Pressegeschichte:Messe und Message

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Erstmals gibt es einen Überblick der Messrelationen. Sie waren als gedrucktes Nachrichtenorgan, das ab Ende des 16. Jahrhunderts zweimal im Jahr zu den großen Messen erschien, Vorläufer der Zeitung.

Von Lothar Müller

Auf den großen Messen war seit je der Handel mit Waren aller Art von Erzählungen und Gerüchten umgeben. In der Frühen Neuzeit wurden die Nachrichten ihrerseits zu Waren, zunächst in handschriftlich zirkulierenden und vom frühen 17. Jahrhundert an in gedruckten Zeitungen, wie der Relation in Straßburg oder dem Aviso in Wolfenbüttel. Diese Zeitungen erschienen wöchentlich. Es gab ein periodisch erscheinendes gedrucktes Nachrichtenmedium, das schon etwas länger auf dem Markt war und die Zeitungen gut 200 Jahre lang begleitete: die Messrelationen. Seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts erschienen sie zweimal jährlich, zu den Frühjahrs- und Herbstmessen in Frankfurt am Main und in Leipzig, manchmal auch dreimal im Jahr, wenn es in Leipzig im Januar eine Neujahrsmesse gab.

Ein nicht mehr gebräuchliches Wort, das den Adjektiven täglich, wöchentlich, monatlich, jährlich an die Seite trat, verdankt die deutsche Sprache den Messrelationen. Sie erschienen "messentlich". Ihre Macher fassten zusammen, was ihnen mit Blick auf ihr Publikum zwischen den Messeterminen aufzeichnungswert erschien. Sie waren, wie es das heute unter anderen medialen Bedingungen auch noch gibt, nicht zimperlich beim Kompilieren.

Sie kopierten offizielle Schreiben der Obrigkeit, ließen die Akteure der Höfe und des Militärs auftreten, brachten Auszüge aus schon gedruckten Flugschriften, Friedensverträge, Bündnisse oder Handelsabkommen, Nachrufe auf Politiker und bekannte Gelehrte, bilanzierten Katastrophen, etwa Erdbeben und Überschwemmungen, Unfälle und Schiffsuntergänge, nicht zu vergessen die außergewöhnlichen Verbrechen und die Himmelserscheinungen von den Kometen bis zu den Mond- und Sonnenfinsternissen. Ihr Kern war, was wir politische Berichterstattung nennen würden, aber seit dem späten 17. Jahrhundert umgaben zumal die Frankfurter Messrelationen diesen Kern mit einer Fülle von Rubriken, die nach und nach die chronologische Ordnung ersetzten. All das geschah im Umfang zwischen 16 und etwa 160 Seiten Quartformat, also im gängigen Buchformat. Abonnieren konnte man sie nicht, nur einzeln erwerben.

Lange waren die Messrelationen für die Bibliografen und Bibliothekare ein Sorgenkind. Die Historiker des 19. Jahrhunderts erkannten in ihnen die eigenständige Pressegattung, die sie waren, aber sie waren nur verstreut überliefert, oft in Sammelbänden versteckt und nicht systematisch katalogisiert. Derzeit tritt, begünstigt nicht zuletzt von der Digitalisierung historischer Bestände in Archiven und Bibliotheken, ihre systematische Erforschung in eine neue Phase. In Kürze erscheint, erarbeitet von einem DFG-Projekt am Institut für historische Presseforschung der Universität Bremen, eine zweibändige Bio-Bibliografie zu den Messrelationen, ihren Druckern, Verlegern und Kompilatoren. Und pünktlich zur Frankfurter Buchmesse ist vorab der Begleitband erschienen, in dem Esther-Beate Körber erstmals einen Gesamtüberblick über dieses frühe periodische Nachrichtenmedium gibt.

Manches in diesem Überblick ist an die Spezialisten adressiert. Aber auch der Laie findet hier ein unerschöpfliches Findebuch zur Pressegeschichte bis zum Ende des Alten Reichs 1806: Wie die Reichsangelegenheiten und das Kriegsgeschehen in nah und fern das Publikum erreichten, wie die über Venedig einlaufenden Nachrichten aus dem Osmanischen Reich eingespeist wurden, wie mit den Berichten über die französisch-englischen Kämpfe in Nordamerika die außereuropäischen Nachrichten an Bedeutung gewannen. Kompilator, das war einmal ein abschätziges Wort. Hier lernt man die Kunst des Kompilierens kennen, erfährt, wie die Konfessionszugehörigkeit der Kompilatoren im Zeitalter der Glaubenskämpfe das Nachrichtenwesen offen oder verdeckt prägte, und wie in der Rubrik "Zeichen und Wunder" aus den "Wunderzeichen", in denen Gott mit der Menschheit kommunizierte, im 18. Jahrhundert Himmelsphänomene wurden, die sich von Astronomen wie Edmund Halley berechnen ließen.

Esther-Beate Körber: Messrelationen. Geschichte der deutsch- und lateinischsprachigen ,messentlichen' Periodika von 1588 bis 1805. Edition lumière, Bremen 2016. 382 Seiten, 44,80 Euro.

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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