommene Studio-Album "Tonight's The Night", das erst zwei Jahre später veröffentlicht wurde und kommerziell erfolglos blieb, ist dabei das traurige Meisterwerk Youngs. Es entstand unter dem Eindruck der Tode des Musikers Danny Whitten und des Roadies Bruce Berry, mit denen Young eng befreundet war. Beide erlagen ihrer Heroinsucht. In seiner Biografie "Waging Heavy Peace" bezeichnet Young die Platte selbst als "eine Art Totenwache", und zwar im Tequila-Vollrausch: "Wir fingen mit den Aufnahmen erst um Mitternacht an, wenn wir schon so voll waren, dass wir kaum noch gehen konnten."

Glaubt man den Berichten von Mitmusikern wie Nils Lofgren, waren die Beteiligten und insbesondere Neil Young auch während der Konzerte alles andere als nüchtern, aber doch weit vom Kontrollverlust entfernt. Schon die launig-cleveren Ansagen Neil Youngs sind ein großer Spaß. Er begrüßt das Publikum in Los Angeles etwa konsequent mit den Worten "Welcome to Miami Beach". Das Tieftraurige, das die Studio-Versionen von Songs wie "Tonight's The Night", "Speakin' Out", "Mellow My Mind", "World On A String" oder "Tired Eyes" ausstrahlen, verwandelt sich vor Publikum in trotzig-verwackelte Wehmut, mit einer großen Portion Galgenhumor. Es gibt Weggefährten, die behaupten, dass Neil Young damals zum ersten Mal in seiner Karriere auf der Bühne Spaß gehabt habe. Man glaubt es beim Hören von "Roxy"sofort. Die Band ist allerdings auch in großer Form und polstert Youngs typisch halsbrecherisch fragilen Gesang mit irrsinnig weich-wiegendem Seventies-Folk-Rock von allen Seiten famos ab.

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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