Popkultur und Moral: "Juno" und "Slam":Guck mal, wer da spricht

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Ein Film und ein Roman geben der neuen Popkultur-Generation Y genau das, was sie immer brauchte: Identität.

Andrian Kreye

Es ist ein hartnäckiger Mythos, dass Pop und Moral kulturelle Gegensätze seien. Man könnte das natürlich mit 1968, Woodstock oder den Kommunen 1 und 2 erklären, aber gerade darum geht es ja schon lange nicht mehr. Zumindest nicht im Pop. Im Film und in der Literatur bildeten Pop und Moral oft genug eine funktionierende Einheit. Wie sehr Moral zum Lebensgefühl der gerade noch jungen Generation Y gehört, beweist nun Jason Reitmans grandiose Filmkomödie "Juno".

Da wird die 16jährige Juno (Ellen Page) von ihrem ebenso minderjährigen Freund Paulie (Michael Cera) schwanger. Sie entscheidet sich im Wartezimmer der Klinik gegen eine Abtreibung und gibt das Kind zur Adoption frei. Das klingt zunächst nach Stoff für einen rührseligen Fernsehfilm, aber weil es in "Juno" weniger um das Drama einer viel zu frühen Schwangerschaft als um den Gegensatz zwischen bauernschlauer Moral und bürgerlicher Doppelmoral und einen neuen Generationenkonflikt geht, und weil die Figuren sich dabei subtiler Sprachebenen bedienen, ist der Film eines der überzeugendsten Porträts der gegenwärtigen Popgeneration geworden.

Der Halt der verlorenen Seelen

Eine ganz ähnliche Geschichte erzählt auch "Slam", vom großen Moralisten der Popliteratur Nick Hornby, der mit dem Roman sein erstes Jugendbuch abgeliefert hat. Da verliebt sich der Teenager Sam in das Mädchen Alicia, macht ihr ein Kind, das sie behalten. Wie in allen Romanen von Nick Hornby finden die verlorenen Seelen der Jugend in der moralischen Entscheidung den Halt, der es ihnen erlaubt, erwachsen zu werden.

So wird das Dilemma all jener nach 1948 Geborenen, die es ihr Leben lang nicht schaffen, ihrer eigenen Jugend zu entkommen, immer wieder zum Stoff für ein wunderbar altmodisches Happy End. Das hat in Hornbys Hymne an die Popmusik "High Fidelity" schon wunderbar geklappt, wenn sich der Held gegen die Leidenschaft für die Musik und für die Liebe entscheidet. Und in "About A Boy" lösen sich die Probleme in dem Moment, in dem der Held Verantwortung für einen Jungen übernimmt. Das ist Moral zum Wohlfühlen, weswegen Hornbys Helden in den Verfilmungen auch von so harmlosen Sympathieträgern wie John Cusack und Hugh Grant gespielt werden.

Ganz so einfach macht es sich der Film "Juno" nicht. Weswegen die Reaktionen auf den Film auch von rechts ähnlich empört waren wie von links. Den Konservativen geht "Juno" zu lässig mit den Themen Sex und Schwangerschaft um. Für die Linken ist Junos Entscheidung gegen eine Abtreibung ein Verrat am Kampf für gesellschaftliche Freiheiten. Diese Reaktionen illustrieren vor allem, wie dogmatisch Gesellschaftsthemen immer noch verhandelt werden. Denn letztlich entscheidet sich Juno nicht für ein Wertesystem, sondern für sich selbst.

Neuer Generationenkonflikt

Bei den Adoptiveltern in spe (Jennifer Garner und Jason Bateman) scheint es sich um eine verkrampfte Vertreterin der sogenannten "Family Values" und einen sympathischen Spätjugendlichen mit reicher Popvergangenheit zu handeln, aber das ist ein Trugschluss. Die Frau entwickelt sich von der Zicke zur warmherzigen Mutterfigur, der Mann dagegen vom Popkumpel zum selbstsüchtigen Macho.

Junos Eltern (Alison Janney und J. K. Simmons) spielen dagegen die eher unspektakuläre Rolle einer fürsorglichen Familie, die jede Krise mit freundlichem Pragmatismus meistert. Diese Rollenverteilung ist raffiniert, denn so ziehen Regisseur Jason Reitman und die Drehbuchautorin Diablo Cody die Frontlinien der jüngsten Generationenkonflikte, die eben nicht mehr zwischen den biologischen, sondern zwischen den kulturellen Generationen verlaufen.

Um diesen Konflikt noch zu verschärfen, weist Diablo Cody ihren Figuren sprachliche Ebenen zu, die gerade in ihrer Künstlichkeit so perfekt funktionieren. Denn da bedienen sich die 16jährige Juno und ihre mittelalten, bodenständigen Arbeitereltern genau jenes schlagfertigen, wortgewandten Duktus, mit dem sich die gebildeten Mittzwanziger in den Bohemevierteln der amerikanischen Großstädte ihre eigene Sprachwelt geschaffen haben und den man ganz sicher nicht im provinziellen Suburbia findet, wo Juno und ihre Familie leben.

Weil der Film aber die viel zu junge Juno und ihre viel zu alten Eltern zu Stellvertretern der Generation Y macht, ist die Demontage der vorangegangenen Generation X in den Figuren der hoffnungsvollen Adoptiveltern so konsequent. Sie verraten ihre Verweigerungshaltung und kulturelle Ernsthaftigkeit, wie jede Popgeneration vor ihnen, für ein Stück bourgeoises Glück.

Das alles ist mit einer solchen Lässigkeit, Souveränität und Beobachtungsgabe, so ganz ohne modische Ironien und schlaumeierische Referenzen inszeniert und geschrieben, dass "Juno" zu einem ähnlich freundlichen Plädoyer für die Moral als einziges Gegenmittel gegen bürgerliche Heucheleien wird, wie Nick Hornbys Bücher.

Popkultur und Standesdünkel

Auch Nick Hornby verfügt ja über diese enorme Sensibilität und Beobachtungsgabe, die es ihm erlaubt, selbst im fortgeschrittenen Alter noch Bücher zu schreiben, die den aktuellen Stand der Jugend- und Popkultur in ihrem Kern treffen. Sams Idol ist der elffache Skateboardweltmeister Tony Hawk. Damit hat Hornby eine Generation verstanden, die sich längst aus der Popmusik zurückgezogen hat, weil diese eine Domäne der Elterngenerationen geworden ist und so der Jugend keine Rückzugsmöglichkeit mehr bietet. Extremsportarten aber, für die man stundenlang Tricks und Kunststücke übt, sind das letzte Refugium der Jugend, weil die Erwachsenen da an ihre physischen Grenzen stoßen.

Sam und Alicia befinden sich allerdings im traditionellen Generationenkonflikt, in dem die Frontlinie noch quer über den familiären Küchentisch verläuft. Sie können mit der Popvergangenheit ihrer Eltern nichts anfangen. Sam verzweifelt an der Haltlosigkeit des Vaters und der Ruhelosigkeit seiner Mutter, die es beide nicht geschafft haben, aus den Freiheiten ihrer Jugend einen Weg in eine Form der Stabilität zu finden. Er verzweifelt aber auch am Standesdünkel von Alicias Familie, die dem Generationenkonflikt eine ähnlich ständische Dimension verleihen wie der Zusammenprall zwischen Junos bauernschlauer Lässigkeit mit den bourgeoisen Verkrampfungen von Vanessa und Sam.

So bleibt die Moral ein letzter Halt in einem Labyrinth, in dem man sich zwischen hohler Rebellion und rückwärtsgewandter Popkultur, bürgerlicher Heuchelei und subkultureller Haltlosigkeit verirrt. Deswegen ist dieses Wohlgefühl, wenn die Figuren in "Juno" und "Slam" eine Entscheidung für die Moral fällen, kein reaktionäres Moment, sondern der Aufbruch in eine Gesellschaft, in der die Unsicherheiten der vergangenen Jahrzehnte von einem Wertesystem aufgefangen werden, das es schafft, die neuen Freiheiten mit den alten Grundsätzen zu vereinen. Das gibt der Jugend, was sie immer brauchte - Hoffnung und Identität.

JUNO. USA 2007 - Regie: Jason Reitman. Buch: Diablo Cody. Kamera: Eric Steelberg. Schnitt: Dana E. Glauberman. Mit Ellen Page, Michael Cera, Jennifer Garner. Verleih: Fox, 96 Min.

NICK HORNBY: Slam. Roman. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 324 Seiten, 17,95 Euro.

© SZ vom 19.3.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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