Porträt aus dem SZ-Magazin: Nina Ruge:Die letzte Lady am Mikrophon

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Sie ist eine Dame. Sie ist schön. Sie ist erfolgreich. Nina Ruge hat inzwischen schon 2000 Mal "Leute heute" moderiert. Das verdient Respekt. Wir applaudieren und verbeugen uns entsprechend gebührend.

Christian Mayer

Alles wird gut, das geht gar nicht anders bei dieser Frau. Die Geschichte handelt von einer einzigartigen Karriere bei einem öffentlich-rechtlichen Sender, in der Sprache des Boulevards: Junge, ehrgeizige Lehrerin steigt auf zur bekanntesten Moderatorin im ZDF. Eine Erfolgsstory mit traumhaft schönen Bildern! Gönnen Sie sich ein paar magische Glücksmomente, lassen Sie diese Geschichte auf Ihre Sinne wirken. So wie die Ruge das macht, in ihren Büchern und im Fernsehen.

(Foto: Foto: dpa)

Greifen wir ins Archiv, das für einen anständigen Promi-Beitrag unbezahlbar ist: Da betritt Nina Ruge, 48, vor einigen Wochen das "Kempinski Hotel Vier Jahreszeiten" in der Maximilianstraße in München, verfolgt von Kameraleuten und Reportern. Es geht, wie so oft bei ihr, um einen guten Zweck; die Felix-Burda-Stiftung kämpft gegen Darmkrebs, also kämpft die Moderatorin mit, als ehrenamtliche Aufklärerin. Die Kameras gleiten über ihr Outfit, sie trägt ein figurbetontes Chiffonkleid, klassisch in Schwarz, dazu brombeerfarbene Pumps mit lila Riemchen - solche Details sind entscheidend. Lächelnd schreitet sie über den roten Teppich, "Nina, Nina", rufen die Fotografen. Nina macht, was sie wollen. Schlank wie ein Model ist sie. Kein Wunder, wenn man mittags in der ZDF-Kantine am liebsten Gemüse mit ein wenig Reis isst und noch dazu jeden Morgen eine halbe Stunde joggt. Sie ist beinahe perfekt. Kein Versprecher kommt über ihre Lippen, locker scherzt sie über drei Tische hinweg mit dem Schauspieler Erol Sander. Einmal entwickelt sich ein Zweikampf, als ihr ein redseliger Mediziner das Mikrofon entreißen möchte - aber Ruge behält die Kontrolle. Alte Moderatorenregel: Nie das Mikro loslassen!

Schnitt. Die Privatsender von Unterföhring. ProSieben, Kabel 1, Premiere - eine Welt für sich. Der Münchner Ableger des ZDF residiert bescheiden am Ende der Medienallee, in einem schmucklosen Betongebäude. Um kurz nach elf sitzt Nina Ruge am Computer in ihrem kleinen Büro. Sie ist eine fleißige, disziplinierte Kollegin, das bestätigen alle im Haus. An einer Stange hängen die Kleider, die sie von Escada, Strenesse oder Laurèl zugeschickt bekommt - alles Sachen, die sie in der Sendung tragen wird. In einer Schale blubbert Himalaya-Salz, gut fürs Raumklima. Der Besucher bekommt eine Tasse Wohlfühl-Tee eingeschenkt, dann spricht Nina Ruge über ihren Job. Sie ist es gewohnt, interviewt zu werden. "Seit 17 Jahren bin ich so gut wie jeden Tag auf dem Schirm. Wenn sich die Leute nicht für mich interessieren würden, hätte ich was falsch gemacht."

Routine ist auch ihre Sendung, kommenden Donnerstag moderiert sie zum 2000. Mal Leute heute. Täglich schauen mehr als drei Millionen Menschen zu, wenn sie für eine viertel Stunde aus der Welt der Reichen, Schönen und Adligen berichtet. Charles und Camilla rauf und runter. Dazu ehemalige Schlagerstars, altbekannte Schauspieler, aktuelle Schönheiten, jede Menge Hochadel. Mode, Hochzeiten, Trennungsgeschichten, Krankheiten, Liebesglück, mit der passenden Musik unterlegt. Wenn gerade Oscar-Verleihung ist, dann fliegt Nina Ruge auch mal nach Hollywood, stellt sich vor das Kodak Theater und himmelt Schauspieler an.

Um kurz nach fünf beginnt bei Leute heute die heiße Phase, Nina Ruge erscheint im Studio. Während sie noch einmal ihren Text durchgeht, schleicht sich Iris, die Maskenbildnerin, heran und bürstet ihr die blonden Haare auf. "Schnuckiputz" oder "Schätzchen" nennt die Ruge ihren Regisseur und ihre Maskenbildnerin, sie liebt alle Spielarten der Verniedlichung. Für diese Sendung trägt sie Designer-Jeansjacke, einen grauen Rock, so wie ein Mädchen, das sich damenhaft aufgetakelt hat - oder ist es umgekehrt?

Es wird ganz ruhig im Raum, dann läuft der Jingle, der für ZDF-Verhältnisse ungeheuer dynamisch klingt. Nina Ruge lächelt und leitet über von einem Minuten-Drama zum nächsten. Der Prozess gegen Michael Jackson geht in eine weitere heiße Phase, die Schnulzensängerin Romina Power dementiert das Gerücht, dass ihre Tochter lebt. Durchschnitt. Nur einmal muss sich die Moderatorin zusammenreißen, nach einem Beitrag über Franka Potente. Die flippt plötzlich aus, als die Reporter nur nach ihrer gescheiterten Beziehung fragen. Nina Ruge würde jetzt furchtbar gern eine kleine Boshaftigkeit loswerden. Macht sie dann aber nicht, als sie auf Sendung ist. Schließlich muss sie immer nett sein, das ist ja ihr Problem. Wer ständig Oberflächen polieren muss, fängt irgendwann an, alles wegzuwischen, was nicht glatt und glänzend ist.

Der Erfolg gibt ihr Recht. Sie ist mit 17,4 Prozent Marktanteil die erfolgreichste Klatsch-Verkäuferin im deutschen Fernsehen - auch wenn sie das reflexhaft abstreitet. "Wir machen keinen Klatsch, sondern soft news", das ist einer ihrer Standardsätze. Weiche Promi-Häppchen, von den zwanzig Redakteuren auf diesen lieblichen Leute heute-Ton getrimmt, der Ironie zulässt, aber nur wenn gleich das nächste Kompliment kommt. Und dann passieren ihr doch immer wieder diese Malheurs, zum Beispiel neulich bei dieser Darmkrebs-Gala in München. Als die primadonnenhaft zurechtgemachte und viel zu dick geschminkte Verona Pooth auf die Bühne stakst, um sich einen Preis abzuholen, erlaubt sich Frau Ruge endlich mal eine kleine Gemeinheit: Ob Verona bei ihrer bevorstehenden Hochzeitsfeier nicht auch ein wenig Werbung für die Darmspiegelung machen könnte? Wäre doch für einen guten Zweck. Uups! Die geborene Frau Feldbusch verzieht keine Miene, aber ihr Manager wittert eine Chance, Verona mal wieder auf die Titelseite zu hieven. Und Bild freut sich auf Seite eins über den "hässlichen Zickenkrieg der schönen Fernsehfrauen".

Rückblende. Leute heute würde jetzt Archivmaterial aus den achtziger Jahren zusammenschneiden, als Nina Ruge, Tochter eines Maschinenbauprofessors, beim Berliner Sender Rias Talkshows moderiert. Jetzt müsste man die Szene sehen, in der sie beim Intendanten Stolte vorspricht, da ist sie schon beim ZDF als Spätnachrichten-Frau etabliert. Weil sie endlich mal die Hauptnachrichten moderieren möchte, so wie Petra Gerster oder Dagmar Berghoff. Und Professor Stolte sagt: "Sie bleiben lieber bei den Nacht-Nachrichten, das passt besser zu Ihrem Typ." Schließlich bekommt sie die Chance, bei einem ganz neuen Format einzusteigen - 1997, das Zweite hat gerade den Boulevard entdeckt und will der Konkurrenz wie RTL Exklusiv oder Brisant eine Erfolgsfrau entgegensetzen.

Die blonde Nina mit dem leichten Silberblick ist die Richtige für den Job. Ehrgeizig, geschäftstüchtig, selbstbewusst, charmant, schlagfertig. Sie moderiert für ihr Leben gern, sogar in ihrer Freizeit. Und sie ist zäh, das sollte man nicht unterschätzen. Einmal stand sie bei der Verleihung des Automobilpreises "Das Goldene Lenkrad" auf der Bühne, als ein Feuerwerk ihr Haar versengte - Nina Ruge lächelte und quasselte weiter. Mit schwarzen Geheimratsecken und Brandblasen, wie man auf Archivfotos sehen kann.

Der Anfang von Leute heute war wenig erfreulich für sie, es gab Verrisse und satirische Kommentare. Nicht nur von Harald Schmidt oder Anke Engelke, die als Nina-Parodistin mit affektierter Säuselstimme auftrat. "Ich habe unterschätzt, wie rasch sich eine zehnjährige Nachrichten-Karriere in Luft auflöst", sagt Nina Ruge. Im Sommer 1997, die Quoten von Leute heute waren im Keller, das ZDF hatte ihrer Produktionsfirma gekündigt und den Sendeplatz um eine Stunde in den Nachmittag verschoben. Ziemlich ungemütlich wurde es damals, weil Nina Ruge an einem Nachmittag eine Mercedes-Veranstaltung moderierte und abends einen aufgeräumten Mercedes-Chef in der Sendung hatte, der Nettigkeiten verbreiten durfte. Chefredakteur Klaus Bresser tobte, Nina Ruge schien vor dem Rausschmiss. Der frühere Bild-Chefredakteur Peter Boenisch gab ihr den Rat: "Du musst diese Welle einfach über dich hinwegrollen lassen." Die Welle rollte und die Zuschauer schalteten ein. Derzeit ist Leute heute die Sendung mit den zweitbesten Tagesquoten im ZDF, gleich nach den Heute-Nachrichten.

Zur Hochform läuft die Redaktion immer dann auf, wenn zum Beispiel in einer einzigen Woche der Papst, Harald Juhnke und Fürst Rainier zu Grabe getragen werden und zugleich noch Prinz Charles heiratet. Dann präsentiert sich Nina Ruge auf dem Bildschirm als Vertreterin des mitfühlenden Promi-Journalismus, der in beinahe allen Medien immer wichtiger wird. Ruges Redaktionsleiter Peter Zock formuliert das so: "Wir richten unsere Inhalte feminin aus - schließlich sind unsere Zuschauer weiblich und meist über fünfzig." Leute heute würde sich Zock übrigens freiwillig nicht ansehen, wenn er nicht der Chef der Sendung wäre. Sagt er so nebenbei.

Nina Ruge kann leicht pampig werden, wenn man sie in einem Atemzug mit den Klatsch-Ansagerinnen der privaten Sender nennt. Erstaunlicherweise kommt sie im Gespräch selbst auf die Vorurteile zu sprechen, die über sie kursieren. Dass sie eine gut vernetzte, etwas arrogante Schickimicki-Zicke sei und sich selbst viel zu wichtig nehme. Mehrfach betont sie, wie oft sie als Moderatorin bei Wirtschaftsveranstaltungen gebucht wird und dass sie alles selber schreibt, was sie dann von sich gibt. " Ich bin nicht die Champagnerlady." Es bleibt jedoch dieser Widerspruch: Einerseits glaubt sie, bei ihrem Talent locker in einer Liga mit den Nachrichtenfrauen wie Anne Will und Marietta Slomka mitspielen zu können. Andererseits arbeitet sie eben in der Sparte der inszenierten Wirklichkeit. Paarungswillige Prinzen, Promi-Schwangerschaften und Schauspieler-Dramen, das ist halt kein Staatstheater, nicht mal Christiansen-Gedöns.

Noch eine Tasse Tee? Aber ja doch. Jetzt menschelt es so richtig in ihrem Büro, so was ist ja nicht ganz ungefährlich im People-Journalismus. Das Himalaya-Salz droht überzukochen. Also jetzt schnell eine indiskrete Frage, Frau Ruge, wie war das, als Ihre Beziehung zu Wolfgang Reitzle bekannt wurde? "Wir haben die Sprengkraft völlig unterschätzt", sagt sie leise. Der Manager Reitzle, heute Chef der Linde AG und damals im BMW-Vorstand, vertraute seinem Pressesprecher. Und der empfahl dem Paar einen gemeinsamen Opernbesuch in München - die ideale Bühne, um sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Doch aus dem kalkulierten Coming-out wurde nichts, Bild am Sonntag wusste schon alles. Und so flüchteten Ruge und Reitzle in den Urlaub, buchten den Flug um und wurden kalt erwischt. Beim Einchecken am Flughafen wartete ein Fotograf.

Zwei Lehren hat sie aus dieser Sache gezogen: Zum einen hat sie Respekt vor dem Privatleben anderer Promis - wenn sie nicht freiwillig reden, wird nicht nachgebohrt. Und zum anderen zeigt sie sich mit Reitzle, mit dem sie seit 2001 verheiratet ist, nur selten in der Öffentlichkeit, "vielleicht einmal im Jahr beim Bundespresseball". Kinder haben sie nicht, dafür hat Nina Ruge ein Kinderbuch geschrieben, Lucy im Zaubergarten. Geheiratet wurde unter größter Geheimhaltung in der Toskana, nun führen sie eine Wochenend-Ehe.

Langsam wird sie ungeduldig. Sie würde jetzt ganz gern das Gespräch abschließen, mit einem positiven Gefühl. Also greift sie zu ihrem neuen Büchlein und reicht es dem Besucher. Alles wird gut in der Liebe, eine Sammlung von Zitaten, ausgewählt von Nina Ruge, für die dieser eine Satz zum Lebensmotto geworden ist. Alles wird gut. Klingt gut. Die Floskel kommt ihr leicht über die Lippen. Und das Unglaubliche daran ist: Sie glaubt dran.

© SZ-Magazin v. 27.05.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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