Retrospektive:Filmer, zur Freiheit!

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In der Retrospektive der gerade eröffneten Filmfestspiele: "New Hollywood", das junge amerikanische Kino der Sechziger.

Tobias Kniebe

Die Ära zwischen 1967 und 1976, gemeinhin als "New Hollywood" bezeichnet, war das letzte goldene Zeitalter des amerikanischen Kinos. So oft hat man dieses Urteil in letzter Zeit gehört, so sehr herrscht Konsens in dieser Frage, dass einem der Trend des Rückbesinnens, Wiederentdeckens und In-der-Vergangenheit-Schwelgens schon wieder verdächtig vorkommen muss.

(Foto: N/A)

Eine Erklärung dafür ist leicht zu haben: Gerade erreicht eine Generation von Schauspielern und Filmemachern das Alter, in dem man nicht mehr nur an das nächste Projekt denkt, sondern auch an den eigenen Platz in der Geschichte. Alle wichtigen Figuren entwickeln eine Bereitschaft, sich Filmhistorikern zu öffnen, die eigenen Erlebnisse wieder ans Licht zu bringen - und böse Geschichten über die anderen zu erzählen.

Peter Biskinds Buch "Easy Riders, Raging Bulls" ist Symptom und erster Meilenstein dieser Entwicklung, seither reißen die Filmessays und Retrospektiven nicht mehr ab. Aber die Lust ist da und lässt auch nicht nach - wenige Vorstellungen machen so gute Laune wie die in der Retrospektive der Berlinale -, wieder völlig in dieser Dekade abzutauchen, von "The Shooting" bis "Apocalypse Now".

Peter Biskinds Buch "Easy Riders, Raging Bulls" ist Symptom und erster Meilenstein dieser Entwicklung, seither reißen die Filmessays und Retrospektiven nicht mehr ab. Aber die Lust ist da und lässt auch nicht nach - wenige Vorstellungen machen so gute Laune wie die in der Retrospektive der Berlinale -, wieder völlig in dieser Dekade abzutauchen, von "The Shooting" bis "Apocalypse Now".

"Nie zuvor und danach ist Amerika realer und verstörender ins Kino gekommen, nie persönlicher und berührender", schreibt Hans Helmut Prinzler, Direktor des Filmmuseums Berlin und Herausgeber des begleitenden Essaybands (Trouble in Wonderland: New Hollywood 1967-1976, Bertz Verlag, 25 Euro). Das ist gewissermaßen die Standarderklärung für diese Lust.

Die Essays und Beiträge von sehr vielen, sehr unterschiedlichen Autoren (darunter einigen SZ-Mitarbeitern) zeigen aber auch, dass es darüberhinaus viel mehr zu entdecken und zu untersuchen gibt. Es geht um Befreiung und Freiheitsdrang, ganz klar, gerade auch von kommerziellen und filmischen Konventionen - aber wie groß muss dieser Drang heute erst sein, wenn man bereit ist, ihn noch in seinen krudesten Manifestationen zu feiern?

Es geht um die (fast ausnahmslos männliche) Figur des Outlaws und Einzelgängers und um den erfolgreichen Versuch, diesen mit der Hippie-Gegenkultur kurzzuschließen und als eigentlichen Träger amerikanischer Werte zu besetzen - aber warum träumen wir davon gerade jetzt, und warum ist dieser Traum auch für Frauen so attraktiv? Eines ist klar: Die Fragen, die "New Hollywood" an die Gegenwart stellt, sind noch längst nicht alle beantwortet.

Ein häufig beschworenes Mantra der Biskind-Adepten ist zum Beispiel die Vorstellung, dieses goldene Zeitalter hätte bis heute andauern können, wenn ein paar Dinge anders gelaufen wären. Was wäre, wenn sich die wichtigsten Protagonisten nicht mit Sex, Drugs und Größenwahn praktisch selbst aus dem Spiel geschossen hätten? Und wie sähe die Welt heute aus, wenn Steven Spielberg und George Lucas, die beiden Schüler und Verräter der Bewegung, nicht Mitte der Siebziger den modernen Blockbuster erfunden hätten, den "Weißen Hai" respektive "Star Wars"?

Biskind und Konsorten behaupten implizit, dass wir dann noch heute jedes Jahr ein Werk vom Kaliber des "Paten" zu sehen bekämen - aber diese Idee ist doch reichlich naiv. Diedrich Diederichsen weist in den Buch zum Beispiel darauf hin, dass es auch inhaltliche und ideologische Bewegungen in den Werken der Epoche gibt, die Mitte der Siebziger an ein Ende kommen: Travis Bickle etwa, der "Taxi Driver", muss das Scheitern all seiner politischen Rebellenphantasien erleben, und sein Traum vom Großreinemachen in den Straßen ist nur die andere Seite seiner ultrarechten Ressentiments und Aggressionen.

Und dennoch wird er, nach seiner großen Bluttat, als Held und verlorener Sohn wieder in die amerikanische Familie aufgenommen. Das Nachdenken über "New Hollywood", erkennt man da, hat gerade erst begonnen.

© SZ v. 06.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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