Retrokolumne:Bis irgendwann die Punks zu Reggae tanzten

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(Foto: N/A)

Die Journalistin Vivien Goldman war eine der prägenden Figuren - und eine der wenigen Frauen - in der Londoner Postpunk-Szene. Eine Kompilation stellt nun ihr großartiges Schaffen als Songschreiberin vor.

Von Thomas Bärnthaler

Bei aller kulturellen Sprengkraft, die Punk Mitte der Siebzigerjahre in London entfachte, in einem blieb die Bewegung doch ziemlich konventionell: Weil sie männlich dominiert, um nicht zu sagen schwanzgesteuert war. Was nicht nur in den Bandnamen unverblümt anklang ( Sex Pistols! Buzzcocks!!), sondern auch im Punk-Tanz sichtbar wurde, dem Pogo, der nicht viel mehr ist als eine Schulhofschubserei unter harten Jungs oder solchen, die es sein wollen. Frauen blieb da meist nur die Rolle des Groupies, so wie sie Nancy Spungen personifizierte, die ihre Liebschaft mit Sid Vicious nicht überlebte.

Wären da nicht die zwei Vivs gewesen. Die eine, Vivienne Westwood, nahm den ganzen Aufruhr eher unter stilistischen Aspekten wahr und baute darauf ihr Modeimperium auf. Die andere, Vivien Goldman, kennt heute kaum jemand noch, dabei war sie eine der prägenden Figuren jener Zeit: als bissige Pop-Journalistin, die für den NME, Sounds und Melody Maker schrieb, in einer WG mit Pretenders-Sängerin Chrissie Hynde lebte und auch selbst Songs schrieb. Heute lehrt sie als "Punk-Professorin" an der New York University.

Nun ist mit "Resolutionary (Songs 1979-1982)" (Staubgold) eine Zusammenstellung ihres wegweisenden musikalischen Wirkens erschienen. Die Grenzen waren damals fließend im Stadtteil Kensington, wo Goldman wohnte. Es war Londons brummende Boheme-Bastion, wo sich die arbeitslose Jugend und die jamaikastämmige Gemeinde begegneten, wo Joe Strummer von The Clash lebte, aber eben auch viele Rastas. Hier konnten zwei so unterschiedliche Kulturen wie Punk und Reggae, die eine nihilistisch-anarchisch, die andere spirituell-eskapistisch, zusammenlaufen. "Wir hatten ein fantastisches Sozialleben", erzählte Goldman kürzlich in einem Interview. "Es gab all die illegalen Kneipen, weil die schwarzen Einwanderer keinen Stich machten gegen das Bollwerk der weißen Pubs, also machten sie ihr eigenes Ding. Das vertrug sich bestens mit dem Geist von Punk. In diesen Kneipen wurde zwar auch Punk gespielt, hauptsächlich aber Reggae." Und irgendwann tanzten alle zu beidem.

Es war die Geburt des Postpunk, die Stunde null nach dem großen Knall, als Pop mal kurz allen um die Ohren geflogen war und die losen Trümmer, die herumlagen, wieder zusammengeflickt wurden. Hauptsache neu, Hauptsache anders. Goldman, deren jüdische Eltern vor den Nazis nach England geflohen waren, war schon als Popkritikerin Expertin für jamaikanische Musik und sang gelegentlich zusammen mit Neneh Cherry in Stücken des Londoner Reggae-Produzenten Adrian Sherwood. Mit dabei auch Ari-Up von den Slits, eine der wenigen weiblichen Punkbands jener Zeit. Solche Freundschaften prägen.

"Resolutionary" versammelt Stücke, die Goldman als Teil der dadaistischen New-Wave-Band Flying Lizards, unter eigenem Namen und schließlich als Hälfte des Pariser Duos Chantage aufgenommen hat. Dabei fungierte sie immer als Vermittlerin unterschiedlichster Welten. Songs wie das poppige, von John Lydon produzierte "Launderette", für das Robert Wyatt die Percussion beisteuerte, aber auch "The Window" und "Private Armies" leben vom Kontrast zwischen subsonischen Dub-Beats, schrillen Soundeffekten und Goldmans leicht trällerndem Gesang. Was dazu führt, dass diese Musik beides ist: widerborstig und lieblich, sperrig, aber ungemein funky. Kurz: ziemlich großartig und ganz weit weg von rockistischen Konventionen.

Goldman mag nach heutiger Lesart als Feministin durchgehen, die in ihren Songs Machoallüren bloßstellte oder den Konsens der Geschichtsschreibung hinterfragte ("Her Story"). Mindestens genauso revolutionär aber war ihr Sinn für Improvisation, ihr Vermögen, unterschiedlichste Sounds und Stile zusammenzubringen. Zum Beispiel karibische Steelpan, kongolesische Tanzmusik und ungarische Fiedelklänge wie im burlesken "It's Only Money" oder Maschinen- und Weltmusik wie in "P.A. Dub".

Goldmans Output mag peripher gewesen sein, als frei schwebende Kreative setzte sie Akzente, wo immer sie auftauchte. Später wechselte noch ein paar Mal das Fach, drehte Musikvideos für die Rapper Eric B & Rakim, schrieb Bücher über Bob Marley oder die jamaikanische Küche, komponierte zusammen mit Kid Creole ein Musical und erzählt bis heute ihren Studenten von den großen Umwälzungen im Pop. Nicht als Gelehrte, die Bücherwissen weitergibt, sondern aus erster Hand.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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