Retro-Kolumne:Der Boss und Slowhand

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(Foto: Label)

Von Bruce Springsteen gibt es eine neue Netflix-Konzertdoku, von Eric Clapton tatsächlich ein Weihnachtsalbum - beide mit tiefen Einsichten.

Von Jens-Christian Rabe

Konzerte von Bruce Springsteen sind sogar in viel zu weitläufigen Stadien nicht einfach Pop-Konzerte. Sie sind meist über drei Stunden lange Hochämter des Rock, immer noch, womöglich mehr denn je, obwohl der sich völlig verausgabende Meister längst in seinem 70. Lebensjahr ist. Seine Fans sind dementsprechend auch nicht einfach bloß Fans, es sind Jünger, und es kann leicht passieren, dass sie zu Missionaren werden, wenn man ihre Verehrung nicht sofort teilt. Aber Bruce Springsteen ist ja auch nicht einfach nur Bruce Springsteen. Er ist "Bruuuuuuuuuuce", mit ganz langem u, Bruce, der "Boss"! Mit anderen Worten: Bruce Springsteen ist eigentlich ein Rock-Klischee, das zu klischeehaft ist, um auch nur ansatzweise ertragbar zu sein. Bis man es einmal erlebt hat. Dann hat man nicht einfach nur einen Sänger und Entertainer gesehen, sondern vor allem einen großen Geschichtenerzähler, dessen Mission wirklich der Trost der Massen zu sein scheint. Aber eben nicht der hohle, ablenkende Trost von ein bisschen Unterhaltung, sondern der warme, weise Trost, den man empfindet, wenn man sich vom Tröstenden als ganzer Mensch verstanden fühlt. Das ist der zeitlose Zauber Bruce Springsteens, und wer ihn noch nicht erfahren hat, der hat jetzt so etwas wie die ultimativ bequeme Möglichkeit: Über die vergangenen zwei Jahre spielte Springsteen im - nur knapp 1000 Zuschauer fassenden - New Yorker Walter Kerr Theater 236 Solo-Konzerte, oft an fünf Abenden in einer einzigen Woche, das letzte fand erst am vergangenen Samstag statt. Aus zwei dieser Auftritte im Juli hat der Regisseur Thom Zimny für Netflix jetzt den grandiosen Konzertfilm "Springsteen On Broadway" gemacht, bei Columbia Records gibt's den gleichnamigen Soundtrack. Man höre allein die kleine Rede, mit der er "Growin' Up" einleitet, darüber, was nützlich ist, falls man zufällig mal 80 000 schreienden Rock'n'Roll-Fans von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen sollte. Diese typisch springsteenhafte, heisere, kantig-melodiöse Diktion! Jedes Wort, jede Pause, jede Betonung ist an der richtigen Stelle. Er ist predigerhaft feierlich, aber dann doch wieder ganz und gar unpredigerhaft geistreich und selbstironisch: "Ich habe nie eine Fabrik von innen gesehen und doch ist genau das alles, worüber ich je geschrieben habe. Vor Euch steht ein Mann, der absurd erfolgreich damit geworden ist, über etwas zu schreiben ... womit er absolut keine persönliche Erfahrung gemacht hat. I made it all up. That's how good I am." Großes Gelächter, Jubel. Und dann verrät er auch noch den "Magic Trick", der alles möglich machte, der jetzt aber natürlich nicht offenbart werden kann. Nur so viel vielleicht: Lakonischer, klüger und lustiger hat sich noch kein Pop-Superstar gegen die Wahrheit auf die Seite Wahrhaftigkeit geschlagen. Er hat alles nur erfunden. So gut ist er.

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