Prozess gegen Orhan Pamuk:Leeres Ende einer großen Farce

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Das Verfahren gegen Orhan Pamuk in der Türkei wird eingestellt.

Thomas Steinfeld

Am Ende war alles nur noch ein großes Durcheinander: Ob Orhan Pamuk, der türkische Schriftsteller, überhaupt wegen "Verunglimpfung des Türkentums" verurteilt werden könne, ob das Gericht entscheiden könne, bei dem er angeklagt worden war, ob die Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens vom Justizminister gefällt werden müsse.

Der Prozessbeginn gegen Pamuk im Dezember 2005 erregte islamistische und nationalistische Gemüter. (Foto: Foto: AFP)

Ja, für eine Weile war sogar der Brief verschwunden, mit dem das Bezirksgericht des Istanbuler Stadtteils Sisli beim türkischen Jusizminister anfragte, ob es ein Verfahren auf Grundlage einer Rechtslage eröffnen könne, die zum Zeitpunkt des angeblichen Vergehens noch nicht bestanden habe - denn Orhan Pamuks Äußerungen zu den Massenmorden an Armeniern und Kurden waren im vergangenen Februar gefallen, der Paragraph zur "Verunglimpfung des Türkentums" trat erst Monate später in Kraft.

Früher und deutlicher als erwartet hat das Justizministerium in Ankara die Farce nun beendet, auf eine sehr türkische Weise. Wie am Sonntagabend bekannt wurde, wird kein Gerichtsverfahren gegen Orhan Pamuk stattfinden. Einen formellen Beschluss aber hat es dazu nicht gegeben.

Gefährdete literarische Existenz

Das Bezirksgericht von Sisli wurde vielmehr gezwungen, das Verfahren einzustellen, weil sich das Justizministerium weigerte, die Anfrage überhaupt zu beantworten. Das Verfahren blieb sozusagen in der Luft hängen, um dann, nach geraumer Zeit, einfach zu Boden zu fallen. Und niemand will es mehr aufheben.

Dass diese unrühmliche Geschichte nun ein so leeres Ende nimmt, hat seinen Grund nicht nur in der Unhaltbarkeit der Anschuldigungen wie jenes Paragraphen. Dieser Abschluss geht auch zurück auf die Szenen vom Gerichtstermin am 16. Dezember, bei dem das Verfahren gegen den berühmtesten türkischen Autor hätte eröffnet werden sollen.

Schlimmer als die Anklage, schlimmer als der fanatische Nationalismus der Kläger, schlimmer als das ganze Verfahren überhaupt waren die Bilder vom Weg in den Gerichtssaal, den die internationalen Nachrichtensender von diesem Ereignis durch die Welt schickten - und die Berichte vom Auftreten nationalistischer Anwälte im Gerichtsaal, die in ihren Talaren Hassreden hielten, während Orhan Pamuk nicht zu Wort kommen durfte und die Polizisten auf der Straße nur zuschauten.

Das plötzliche Ende des Verfahrens ist vermutlich auch eine Reaktion auf den katastrophalen Eindruck, den dieses Land, das doch der Europäischen Union beitreten will, bei dieser Gelegenheit im Ausland machte. Dass die Türkei wenige Tage nach diesen Ereignissen zwei Sonderermittler benannte, die den Vorfällen auf den Grund gehen sollten, konnte diesen Eindruck nicht ausgleichen.

Der Schriftsteller mag jetzt befreit sein vom Druck eines laufenden Verfahrens. Er mag auch Befriedigung darüber empfinden, dass seine Ankläger so offensichtlich ins Unrecht gesetzt werden. Aber die Bedingungen seiner Existenz haben sich auf eine für ihn persönlich wie literarisch gefährliche Weise geändert.

Er ist jetzt eben nicht mehr nur Schriftsteller, sondern der bekannteste Exponent einer Auseinandersetzung um Menschenrechte und Meinungsfreiheit. Ob er zum Leben als Schriftsteller zurückfinden kann? Man weiß es nicht, man wünscht es ihm. Sein nächstes Buch soll ein Liebesroman sein.

© SZ vom 24.01.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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