Publikumsverhalten:Buuuuuuuuh!

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Katharina Wagner ist das erste Opfer: Zur Festspielzeit haben Buh- und Bravoschreier wieder Hochsaison.

Gottfried Knapp

Da capo: für die Buh- und Bravo-Schreier hat die jährliche Hochsaison begonnen. In den Festspielhäusern jagen sich die großen Premieren - und zu den wichtigsten Nachrichten, die anschließend über die Kulturkanäle laufen, gehören die Meldungen über die Lautstärke und die Dauer der Buhs und Bravos im Schlussapplaus. Natürlich wird auch in ganz normalen Routinevorstellungen in Opernhäusern geklatscht, gebravot und gebuht, doch gewürdigt werden die emotionalen Äußerungen des Publikums nur in Premierenvorstellungen, bei denen etwas auf dem Spiel steht und offizielle Beobachter - sprich: Kritiker - mit gezückten Stiften im Publikum sitzen.

Vielleicht ärgern sie sich gleich über die Aufführung und schreiben die Kulturgeschichte des Buhrufs weiter? (Foto: Foto: AP)

Wer der Erfinder des effektvoll dröhnenden "Buh"-Lauts war und wann diese Art der Missfallensäußerung erstmals angewandt worden ist, wissen weder Meyer noch Brockhaus noch Duden. Doch allgemein bekannt ist, dass musikalische Äußerungen zu allen Zeiten Beifall erregt und Widerspruch provoziert haben. Schon in den Amphitheatern Altgriechenlands wurde bei musikalisch-chorischen Darbietungen rhythmisch geklatscht. Die Römer - Peter Ustinov als Nero hat es unnachahmlich vorgeführt - bezeigten während der blutrünstigen Vorführungen in ihren Arenen den Grad ihrer Anteilnahme mit kleinen Gesten: Man bewegte den Zipfel der Toga hin und her, schnippte mit dem Finger und schlug im besten Fall auch mal die hohlen Hände zusammen; im schlimmsten Fall aber rief man nicht "Buh", sondern senkte den Zeigefinger nach unten, was die Betroffenen drunten im Sand in der Regel nicht überlebten.

Seit dem Barock ist das Klatschen mit den Händen als Beifallsäußerung überall in Europa verbreitet. Kritik an Darbietungen brachte man aber immer schon spontan mit der eigenen Stimme vor. Wo aber mitgebrachte Lärminstrumente zum Einsatz kamen, war die Vorsätzlichkeit der Störangriffe allzu offensichtlich.

Die Operngeschichte des 19. Jahrhunderts ließe sich als eine einzige Abfolge von spektakulären Misserfolgen nacherzählen. Richard Wagner selber hat einen der größten Theaterskandale provoziert und durchlitten, als er 1861 in Paris nach der Rekordzahl von 164 Proben seinen um das schlüpfrige Venusberg-Bacchanale erweiterten "Tannhäuser" gegen die mit Schellen bewaffneten Protagonisten des Jockey-Clubs, die sich im Raum verteilt hatten, durchsetzen wollte. Nach drei Aufführungen zog er sich zermürbt aus dem Theater zurück, nicht wissend, dass zwischen den Akteuren der Störkommandos einige seiner glühendsten Bewunderer - einige der einflussreichsten Köpfe Frankreichs - saßen.

Bittere Pariser Erfahrungen

Vielleicht waren es die bitteren Pariser Erfahrungen, die Wagner dazu bewegten, im Schlussakt der "Meistersinger" die öffentliche Verspottung eines Musikdilettanten darzustellen und dazu nationaldeutsche Töne anzustimmen. Bei Beckmessers surrealem Versuch eines Preisgesangs melden sich sogar einfache Bürger protestierend zu Wort, ja die Unzufriedenheit der Leute auf dem Festplatz schwillt langsam zum mächtigen Chor an. Doch das uns so bekannte "Buh" scheint den verärgerten Bürgern von Nürnberg noch nicht geläufig zu sein. Diese Form des Protests kam aber erwartungsgemäß nach der diesjährigen "Meistersinger"-Premiere in Bayreuth zum Einsatz: Das mit hysterischer Spannung erwartete Regiedebüt von Wagners Urenkelin Katharina im Festspielhaus und die Leistungen der Sänger wurden genau nach dem Lob-Tadel-Ritual gewürdigt, das überall bei ähnlichen Großereignissen wirksam ist.

Bezahlte Claqueure

Den größten Effekt erzielen Buh- und Bravo-Rufer, wenn sie in der Schocksekunde nach dem Schlusston, in der die anderen Besucher andächtig oder gelangweilt die Hände heben, zwischen den megaphonartig angelegten Händen hindurch einen gellenden Bravo-Schrei oder ein braulöwendumpf röhrendes endloses Buh hinunter auf die Bretter schicken. Dem mild bewegten oder vielleicht sogar emotional aufgewühlten restlichen Publikum bleibt nach einem solchen brutalen Meinungsverdikt, nach einem so obszönen Durchbrechen der Feierlichkeit nichts anderes übrig, als sich erst einmal auf die Gegenseite zu schlagen. Wie sich der Beifall dann aber auf Dauer entwickelt, hängt natürlich von den Leistungen des Abends ab, doch kann ein einzelner Rufer die Stimmung im Raum enorm beeinflussen. Als in den Opernhäusern noch bezahlte Claqueure Dienst taten, wurde der Applaus fast nach Belieben manipuliert. Heute kann es immerhin passieren, dass ein Superstar wie der Tenor Roberto Alagna mitten im Akt die Bühne verlässt, weil er nach seiner Arie ausgebuht worden ist. Solange solche Hinrichtungsrituale und ähnliche Vergöttlichungszeremonien noch funktionieren, wird es - zumindest bei Premieren - in der Oper spannend bleiben.

© SZ vom 27.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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