Porträt:Schön ist gar nicht teuer

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Passionierter Kleinverleger in unruhiger Zeit: Sebastian Guggolz. (Foto: Martin Walz)

Sebastian Guggolz hat sich mit seinem Ein-Mann-Verlag auf literarische Wiederentdeckungen spezialisiert und verdient sogar Geld damit. Ein Besuch bei dem idealistischen Berliner Kleinverleger in stürmischen Zeiten.

Von Christoph Schröder

Es ist unmöglich, über den Guggolz-Verlag und seinen Verleger Sebastian Guggolz zu sprechen, ohne dessen großen Coup zu erwähnen: Im September 2015 nahm er als Kandidat an der ZDF-Show "Der Quiz-Champion" teil. Die letzte Runde, in der er sich gegen einen Experten aus dem Bereich Musik durchsetzen musste, drehte sich um ein Zitat aus der Wagner-Oper "Lohengrin". Guggolz' Gegner war der Popmusiker Sasha, der die richtige Antwort nicht wusste. Guggolz dagegen schon. Er gewann 250 000 Euro und hatte damit auf absehbare Zeit die Finanzierung seines Verlags gesichert. Das war sein Plan gewesen, und so geschah es. Eine Woche später hätte er noch einen Termin bei "Wer wird Millionär" gehabt. Der fiel dann aus.

Sein Businessplan war sehr schön geschrieben, die Banken winkten trotzdem ab

Sebastian Guggolz ist eindeutig ein Mann mit Mut und mit Ideen. Vor allem aber strahlt er etwas aus, was für einen unabhängigen Kleinverleger in ökonomisch unübersichtlichen Zeiten unerlässlich zu sein scheint: Enthusiasmus. Guggolz hat Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften studiert. 2006 fing er als Praktikant bei Andreas Rötzer im Berliner Verlag Matthes & Seitz an, zwei Jahre später wurde er als Lektor angestellt. Der Verlag erlebte einen Aufschwung, fand Anerkennung in den Feuilletons und beim Publikum. Er wuchs. Und irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, an dem Guggolz das Gefühl hatte, nicht mehr so frei und selbstbestimmt arbeiten zu können wie die Jahre zuvor. Er wollte einen eigenen Verlag auf die Beine stellen, kündigte bei Matthes & Seitz und legte einen Businessplan vor.

"Mit 31 Jahren", sagt Guggolz, "ist man noch naiv und tatkräftig genug für so etwas." Die meisten Banken gaben ihm noch nicht einmal einen Termin, bei allen anderen biss er auf Granit. Immerhin sagte man ihm, sein Businessplan sei wirklich sehr schön geschrieben. Die Hausbank seines Vaters erbarmte sich schließlich und warf einen Gründungskredit aus. Im Herbst 2014 erschienen die ersten beiden Titel im Guggolz-Verlag: Der Roman "Die Großwäscherei" des 1945 verstorbenen Andor Endre Gelléri und "Hiltu und Ragnar", ein Buch des einzigen finnischen Literaturnobelpreisträgers Frans Eemil Sillanpää, gestorben 1964.

Die programmatische Ausrichtung des Verlags war damit klar festgelegt: Guggolz veröffentlicht ausschließlich Autoren aus Ost- und Nordeuropa. Und er setzt auf Wiederentdeckungen. Gegenwartsliteratur gibt es nicht im Guggolz-Verlag. Das hat gleich mehrere Gründe: Zum einen glaubt Sebastian Guggolz, dass der Markt im Bereich der angelsächsischen und französischen Literatur hinreichend sondiert und abgesteckt ist. Zum anderen sind, das verschweigt er nicht, die Rechte für die Werke toter Autoren günstiger zu erwerben. Und drittens macht es ihm ungeheure Freude, mit Übersetzern zusammenzuarbeiten: "Man steht gemeinsam auf einer Seite. Bei der Arbeit mit lebenden Autoren spielen, um es vorsichtig zu sagen, andere Aspekte eine Rolle. Psychologische. Gemeinsam mit einem Übersetzer lässt sich ungeheuer tief in einen Text eindringen."

Er habe, sagt Guggolz, über Jahre hinweg gesucht und gesucht, gelesen und gelesen. In Antiquariaten, Bibliotheken, Archiven. Hat nach Querverweisen geforscht, alte Übersetzungen aufgetrieben, mit Übersetzern gesprochen, sich Tipps und Anregungen geholt - und ist auch immer wieder seinen ganz eigenen Vorlieben gefolgt: Er habe, sagt er mit einem leisen Lächeln, schon immer eine Vorliebe für doppelte Vokale gehabt. Darum habe er unbedingt ein Buch des Finnen Sillanpää verlegen wollen. Das kann man glauben oder nicht. Dass Finnland im Herbst 2014 der Ehrengast der Frankfurter Buchmesse war und dieser Umstand Guggolz gleich zum Einstand einen respektablen Verkaufserfolg beschert hat, war mit Sicherheit Teil des verlegerischen Kalküls.

Guggolz ist begeisterungsfähig, eigenwillig und selbstbewusst. Schöne Bücher will er machen. Mit Siebdruckeinband, Fadenheftung, farbigem Vorsatzpapier und Lesebändchen. "Fast ein bisschen bestürzt" sei er gewesen, als er feststellte, dass die recht aufwendige Ausstattung seiner Bücher gar nicht so teuer ist. Eine Beschränkung der Kapazitäten erlegt ihm sein Ein-Mann-Betrieb dennoch auf: Zwei Bücher pro Saison, also insgesamt vier Bücher jährlich, erscheinen im Guggolz-Verlag. Neben dem Sillanpää-Roman dürften die erfolgreichsten Titel Michail Prischwins Roman "Der irdische Kelch" und die von Esther Kinsky aus dem Englischen übersetzten "Szenen aus Schottland" von James Leslie Mitchell gewesen sein. Die Prischwin-Übersetzerin Eveline Passet wurde Ende Januar mit dem Zuger Übersetzerstipendium in Höhe von 50 000 Schweizer Franken bedacht, dem höchstdotierten Übersetzerpreis im deutschsprachigen Raum. Ein Projektzuschuss für ihre Arbeit an der Übersetzung von Prischwins Tagebüchern, die, versteht sich, im Guggolz-Verlag erscheinen werden.

Der Verleger kann sich über das Projekt in Begeisterung reden: Von 1905 bis zu seinem Tod im Jahr 1954 hat Prischwin Tagebuch geführt; "ein Projekt von Klemperer'schem Ausmaß", sagt Guggolz. Vier der insgesamt 18 Bände sollen nun in den kommenden Jahren übersetzt werden. "Ich möchte", so Guggolz, "keine Kompromisse machen. Ich mag wirklich abseitige Bücher. Und es kann nie genug davon geben." Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse wird der Guggolz-Verlag mit dem Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung ausgezeichnet; einige Wochen zuvor, Ende Februar, erscheinen die beiden Frühjahrstitel: "Professor Hieronimus", ein Roman der Norwegerin Amalie Skram, übersetzt von Christel Hildebrandt, und "Reisen ohne Ziel", eine Sammlung autobiografischer Reisetexte des schwedischen Literaturnobelpreisträgers Harry Martinson, übersetzt von Verner Arpe und Klaus-Jürgen Liedtke.

2019 ist Norwegen Ehrengast der Buchmesse, Guggolz nimmt schon Sprachunterricht

Sebastian Guggolz redet mit Verve und Hingabe über seine Bücher. Er ist weder Fantast noch Reaktionär. Sicher, sagt er, etwas Konservatives stecke in seiner Arbeit. Aber: "Ich publiziere zeitgenössische Bücher, die sich der gesellschaftlichen Wirklichkeit widmen. Ich habe keinen gegenwartsverachtenden Impetus. Ich nehme die Rufe aus der Vergangenheit auf und versuche, sie zu beantworten." Geld verdient er damit noch immer nicht. Der Verlag trägt sich selbst, aber Guggolz lebt von Nebenjobs. Der Quiz-Gewinn ist seine Rücklage. Die missliche Situation, in die viele Kleinverlage durch die Nachforderungen der VG Wort zu geraten drohen, trifft ihn dagegen nicht. Da sein Verlag nach 2012 gegründet wurde, hat er nie Geld von der VG Wort erhalten, folglich drohen ihm auch keine Rückzahlungen.

Stattdessen hat Guggolz ein anderes Projekt angepackt: 2019 ist Norwegen Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Sein Programm für den Herbst 2019 steht bereits. Und er hat begonnen, Norwegisch zu lernen. Wann er das alles macht? "Verleger und Politiker", sagt Sebastian Guggolz gut gelaunt, "müssen mit fünf Stunden Schlaf auskommen."

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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