Porträt:Die fidele Feministin

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Der kleine Unterschied und seine großen Folgen: Das Medien-Phänomen Alice Schwarzer

Claudia Tieschky

Am Abend vor der Bundestagswahl nahm die Berliner Polizei eine 32-Jährige fest, die Unter den Linden Wahlplakate mit dem Bild der Journalistin Alice Schwarzer überklebte. Die Frau, die da Politiker zur Emma machte, wäre auch ohne das Eingreifen der Beamten nur unwesentlich weitergekommen, denn laut Meldung war ihr Kleister-Eimer "fast geleert".

Medial so weit gekommen wie Alice Schwarzer jedenfalls ist im Wahlkampf 2005 unter den Journalisten nur Hans-Ulrich Jörges vom Stern. Das steht in einer Studie des Kölner Instituts IFEM zu jenem Fernseh-Wahlkampf, den das Land - "Sieg oder Viktoria!" - am Ende für die Mädchen entschied.

Die Frau, die einmal Schwanz-ab-Schwarzer war

Der kleine Unterschied: Jörges wurde der konservativen Medienkampagne verdächtig; Emma-Chefin Schwarzer wurde "Journalist des Jahres". Höchstens witzelte ein Juror des Medium Magazins: "Obwohl immer schwärzer, wird sie immer weiser." Ansonsten formulierten die Preis-Vergeber druckernst: "Das Kanzlerin-Wahljahr war auch das Jahr der Alice Schwarzer." Und: "2005 ist sie endgültig zur unüberhörbaren Stimme geworden."

Manche meinen, dass Alice Schwarzer, geboren 1942 in Wuppertal, schon immer endgültig unüberhörbar war. Das "Kanzlerin-Wahljahr" fand statt: 34 Jahre nachdem die frauenbewegt aus Frankreich zurückgekehrte Schwarzer im Stern den Skandal-Report "Ich habe abgetrieben" lanciert hatte; 30 Jahre nach "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" und der Wortkeilerei mit Esther Vilar (Der dressierte Mann) im WDR; 28 Jahre nach Gründung der Emma. Die Frau, die einmal Schwanz-ab-Schwarzer war, nennt man jetzt humorvoll.

Als fidele Feministin erklärte sie nun im Wahlkampf-TV bereitwillig, dass eine Kanzlerin für Deutschland überfällig sei, Partei hin oder her. Nur des damaligen Kanzlers Frau Doris Schröder-Köpf war noch weiblicher und schimpfte Schwarzers Favoritin Merkel, weil sie keine Kinder hat.

Da schlug die Ober-Emma, die sich im TV schon mit Verona Feldbusch duelliert hatte (Bild: "Brain meets Body"), verbal zurück. Ihre Lebenswerk-Sätze jedoch katapultierten sie diesmal direkt in den Medienhimmel über Berlin. Sie kam damit zu Beckmann, Maischberger, Kerner und zum Talk der Woche bei Sat1; sie trat in Merkel-Porträts auf und kommentierte fürs ZDF das TV-Duell. Das vermutlich hielten die Juroren des Medium Magazins für unüberhörbar.

Alice Schwarzer ist auch schon vor dem "Kanzlerin-Wahljahr" geehrt worden. Die heitere Stadt Köln beispielsweise widmete ihr einen Wagen im Rosenmontagszug. Doch seit 2004 wächst ihr Promi-Faktor mächtig. Es gab einen Bambi für den Auftritt bei "Wer wird Millionär?", dann hob Frankreich Alice Schwarzer in den Stand eines Ritters der Ehrenlegion; den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen erhielt sie zugleich mit WAZ-Verlegerin Anneliese Brost, 84, der sie beim Festabend Emma-Qualität bescheinigte.

Im Dezember wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen, der Verlag Gruner+Jahr rief sie in die Jury des Henri-Nannen-Preises, im Februar erhält sie die Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft. Stationen einer Seligsprechung.

Arte folgt dem Trend und schickt die Emma-Chefin jetzt "Durch die Nacht" mit dem Regisseur Leander Haußmann. Da erzählt sie von alten Kämpfen und davon, wie sie der französische Geheimdienst anheuern wollte, um die Pariser Linke auszuspionieren. Beim Essen gestehen sich beide, dass sie Angela Merkel süß finden. Haußmann: "Was hat die SPD getan, dass ein linker Intellektueller wie ich die CDU wählt?" Alice Schwarzer schenkt Rotwein nach und sagt, wie doch die SPD runtergekommen sei.

Who's that girl?

Natürlich wäre die Behauptung gestrig, dass es sich bei der Auszeichnung des Medium Magazins um einen Macho-Preis handle, bloß weil die Jury aus 34 Männern und neun Frauen besteht. Oder weil es dort "Journalist" des Jahres heißt. "Nein, nein, die männliche Form ist in diesem Fall nicht als sexistisch zu verstehen, sondern will nur klarmachen: Es handelt sich um einen geschlechterübergreifenden Preis", beschwichtigt Schwarzers Homepage vorsorglich ihre Emmas.

Und wirklich: Hatte sich nicht der vorherige (männliche) Preisträger Frank Schirrmacher mit seinem Traktat Männerdämmerung - Frauen übernehmen die Bewusstseinsindustrie schon Mitte 2003 als Schwarzer-Denker zu erkennen gegeben?

Im September beschied Schwarzer Angela Merkel im Emma-Interview noch strengstens: Es sei nicht verborgen geblieben, "dass Sie, seit Sie Parteivorsitzende sind, das Thema Frauen meiden wie der Teufel das Weihwasser." Andere Weiblichkeits-Forscher suchten bei Merkel nicht wie die Feministin Positionen zu Zwangsprostitution und Kinderbetreuung - sondern Antwort auf die Frage: Who's that girl?

Sättigung öffentlicher Neugier auf die femme politique griff da aufs Schönste mit der Wahlkampagne ineinander. Zwar gerieten orange- und apricotfarbene Angie-Offensiven eher unbeholfen. Doch recherchierten aparte Frauenblätter wie Brigitte, Cosmopolitan und Freundin zielgruppengenau Merkels menschliche Seite. Auch flankierte stets dezent die unionsbewegte Medieneleganz der Netzwerkerinnen Friede Springer, Liz Mohn, Patricia Riekel und Sabine Christiansen.

Alice Schwarzer aber wurde Anfang 2005 auch als Moderatorin eines Polit-Talks bei RTL gehandelt - möglicherweise in Erinnerung ihres Wirkens für den Sender bei der Interviewreihe Kreuzfeuer mit Johannes Gross. Daraus wurde nichts, und es fand sich was Besseres.

Das Land nämlich war durchaus verdattert von der Aussicht, statt vom Basta-Kanzler von einer Ost-Frau regiert zu werden. Kan-di-dat? "Nö" ging medial und imagemäßig wirklich gar nicht, weil Deutschland doch modern ist und weltoffen, und keine Vorbehalte gegen Ostdeutsche und Frauen hat.

Dummerweise aber war ein strahlendes, frauenbewegtes Ja schwer zubekommen. Nicht von den wahlkämpfenden Grünen, nicht von des Kanzlers SPD, und Unions-Ministerpräsidenten wirkten in der Sache ebenfalls nicht recht überzeugend. Da kam Alice Schwarzer, lächelte ein breites Katzenlächeln und sagte Ja. Sie war Deutschland.

© SZ vom 07.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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