Retrokolumne:Tanze Samba mit mir

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Die Soul-Compilation "YIA Talent Hunt Winners" ist die perfekte Platte für Hardcore-Nostalgiker. Die brasilianische Sängerin Dila ist eine echte Wiederentdeckung. Und die Band "Fanny" wurde einst von David Bowie verehrt und geriet zu Unrecht in Vergessenheit.

Von Ann-Kathrin Mittelstraß

(Foto: N/A)

Manchmal löst allein ein Albumcover und seine Geschichte eine unheimliche Faszination aus, noch bevor man einen einzigen Song gehört hat. Die Brasilianerin Dila (gesprochen "Dschila") soll 1971, kurz nach der Veröffentlichung ihres ersten und einzigen Albums, bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein. Ihr Name ist weitestgehend in Vergessenheit geraten. Das Label Far Out Recordings hat "Dila" nun überarbeitet wiederveröffentlicht. Man schaut sich also dieses ikonische schwarz-weiße Albumcover mit dem roten Schriftzug an, darauf die junge Frau, den Blick nach oben gerichtet, sinnlich, aber auch leicht ironisch. Man hat die Worte ihres Komponisten Arnoldo Medeiros aus den Liner-Notes im Kopf ("Mein Freund, pass auf, wenn dieses Mädchen anfängt zu singen, wirst du in Schwierigkeiten sein") und fühlt dieses beklemmend-tragische Gefühl in sich aufsteigen, dass Dila durch ihren frühen Tod vielleicht eine große Karriere versagt blieb. Wenn man sich das Album anhört, ist man im ersten Moment fast überrascht wie positiv und gut gelaunt dieser soulige Samba daherkommt. Die Musik tänzelt vor sich hin, swingt federleicht, jazzig, aber auch sehr poppig. Und Dilas warme Stimme fliegt nur so darüber hinweg.

David Bowie sagte: "one of the finest fucking rock bands of their time"

Der amerikanische Indie-Rock ist heute so weiblich und divers wie nie zuvor. Angeführt wird er von einer ganzen Reihe von Künstlerinnen mit asiatischen Wurzeln wie Japanese Breakfast, Mitski oder Jay Som. Das ist insofern erfreulich, als auch diese Generation noch mit den gesellschaftlichen Stereotypen der ruhigen und unterwürfigen Asiatin zu kämpfen hat, die sich viele eben nicht über eine Bühne rockend vorstellen können. Dabei gab es durchaus Vorbilder, schon vor 40 Jahren. Fanny, so heißt die Band, die David Bowie in einem Interview als "one of the finest fucking rock bands of their time" bezeichnet hat. 1969 haben sie sich in Los Angeles gegründet. Frontfrauen waren die beiden philippinischen Schwestern June und Jean Millington. Weil sie sich fremd fühlten, als sie Anfang der Sechziger in die USA kamen, stürzten sie sich in die Musik. June an der E-Gitarre, Jean am Bass. Ein paar Jahre später waren sie die erste reine Frauen-Rockband bei einem Major-Label (Reprise). Auf ihrem gleichnamigen Debütalbum von 1970 sind fast alle Songs selbst geschrieben. Da ist Junes lässig-virtuoses Gitarrenspiel und Jeans beatlesartiger Bass, außerdem Nickey Barcley, die eine Virtuosin an Keyboard und Hammondorgel war und Funk- und Blues-Einflüsse mitbrachte. Und dazu wirklich großartige Stimmen und Melodien. Leider hatten Fanny bis auf zwei Singles in den Top 40 nie einen Hit. Mitte der Siebziger lösten sie sich auf. Vielleicht hatte David Bowie recht, als er sagte, es wäre einfach nicht ihre Zeit gewesen. Aber wer weiß: Seit ein YouTube-Video von einem Auftritt der Band aus dem Jahr 1972 beim Beat-Club von Radio Bremen viral ging, entdecken immer mehr Menschen die Band. Was Schlagzeugerin Alice de Buhr veranlasst hat, eine Crowdfunding-Kampagne zu starten, um die Musik von Fanny auf CD zu retten - das Label will ihre ersten vier Alben nicht mehr nachpressen.

Die Produzenten haben im Studio Applaus und Gekreische über die Aufnahmen gelegt

Ein echtes Stück New Yorker Geschichte hat das Indie-Label Big Crown Records ausgegraben und wiederveröffentlicht: die Soul-Compilation "YIA Talent Hunt Winners". YIA steht für "Youth in Action", eine Initiative, die ab 1963 Jugendarbeit in Bedford-Stuyvesant leistete, einem afroamerikanisch geprägten Viertel mit damals hoher Armuts- und Kriminalitätsrate. Dazu gehörte ein Talentwettbewerb, bei dem Gruppen bekannte Songs jener Zeit covern sollten. Die Gewinner durften ihre Coverversionen professionell in einem Studio aufnehmen, begleitet von einer lokalen Band. Die Idee war, die Platte an Radio- und Fernsehsender zu verteilen, in der Hoffnung, dass die ein oder andere Gruppe entdeckt würde. So beginnt die Compilation dann auch mit einer Grußbotschaft von YIA-Sprecher Reverend Horace Tyler, der die Gewinner bittet, die YIA doch nicht zu vergessen, falls sie Stars werden sollten. Leider hat es offensichtlich keine der Gruppen geschafft, sonst wären einem die Namen Carla & The Carlettes, The Channels 4 oder The United Souls wohl schon mal begegnet. Das aber macht die ganze Platte noch rührender als sie eh schon ist. Der Lo-Fi-Sound wirft einen sofort hinein in eine andere Zeit, in der "Groovin'" von The Rascals oder "Cowboys to Girls" von The Intruders die großen Hits waren. Besonderes Gimmick: die Produzenten haben im Studio Applaus und Gekreische über die Aufnahmen gelegt, um die Atmosphäre vom Wettbewerbstag zu erzeugen, was nicht nervt, sondern einen auch 50 Jahre später noch mitfiebern lässt. Die perfekte Platte für Hardocore-Nostalgiker.

© SZ vom 10.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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