Redneck-Intrigen:Blut ist dicker als Feuerwasser

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Der eine ist der Sheriff, der andere regiert das Crystal-Meth-Unternehmen der Familie. Ein Bruderzwist in den Bergen des Bible Belt, lakonisch erzählt in Brian Panowichs Country Noir "Bull Mountain".

Von Tobias Sedlmaier

Die Südstaaten Amerikas stellen, was die Kriminalität angeht, eine ganz eigene Form der Hölle auf Erden dar, wie man jüngst in der Erfolgsserie "True Detective" wieder feststellen konnte. Das Verbrechen scheint in diesen menschenarmen, teilweise unberührten Landstrichen eine Naturgewalt zu sein. Die dort herrschenden Gesetze sind so archaisch wie die daraus resultierenden Konfrontationen gnadenlos und unabwendbar. Schrot um Schrot, Kiefer um Kiefer. Sterben und sterben lassen, wenn einem einer zu nahe kommt. Die Überlegungen des französischen Anthropologen René Girard zur Gewalt als Mittel gesellschaftlicher Reinigung kommen einem in den Sinn, wenn man Geschichten aus dem sogenannten Bible Belt liest, dessen Staaten eine starke Kulisse für die ganz großen Krimikonfrontationen bieten.

In Brian Panowichs Thriller "Bull Mountain" kommt der Teufel nicht wie in dem Country-Klassiker der Charlie Daniels Band für einen Geigencontest nach Georgia, sondern aus Rache. Seelen fordert er dennoch am Bull Mountain, wo die Burroughs-Familie seit mehr als siebzig Jahren zuerst Schnaps, später Hasch, irgendwann Crystal Meth produziert und weiterverkauft. Alle Familienmitglieder sind verbunden mit dem Berg, an dem der Begriff "Heimat" tatsächlich noch Verwurzelung bedeutet; ein Ort, an dem die harten Männer stets die Waffe bei sich haben und gut zu nuschelnde Namen wie Cooper oder Gareth tragen und die Väter mit einem kaugummiartig in die Länge gezogenen "Deddy" tituliert werden. Die streng patriarchalische Clan-Historie wird in verschachtelten Rückblenden ausgebreitet, eine Geschichte getränkt in Blut, in der Fäuste und Feuerwaffen den leisesten Widerspruch unterdrücken und der symbolische Vatermord wörtlich genommen wird.

Brian Panowich: Bull Mountain. Thriller. Aus dem Englischen von Johann Christoph Maass. Suhrkamp Taschenbuch, Berlin 2016. 335 Seiten, 9,99 Euro. (Foto: verlag)

Ein düsteres Biotop aus Soziopathen also: Verhärtete Männer, verzweifelte Frauen, verlorene Kinder. Die einzige Hoffnung für die wenigen noch nicht korrumpierten Polizisten ist Sheriff Clayton Burroughs, der jüngste Sprössling des Clans. Aber selbst der inzwischen trockene Alkoholiker hat sich arrangiert, hilflos zwischen Pflichterfüllung und einem letzten Rest Treue gegenüber seinem gewalttätigen Bruder Halford. Zumindest bis besagter Teufel in Gestalt eines Bundesagenten in sein Büro tritt und ihm ein Angebot zur endgültigen Beendigung der Machenschaften am Bull Mountain macht, das er nicht ablehnen sollte.

Doch in Georgia gelten andere Gesetze als bei der Cosa Nostra: Treueschwüre sind selbst innerhalb der Familie keinen Packen Kautabak wert, und letztlich hat jeder mit seinem Nächsten noch eine Rechnung zu begleichen. So können die Fronten in der whiskeygeschwängerten Luft leicht mal verschwimmen. Es ist nicht allein die von Panowich so stimmungsvoll wie cool eingefangene Atmosphäre, sondern die Unbarmherzigkeit, mit der die puzzleartige Handlung voranschreitet, die "Bull Mountain" von einem gewöhnlichen Thriller abhebt. Zwar schwingt stets die Unberechenbarkeit der handelnden Figuren mit, die entweder den Finger am Abzug haben oder ins Gras beißen müssen, doch über den bloßen Spannungseffekt hinaus besitzt dieser bemerkenswerte Erstlingsroman die Wucht einer antiken Tragödie. Seine Protagonisten wollen die Geister der Vergangenheit ruhen lassen und werden sie doch bis zum letzten Satz nicht mehr los.

Brian Panowich: Bull Mountain. Thriller. Aus dem Englischen von Johann Christoph Maass. Suhrkamp Taschenbuch, Berlin 2016. 335 Seiten, 9,99 Euro. E-Book 9,99 Euro.

© SZ vom 12.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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