Reiner Ruthenbeck:Tragend

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Der deutsche Bildhauer, der viermal zur Documenta eingeladen war und mit Joseph Beuys auf der Biennale in Venedig war, ist gestorben. Ein Nachruf.

Von Catrin Lorch

Eines seiner schönsten Werke war "Doorway". Eine Konstruktion aus schwarzen Gummiseilen, die Reiner Ruthenbeck kreuz und quer in zwei Sälen des Deutschen Pavillons verspannte. Eine einfache, tragende Idee, noch dazu von der Dynamik, die aus einem klugen Werk ein spannendes macht. Reiner Ruthenbeck war im Sommer des Jahres 1976 eines der wenigen Kunststücke gelungen, die das Thema der Biennale von Venedig, "Ambiente", intelligent aufgriffen. Doch jenseits des Türrahmens stellte Joseph Beuys aus, der spektakulär Straßenbahnschienen durch den Saal verlegt und ein Loch zum Wasser der Lagune gebohrt hatte. Und so blieb Reiner Ruthenbeck an der Peripherie der internationalen Aufmerksamkeit, wo er doch im Zentrum des Geschehens stand.

Erst jetzt wurde bekannt, dass der im Jahr 1937 in Velbert geborene Künstler bereits am 10. Dezember verstorben ist. Ob Ruthenbeck nun letztlich als Minimalist oder Konzeptkünstler gelten muss oder es ihm doch womöglich um Kinetik ging, war lange nicht zu beantworten, womöglich hatte Johannes Cladders recht, der ihn schon "klassisch" nannte, als Ruthenbeck, ein ausgebildeter Fotograf, noch bei Joseph Beuys studierte. Ruthenbeck selbst räumte in Gesprächen stets seine große Faszination für Konzeptkunst ein, arbeitete aber zeitlebens mit Stoff, zerknülltem Papier oder Asche. "Um ganz aus dem Stofflichen herauszugehen, bin ich zu sinnlich". Es ging um Polarität, um Dualismen, und er fand Ende der Sechzigerjahre sofort Aufmerksamkeit, als es für epochale Ausstellungen wie die "Prospect 68" in Düsseldorf oder Harald Szeemans "When Attitudes become Form" ausgewählt wurde. Ruthenbeck, der seit 1980 in Münster an der Akademie unterrichtete, hat viermal an der Documenta teilgenommen. Dass sein Werk immer noch provoziert, zeigte eine Schau in der Londoner Serpentine Gallery vor zwei Jahren. In Leserbriefen bemängelten Besucher, dass die "Umgekippten Möbel" sie an Tatorte oder unartige Enkelkinder erinnerten. Doch zeichnet es Ruthenbeck aus, dass er es den Dingen gestattete, sich einmal um die eigene Achse zu drehen. Ein Tisch, der mit einem Bein auf einer Kugel balanciert, ist in genau dem Gleichgewicht, das man stabil nennt. In dem Schwebezustand, das für Reiner Ruthenbeck das Äquivalent war zu Stille.

© SZ vom 28.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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