Retrokolumne:Schreiben und singen

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Für andere hat Lamont Dozier viele Hits geschaffen, ehe er selbst ans Mikrofon durfte. Sein Album "Reimagination" kommt fast einer Sensation gleich. Denn die Teenie-Hymnen, die er singt, passen auch zu einem Mann, der auf die 80 zugeht.

Von Karl Bruckmaier

Es sei der Sänger, dem man erliegt, nicht der Song, so Mick Jagger einst, und der Ausgang des jüngsten Eurovisionsauftriebs scheint dem alten Faltenmann recht zu geben. Und doch, so die schöne dialektische Wendung der Rede, und doch kann der Anteil der Texter und Komponisten am - vor allem lang anhaltenden - Erfolg eines Liedes nicht hoch genug eingeschätzt werden. Lange vor unserer Zeit waren Sänger und Songwriter streng geschieden. Die einen waren graue Bürowesen mit Hang zum Alkohol, die tagtäglich eine Idee zu haben hatten, mit der dann Agenten herumfuchtelten, bis sie ein Produzent kaufte und einem von der Besetzungscouch gefallenen Jüngelchen oder Mägdelein unter die Nase hielt, auf dass diese das Liedchen dann in ein Mikrofon trällerten. Erst im Lauf der Sechzigerjahre fand sich ein Publikum, das nach all den Jahrzehnten Plastik-Pop auch die Gesichter, die Stimmen, die Schwächen realer Menschen ertragen konnte und wollte: So kamen im Englischen der Singer und der Songwriter zu einem. Und aus einem Randy Newman, einer Carole King, einem Lou Reed, einem Leonard Cohen wurden Stars des Authentischen, deren Liebschaften, Drogenexzesse oder Krähstimmen vom Nachteil zum Markenzeichen mutierten. Etwas länger dauerte es, bis Afroamerika seine Kompositionsknechte in die Freiheit entließ: So durfte ein Lamont Dozier, verantwortlich für mehr als ein Dutzend Motown-Nummer-Eins-Hits, erst Mitte der Siebzigerjahre selbst vors Mikrofon treten und ein zweites Leben als Performer führen, weil seine Leibesfülle kein ausreichender Grund mehr waren, ihn zwischen den Namen Holland und Holland zu verstecken, mit denen er bis dahin die Supremes oder die Temptations mit Hits versorgt hatte. Viele halb vergessene Songs später ist er nun auf "Reimagination" (V2 Benelux/H'art) zu seinen ersten Erfolgen zurückgekehrt. Und was fast einer Sensation gleichkommt: Die Rückbesinnung verkommt nicht zur nostalgischen Nummernrevue, sondern trotz oder wegen der Mithilfe eines Todd Rundgren, eines Cliff Richard und Graham Nash erweisen sich die Teenie-Hymnen der Sixties wie "Where Did Our Love Go", "Reach Out I'll Be There" und "You Keep Me Hanging On" als durchaus wetterfeste Chansons. Sie passen in ihrer oft masochistisch gestimmten Hingabe an ein Gegenüber auch zu einem Mann, der auf die 80 zugeht - obwohl er seine Gattin vermutlich nicht mehr mit Sugar Pie oder Honey Punch anreden dürfte.

Nicht aktuell, doch leider immer noch unterschätzt und in diese Kolumne passend: "Both Sides Now" (Warner) von Joni Mitchell, ein Album aus dem Jahr 2000, auf dem sich die alternde Diva des Singer-Songwritertums noch einmal zu größtmöglicher orchestraler Fülle aufplustert und ihre eigenen, einst karg oder jazzig arrangierten Lieder einem ebenfalls erstaunlich angemessenen Alterungsprozess unterzieht. Sie wandelt die Lieder in Melodramen, allesamt in breitestem Cinemascope und in grellstem Technicolor. Wenn man diese souveräne Aneignung einer fernen Zeit und Musikwelt mit der doch recht klein scheinenden Selbstgenügsamkeit des im Alter schlagerseligen Bob Dylan vergleicht...

Hat man so oft und so enthusiastisch über Bob Dylan geschrieben wie ich, unterstellt einem fast jeder, dass mir Dylan der wichtigste Musiker sei. Doch muss ich dann doch Miles Davis nennen und Lou Reed. Und: Will Oldham, einst als Palace unterwegs, nun seit vielen Jahren als Bonnie Prince Billy, von dem ich bis vor Kurzem mit Nachdruck behaupten konnte, er habe noch keine schlechte Platte in seinem Leben gemacht. Nun, mit "Epic Jammers ..." von 2016, wäre das auch erledigt, was aber nichts daran ändert, dass dieser anarcho-konservative Südstaatler mit seinem scheint's nie versiegenden Output einerseits ein ganz auf ihn und seine stimmlichen Begrenzungen wie intimsten Obsessionen ausgerichtetes Gesamtkunstwerk darstellt, andererseits aber kooperationsversessen ist wie kein zweiter: Als wäre er ein weiser Karpfen, der im Untergrund des Underground wühlt, schließt er die unglaublichsten Allianzen und nimmt sich auch noch die Freiheit, Musikern, die er selber verehrt wie Merle Haggard, die Everly Brothers und Kevin Coyne, mit ganzen Alben die Referenz zu erweisen. Mit "Wolf of the Cosmos" (Domino) covert er nun Song für Song ein zehn Jahre altes Album der norwegischen Sängerin Susanna Wallumrod, wobei "covern" ein zu schwaches Wort ist. Oldham verleibt sich die Songs ein. Er eignet sich fast so etwas wie einen femininen Klang-Körper an. Seine Stimme scheint so selbstverliebt in dieses neue Song-Outfit zu sein, dass man getrost behaupten kann, Will Oldham habe in seiner gesamten Karriere noch nie so schön gesungen wie hier.

© SZ vom 22.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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