Portrait: Oscar-Preisträger Danny Boyle:Der Gute sein

Lesezeit: 8 min

Sein Film "Slumdog Millionaire" hat gerade acht Oscars abgeräumt: eine Begegnung mit Danny Boyle, dem Priester unter den Filmregisseuren.

Verena Krebs

Danny Boyle ist auf der Suche nach Kuchen. Es ist fünf Uhr, Danny Boyle ist über 50, und in dem Alter drängt es einen oft mehr nach einer Kaffeepause als nach einer Zigarette. Die PR-Damen laufen, um das Gewünschte aufzutreiben, Danny Boyle leiht sich inzwischen höflich einen Laptop aus. "Er hat keinen Blackberry", wispert die Kuchenbeauftragte, "das ist ja unglaublich", wispert man zurück. Der Schauspieler Daniel Craig ist gerade ebenfalls im Bayerischen Hof, um Interviews zu geben. In seiner "Hospitality Lounge" steht ein mannsgroßer James Bond aus Pappe, und viele Journalisten stehen davor und alle sind ein bisschen aufgekratzt. Beim britischen Regisseur Danny Boyle geht es gemütlicher zu.

Danny Boyle hat gut lachen: Sein neuer Film ""Slumdog Millionaire" erhielt acht Oscars. (Foto: Foto: ddp)

Nein, Danny Boyle hat keinen Blackberry. Warum sollte er auch? Seine indische Aufsteigerstory "Slumdog Millionaire" hat acht Oscars gewonnen, er selbst wurde für die beste Regie ausgezeichnet. So jemand hat Statussymbole hinter sich gelassen. Wahrscheinlich hatte er nie welche nötig. Der Regisseur trägt einen grauen Anzug, der nicht weiter erwähnenswert ist, aber Respekt vor den Interviewpartnern ausdrückt. Er hat ein hageres, fast asketisches Gesicht, graue Stoppelhaare und sieht viel besser aus als auf früheren Fotos. Da wirkte er oft etwas grobschlächtig, heute ist er ein in die Jahre gekommener Junge, der sich immer noch für alles begeistert. Genauso begeistert war er bei der Oscarverleihung, als er wie "Tiger aus ,Pu der Bär'" in die Höhe hüpfte, weil er das seinen Kindern vor vielen Jahren für diesen Anlass versprochen hatte. Danny Boyle ist sicher ein netter Papa.

Da war doch noch was? Genau: "Slumdog Millionaire". Mit 15 Millionen Dollar Produktionskosten gilt er in Hollywood fast als Low-Budget-Film, für Danny Boyle ist er eine "typische Rocky-Geschichte". Bis jetzt hat der Film 160 Millionen Dollar eingespielt und mehr als 60 Preise gewonnen. Danny Boyles Werk hat sich ebenfalls aus dem Nichts hochgeboxt. Der Regisseur sagt: "Es heißt, der Film sei so erfolgreich in den USA, weil die Menschen heutzutage Märchen besonders brauchen, in denen einer dem Elend durch persönliche Leistung entrinnt."

Das Straßenkind Jamal hat wie seine Vorgänger die Chance auf das große Geld, aber dieses Mal auf ehrliche Weise, durch seine Teilnahme an der TV-Show "Wer wird Millionär". Aber vor allem sucht er die Liebe. Dazwischen gibt es Slum auf Amphetamin: schnelle Jagden, verzweifelte Fluchten, Glück finden und wieder verlieren. So groß war die Armut noch nie bei Danny Boyle, aber die Zweideutigkeit ist aus den Figuren gewichen. Jamal und seine Angebetete sind einfach nur gut, der menschliche Geist geht nun auf wie eine schöne Blume. Da freut sich jeder Zuschauer, und Danny Boyle ist auf einmal politisch sehr korrekt. Schade eigentlich.

Zumindest hat es ihm im Slum Dharavi, wo die Dreharbeiten stattfanden, ausnehmend gut gefallen. Der Regisseur schwärmt von der unglaublichen Magie des Ortes und sagt: "Jeder arbeitet immerzu, jeder hat ein Ziel, jeder will es zu etwas bringen. Außerdem tun die Bewohner alles für ihre Kinder. In den Slums ist die Unterstützung der Familie sehr wichtig - auf gewisse Weise ein wirklich angenehmer Ort zum Leben." Und er erzählt von seinem Regieassistenten Raj Acharya, der an seinen freien Tagen Straßenkinder unterrichtet.

Danny Boyle predigt von seiner neuen Kanzel über die Erhabenheit der Armen. Dann aber erzählt er wie ein Tourist, der sich auf einer organisierten Tour ins echte Leben des Urlaubslandes gewagt hat, wie entsetzt er zuerst war, dass es so wenig Toiletten dort gibt. Egal, Hauptsache, der Rest stimmt: "In Indien ist alles leidenschaftlicher, im Guten wie im Schlechten. Sie wären entsetzt darüber, wie wir uns in unsere kleinen Zimmer einschließen und nicht wieder rauskommen. Wir schauen Fernsehen, anstatt uns mit anderen Menschen zu umgeben. Die Dinge sind nicht so schwarz-weiß, wie es zunächst den Anschein hat."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Boyle sich nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Oscar 2009: Teppich-Outfits
:Ich hab die Krise

Ich bin ein Spar-Star, lasst mich hier rein: Welcher Promi bewährt sich als Krisen-Helfer und kommt im sparsamsten Outfit zum Oscar? Sehen Sie die Bilder und stimmen Sie ab!

Ruth Schneeberger

Danny Boyle aber strahlt momentan im schönsten Weiß. Kurz bevor es unangenehm hell wird im Zimmer, wird er jedoch selbstkritisch: "Viele Menschen baten mich: Bitte zeig' niemandem, wie arm wir sind. Das ist natürlich schwierig, denn wenn du diesen Ort filmst, wird er auf die Kinozuschauer den Eindruck größter Armut machen." Sein Kameramann Anthony Dod Mantle agierte im Slum ebenfalls wie ein harmloser Tourist, mit einer kleinen Handkamera, den Rest der Technik versteckt im Rucksack. Leonardo DiCaprio bezeichnete Danny Boyles Regiestil einmal als "Apocalypse- Now-Ansatz", manche Inder sehen darin Voyeurismus und einen Armuts-Porno. Aber Indien ist nun einmal extrem, "in den meisten Städten werden die Armen in einem Ghetto zusammengepfercht, und die Reichen ziehen in abgeschirmte und bewachte Viertel, um sich zu schützen. So etwas gibt es in Mumbai nicht. Wenn man über die Stadt fliegt, sieht man: Dort sind die Slums überall", sagt Danny Boyle.

Einige protestierten dennoch gegen den Film, ein Kino wurde gestürmt, und die Filmemacher wurden verklagt. Jetzt, nach dem Oscarregen, sind sie aber versöhnt. Die jungen Darsteller ziehen nun vom Slum in schöne Wohnungen, Danny Boyle hat vor der Oscarverleihung angekündigt, einen Fonds für Kinder in Dharavi einzurichten. Wird am Ende doch noch alles gut?

Hat Danny Boyle die Armut und Verzweiflung anderer ganz direkt erfahren? War er vielleicht einmal Opfer eines Verbrechens? Sein Blick, seine Haltung, sein kalt werdender Kaffee, vom dem er kaum einen Schluck getrunken hat - alles sagt: Ich schütte dir jetzt mein Herz aus. Aber genau das tut er nicht. Stattdessen erzählt er eine harmlose Anekdote über eine Freundin, der ihr Handy gestohlen wurde, während Danny Boyle am anderen Ende der Leitung war. Er macht eine wirklich gute Geschichte daraus, imitiert mit den Füßen die Schritte des Räubers und schnauft, als würde er wegrennen. Außerdem wurde ein paar Mal bei ihm eingebrochen, nichts Weltbewegendes also, das macht doch jeder mit. Danny Boyle ist ein lässiger Großstädter, den solche Lappalien nicht aus der Ruhe bringen können, was für einen Bewohner des beschaulichen Münchens ganz unbegreiflich ist.

Einfach ein guter Mensch

In London gibt es viel Gewalt unter Teenagern, aber sein Vater hat ihm erzählt, dass es schon so war, als er noch ein Kind war. Kein Grund zur Aufregung, London wird nicht zum ersten europäischen Slum. Danny Boyle macht sich keine Sorgen, nicht um die Kriminalität, nicht um die Wirtschaftskrise. "Aber mein Sohn macht sich Sorgen. Ich sage immer zu ihm: Die meisten Menschen, die du triffst, sind anständige, gute Menschen. Sie werden sich um dich kümmern, wenn es dir schlechtgeht." Er zieht die Vokale in die Länge und man lauscht andächtig, wie seine Worte nachhallen.

Hier ist das Lebensmotto des Priesters, zehn Minuten vor Schluss. Und es klingt so, als sei er einfach ein guter Mensch. Ganz ehrlich. Schuld daran ist seine vor zwanzig Jahren verstorbene Mutter: "Sie glaubte immer an das Gute im Menschen, das war ansteckend. Ich bin sehr froh, dass sie mich mit dieser Einstellung infiziert hat. Ich neige heute noch dazu, immer das Beste von anderen Menschen zu halten. Das ist zwar etwas naiv, aber ich traue lieber den Menschen, als dass ich vorsichtig bin. Und das werde ich mir beibehalten, selbst wenn das Vertrauen manchmal enttäuscht wird."

Er ist so wie der kleine Junge in "Millions", der jedem helfen will, mit einem moralisch fast enervierenden Absolutheitsanspruch. Menschen mit Sendungsbewusstsein sind eben manchmal langweilig, da kann Herr Boyle nichts dafür.

Kann man mit dieser edlen Einstellung in Hollywood überleben? Nach seinem Überraschungserfolg von "Trainspotting" hatte ihn der Ruf schon einmal ereilt. Zwar lehnte er es ab, bei "Alien 4" Regie zu führen, drehte dafür aber etwas über wahre Liebe mit Cameron Diaz und über Backpacker ohne Moral mit Leonardo DiCaprio. "The Beach" wurde vor allem deswegen diskutiert, weil das Filmteam angeblich einen Traumstrand demolierte. Für den Regisseur ist das keine Überraschung, denn er denkt - auch nach "Slumdog Millionaire", dass der erste Film eines Regisseurs immer auch sein bester ist. Wegen der Naivität. 2003 bekannte er in einem Interview: "Ich glaube, ich bin nicht der richtige Mann für Hollywood und die haben das gemerkt." Und auch 2009 will er lieber "vom Radar der Öffentlichkeit verschwinden, solange man an einem Film arbeitet". Der Regisseur will nicht von Erwartungen unter Druck gesetzt werden, sondern die Zuschauer erst in den Kinos überraschen "mit dem besten Film der Welt". Auch nach dem Erfolg von "Slumdog Millionaire" will er sich diese Arbeitsweise beibehalten. Spannendes Bekenntnis, leider exakt wortgleich in mehr als einem Interview geäußert.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Boyle seinen Kindheitstraum erfüllt.

Es wird dennoch nur ein frommer Wunsch bleiben. Aber der nette Herr Boyle muss sich keine Sorgen machen: In Hollywood können sie Priester zurzeit gut gebrauchen. Und Danny Boyle ist der Priester der Armen, der Guten und aller Menschen überhaupt. Gerüchten zufolge hat er schon wieder abgelehnt, bei einem ganz großen Hollywood-Film Regie zu führen, und zwar bei James Bond. Sein nächster Film "Ponte Tower" sollte stattdessen wieder in einem Slum spielen, dieses Mal in Johannesburg. Nach den Oscars ist allerdings nicht sicher, ob der Plan noch Bestand hat.

Am Schluss verströmt Danny Boyle noch mal sein ganzes Charisma, er schüttelt die Hand, strahlt, bedankt sich, ist zu hundert Prozent da. Man geht raus und will es ihm gleichtun, jemandem etwas Gutes tun, alle lieb haben, die ganze Welt umarmen. Aber da sind nur die Pressedamen, die in ihren Blackberry starren.

Er wendet sich dem Gesprächspartner mit dem ganzen Körper zu; wenn er überlegt, beugt er sich nach vorne und klemmt die Hände zwischen die Knie. Ich bin ganz bei dir, drückt das aus. Hin und wieder nimmt er einen hastigen Bissen vom Himbeertörtchen, das nach Molekularküche aussieht, und bietet davon an. Ziemlich nett. Viel Zeit nimmt er sich nicht für seinen Kuchen, er redet sehr viel, denn er hat eine Botschaft. Seine Botschaft lautet, in einigen Variationen: "Ich bin dorthin gegangen, um von den Menschen zu lernen."

Der verlorene Sohn

Dabei zieht er die Worte in die Länge und betont sie sehr akkurat. Man lauscht dem Nachhall, den es im plüschigen Ambiente des Salons eigentlich nicht geben kann; es klingt pathetisch und unumstößlich und auf einmal ist klar: Danny Boyle ist jetzt der Priester, der er als Kind werden sollte.

Seine sehr katholische, sehr irische Mutter wünschte sich diese Laufbahn für den Sohn, aber ein Pfarrer, der ihn unterrichtete, riet dem Zwölfjährigen vom Priesterseminar ab. Danny Boyle tut höflicherweise so, als würde ihm diese Frage zum ersten Mal gestellt, er lacht und freut sich diebisch: "Ich war verloren für die Kirche und habe mich stattdessen für Mädchen, Musik und Fußball interessiert. So bin ich hier gelandet." Vor zehn Jahren, als er ein Statement zur Religion abgab, klang das noch anders: pikiert, erheitert, fast ein bisschen zornig und weit weg von der Kirche. Und jetzt war doch nur der Fußball schuld. Er ist ruhiger geworden, wie man so sagt, das ist der Lauf des Lebens.

Damals, 1996, machte Danny Boyle mit "Trainspotting" Junkies zu den neuen Pophelden, das war alles herrlich zweideutig, und natürlich dachten alle, er wäre aus seinem eigenen Film entsprungen, rotzfrech und jung und politisch völlig unkorrekt. Viele warfen ihm vor, der Film würde Drogen verherrlichen und genau das tat er auch. Danny Boyle hat in früheren Interviews recht wohlwollend über Ecstasy gesprochen, aber das haben in den neunziger Jahren viele. Vor allem aber hatte der Engländer da bereits eine Karriere am Theater hinter sich, bei der Royal Shakespeare Company und dem Royal Court, außerdem hatte er als Regisseur fürs Fernsehen gearbeitet. Danny Boyle war wohl nie der große Rebell, als den ihn alle gesehen haben. Er hat stattdessen eine Familie gegründet, war ehrgeizig, hat sich hochgeboxt aus dem einfachen Arbeitermilieu, wie er mehrmals betont: "Ich identifiziere mich mit Charakteren, die einen ähnlichen Hintergrund wie ich haben. Die Mittel- oder Oberschicht interessiert mich einfach nicht. Dagegen kann ich mich gut in Figuren einfühlen, die kämpfen müssen, um ihr Ziel zu erreichen."

Das ist ihm wichtig, die Armut ist sein Lebensthema. Oder vielmehr: die Verlockung des Geldes, das wie eine unterwartete Naturgewalt über die Protagonisten hereinbricht. Sie wollen ihr Stück vom Glück, sei es durch Dealerei, Entführung oder durch die Geldtasche, die in "Kleine Morde unter Freunden" unter dem Bett eines Drogenopfers liegt oder einfach vom Himmel fällt wie in "Millions". Danny Boyles Figuren werden korrumpiert, aber am Ende siegt doch meist das Menschliche - falls sie vorher nicht gestorben sind. Der Regisseur selbst hat an anderer Stelle betont, dass ihm seine Filme wichtiger sind als Geld. Seine Eltern waren nicht nur sehr katholisch, sondern auch sozialistisch.

© SZvW vom 07./08.03.2009/irup - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: