Retrokolumne:Auf dem Absatz der Liebe

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Wiederveröffentlichung, das Wort ist quasi gleichbedeutend mit "Vinyl". Das muss nicht sein, inzwischen kann man ja auch bei Streaming-Diensten wiederveröffentlichen. So wie die Throbbing Gristle. Dazu: Ein Band voller Platten-Cover und die Zweite von Portishead.

Von Jan Kedves

(Foto: N/A)

Wiederveröffentlichung, das Wort ist dieser Tage quasi gleichbedeutend mit Vinyl. Dabei kann natürlich auch der Upload eines digitalisierten Band-Katalogs in die Netzwerke der Streaming-Services eine Wiederveröffentlichung sein. Zum Beispiel, wenn die Musik bei Spotify oder Apple Music vorher nicht verfügbar war. So wie im Falle Throbbing Gristle, jenem 1976 in Kingston upon Hull gegründeten Quartett, das gewissermaßen die erste und bis heute einzig wahre Industrial-Band ist. Sie haben ihre Verträge bei dem Label Mute erneuert und um die Vereinbarungen zum Streaming erweitert. Nun stehen da also auf einen Schlag acht Alben online. Wo anfangen? Am besten bei "20 Jazz Funk Greats", dem Klassiker des Quartetts von 1979, der überhaupt nicht nach dem klingt, was man heute mit dem Begriff "Industrial-Musik" verbindet. Stattdessen: locker gewürfelte Collagen aus Jazz-Gedudel, Ambient, Funk-Bässen, händisch zusammengeklebten Tape-Loops, völlig übersteuerten Schab- und Kratzgeräuschen, gehauchten Dialogen und - besonders im genialen Proto-Techno-Track "Hot On The Heels Of Love" - frühen ploppenden Drum-Machine-Beats. Genesis P-Orridge, Chris Carter, Cosey Fanni Tutti und der 2010 verstorbene Peter "Sleazy" Christopherson scheinen auch, was Drogeneinnahme, Weltanschauung und sexuelle Experimentierfreude angeht, hochinteressante Zeitgenossen gewesen zu sein. Hier bleibt leider nur Platz für den "Fun fact", dass dieses Album auf einer analogen 16-Spur-Maschine aufgenommen wurde, die einst Paul McCartney gehörte und normalerweise auf dessen Farm auf der Mull of Kintyre stand. McCartney verlieh sie an Peter "Sleazy" Christopherson, nachdem der 1975 das Covermotiv für McCartneys Wings-Album "Venus and Mars" (1975) gestaltet hatte.

(Foto: N/A)

Womit wir bei der in London ansässigen Designgruppe und -Agentur Hipgnosis wären, deren Teilhaber Peter "Sleazy" Christopherson - parallel zu seiner Mitgliedschaft bei Throbbing Gristle - von 1974 bis zu ihrer Auflösung 1983 war. Der britische Verlag Thames & Hudson hat gerade mit "Vinyl. Album. Cover. Art. - The Complete Hipgnosis Catalogue" ein opulentes Buch über das einflussreiche Schaffen der Designer herausgegeben. Man hat die Beispiele sofort vor Augen: das Prisma auf der Pink-Floyd-LP "Dark Side Of The Moon", in dem sich ein Lichtstrahl zum Regenbogen bricht. Das pinke Schwein, das auf dem "Animals"-Album, ebenfalls von Pink Floyd, hoch über der Battersea Power Station in London schwebt. All diese Designs stammten aus dem Hipgnosis-Studio, das die Designer Storm Thurgerson und Aubrey "Po" Powell 1967 gegründet hatten. Selbst in ihrer bonbonpoppigsten Farbigkeit transportieren ihre Cover meist noch ein irgendwie spukiges Gefühl. Das musste allerdings in den Siebzigerjahren, lange vor unserer Photoshop-Zeit, noch sehr aufwendig mit Schere, Airbrush-Retusche und anderen Tricks wie Doppelbelichtung fabriziert werden. Hipgnosis gaben dem Psychedelic-Rock in den Siebzigerjahren seine visuelle Identität, auch arbeiteten sie für die Rolling Stones, für 10cc oder eben für Paul McCartneys Wings. In dem Buch kann man ihre 372 Cover-Artworks jedenfalls viel besser auf sich wirken lassen als in Form minikleiner Daumennagel-Ansichten, wie man sie in den Playlisten bei diesem oder jenem Streaming-Anbieter bekommt.

Zum Schluss noch ein Ausflug in die Neunzigerjahre, in das englische Fischerstädtchen Portishead. Von Bristol aus nimmt man den Wagen über die 1864 fertiggestellte Clifton Suspension Bridge, die als frühes Meisterwerk der Kettenhängebrückentechnik berühmt wurde, und wenn man hier nicht die Abkürzung hinab ins Flüsschen Avon nimmt, welches bei Portishead in die Keltische See mündet, dann kommt man nach 15 Kilometern da an, wo das Trio Portishead seine superschwermütige Trip-Hop-Blues-Musik produziert. "Dummy", das Debütalbum von 1994, gab es bereits als Neupressung, jetzt ist auch der Nachfolger von 1997, "Portishead", wieder erhältlich. Das Album lohnt sich immer noch, nicht nur wegen der gut gealterten Produktion von Geoff Barrow, der mit Echo-Effekten arbeitete. Auch ließ er damals - wie heute omnipräsent in Pop-Produktionen - das Knacken von Vinyl-Rillen mitlaufen, quasi als Authentizitätsbeweis. Ebenfalls zeitlos: die zittrige Verzweiflung, mit der Sängerin Beth Gibbons im Hit "All Mine" den Refrain herausschreit: "All mei-heinnnnn!!!" - wie ein Baby, dem man die Puppe weggenommen hat. Häufig fragt man sich ja dann, ob das so beliebte wie verschwenderische Format 180-Gramm-Vinyl immer unbedingt sein muss. Zu der existenzialistischen Schwere und Düsternis von Portishead passt es allerdings ausgezeichnet.

© SZ vom 25.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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