Rechtsstreit:Wollsocken für die Freiheit

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Das Verfassungsgericht in Karlsruhe berät über die Verfassungsbeschwerde des Magazins Cicero. Was ist höher zu bewerten: Beihilfe zum Geheimnisverrat oder der Freiheitsraum der Journalisten?

Heribert Prantl

Wenn die Staatsgewalt heute bei einer Redaktion vorfährt, interessiert sie sich für Computer und Festplatten - und beschlagnahmt erst einmal, was das Zeug hält. Der Chefredakteur (im aktuellen Fall Wolfram Weimer vom Monatsmagazin Cicero) wendet sich dann hilfesuchend an das Bundesverfassungsgericht. Es verhandelte deswegen soeben darüber, was die Pressefreiheit heute im Alltag wert ist.

Unterhaltsam auch außerhalb der Artikel: Eine Mitarbeiterin des Politikmagazins 'Cicero' in Potsdam. (Foto: Foto: dpa)

Früher stürzte sich die Staatsmacht nicht auf Computer, sondern auf Druckerpressen. Als die Polizei in seine Redaktion marschierte und die Druckmaschinen unbrauchbar machte, reichte der Chefredakteur vom Boten aus dem Westen mit folgender Begründung Klage ein: Das Versiegeln von Druckerpressen sei genauso verfassungswidrig wie das Versiegeln von Backöfen.

Ein alemannischer Hitzkopf

Das ist 175 Jahre her, der Journalist damals hieß Philipp Jakob Siebenpfeiffer; er war ein alemannischer Hitzkopf, ein demokratischer Revolutionär und Anführer des Hambacher Festes.

Er landete deswegen im Gefängnis - so wie drei deutsche Verfassungen später, 1962, Rudolf Augstein; beim Spiegel wurden zwar nicht, wie ehedem bei Siebenpfeiffer, die Druckerpressen versiegelt, aber die Redaktionsräume besetzt und die Redakteure verhaftet - wegen angeblichen Landesverrats.

Mittlerweile reicht es schon drei Nummern kleiner: Beim Magazin Cicero (und Dutzenden von Zeitungs- und Rundfunkredaktionen in den vergangenen Jahren) wurde und wird wegen "Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses" durchsucht.

Dem Journalisten Siebenpfeiffer hat seinerzeit weder seine Klage noch der Beifall und die Begeisterung der Öffentlichkeit etwas geholfen. Er musste in die Schweiz fliehen, starb schließlich entnervt in der Privatirrenanstalt von Bümliz. Man muss sich den unbändigen Freiheitskämpfer am Lebensende in der Zwangsjacke vorstellen.

Publizistischer Hochadel

Es dauerte lange, bis die Pressefreiheit die Zwangsjacke endgültig sprengte, und zwar erst in den Jahren 1962 und danach: Die Spiegel-Affäre wurde zum demokratischen Fegefeuer der jungen Bundesrepublik; Rudolf Augstein wurde in den publizistischen Hochadel erhoben; und das Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1966 wurde zum Triumph der Pressefreiheit - seitdem ist sie "ein Wesenselement des freiheitlichen Staates".

Für einen solchen Satz war Siebenpfeiffer ins Zuchthaus geworfen worden und musste dort, wie es den Häftlingen damals zur Auflage gemacht wurde, wöchentlich drei paar wollene Socken stricken. Hätte er geahnt, dass sein Satz eines Tages vom höchsten deutschen Gericht gerühmt werden würde - er hätte vor Freude sechs Paar gestrickt. Und hätte er dann erlebt, wie die Karlsruher Sätze in der Rechtspraxis der vergangenen Jahre wieder kleingemacht wurden - er hätte die Socken wieder aufgetrennt.

Aus Zeiten der RAF

Was ist passiert? Seitdem der seinerzeitige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann in den Zeiten des RAF-Terrors den Satz formulierte, nicht die Pressefreiheit, sondern die innere Sicherheit sei notleidend, und daher müsse sich im Zweifel die Pressefreiheit unterordnen - seitdem mehren sich die Duchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen in Dienst- und Privaträumen von Journalisten.

Sie gelten als Missbraucher der Pressefreiheit, wenn und weil sie Unregelmäßigkeiten in Staat und Verwaltung aufdecken und dabei angeblich Dienstgeheimnisse verletzen. Die Vorwürfe lauten dann immer auf Beihilfe zu einem "Geheimnisverrat" eines Informanten. Wer als Journalist nicht sagt, woher er eine heikle Information hat, muss eben die Folgen tragen. So ist es Praxis geworden. In einem ausnahmsweise einmal größeres Aufsehen erregenden Fall traf es das Magazin Cicero, das die Strafaktion in eine erfolgreiche Marketing-Kampagne verwandelte.

Im September 2005 waren die Cicero-Redaktion und das Wohnhaus von Autor Bruno Schirra auf Antrag der Potsdamer Staatsanwaltschaft durchsucht und Computerdaten sowie sonstiges journalistisches Material beschlagnahmt worden - 15 Kisten. Hintergrund war ein Artikel Schirras im April 2005 im Cicero, in dem er aus einem internen Papier des Bundeskriminalamts über den Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi zitierte.

Die Staatsanwaltschaft sah eine Beihilfe zum Geheimnisverrat gegeben. Zu einem Prozess kam es letztlich aber nicht. Das Landgericht Potsdam lehnte die Eröffnung eines Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts ab. Und so war und ist es bisher in allen Fällen: Erst gewaltiges Trara, dann kommt nichts heraus. Das Journalisten-"Netzwerk Recherche" sieht daher in Redaktionsrazzien Einschüchterungsaktionen.

Überwachte Handys

Vor dem Verfassungsgericht geht es darum, was die vielgerühmten Sätze im Spiegel-Urteil von 1966 heute in der Praxis bedeuten. Bei diversen Entscheidungen - vor allem zur Überwachung von Handys und Telefonen - hatten die Verfassungsrichter zwar die Pressefreiheit im Allgemeinen gepriesen, den staatlichen Eingriff aber dann doch im Speziellen zugelassen.

Der grundrechtliche Knackpunkt ist in all diesen Fällen der gleiche: Informanten müssen damit rechnen, dass sie nicht geheim bleiben. Das Zeugnisverweigerungsrecht des Journalisten (er braucht nicht zu sagen, woher er seine Informationen hat) wird ausgehebelt.

Eigentlich hatte der Gesetzgeber 1979 die Strafbarkeit der "öffentlichen Bekanntmachung von Dienstgeheimnissen" abgeschafft. In der Begründung, mit welcher dieser Strafparagraph 353 c gestrichen wurde, steht ausdrücklich, dass man Journalisten von der Strafbarkeit ausnehmen wolle.

In der Praxis wurde aber die Strafbarkeit auf einem Umweg wieder eingeführt: Nach wie vor gibt es nämlich den von Nazis 1936 erfundenen Paragraphen 353 b, der die Verletzung von Dienstgeheimnissen mit Haft bis zu einem Jahr, in besonderen Fällen bis zu drei Jahren bestraft.

Beistand von den Grünen

Es handelt sich aber um ein sogenanntes Amtsdelikt, Täter kann also nur ein Amtsträger sein. Wenn nun eine staatliche Behörde darüber empört ist, dass Vertrauliches aus dem Amt in der Zeitung steht, geht sie davon aus, dass ein Beamter das Dienstgeheimnis "verraten" hat. Weil sie ihn nicht kennt, leitet sie ein Verfahren gegen unbekannt ein.

Bekannt ist aber der Journalist, der die Informationen veröffentlicht hat. Gegen ihn wird nun wegen angeblicher Beihilfe oder Anstiftung zum Amtsdelikt ermittelt - und so sind Zwangsmaßnahmen gegen ihn möglich, mittels derer man hofft, auf den Informanten zu stoßen. Wäre das seit jeher so Usus, wäre kaum einer der politischen Skandale in Deutschland aufgedeckt worden.

Die Grünen haben ein "Gesetz zum Schutz von Journalisten und der Pressefreiheit", die Freidemokraten ein Gesetz "zur Sicherung der Pressefreiheit" im Bundestag eingebracht.

Beide Gesetzentwürfe laufen auf sehr viel strengere Regeln für die Beschlagnahme von journalistischem Material hinaus; des weiteren verbieten die Gesetzentwürfe, das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten dadurch zu umgehen, dass ihre Telekommunikationsverbindungen kontrolliert werden. Die völlige Abschaffung des Paragrafen 353 b Strafgesetzbuch ist in keinem der Gesetzentwürfe vorgesehen.

Womöglich geht das Verfassungsgericht in seinem Urteil über diese Gesetzentwürfe hinaus. Wie hieß es doch im Spiegel-Urteil: "Eine freie Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates". Zur "Sicherung" des Grundrechts, wie es im Titel der Gesetzentwürfe heißt, ist das Bundesverfassungsgericht zu allervorderst berufen.

© SZ vom 23.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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