Pop:Sexy Stille, brutal laut

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Des Feuilletons liebste Undergroundband mit Blixa Bargeld (Mitte) spielte zu Ehren des 25-jährigen Bestehens der Muffathalle - in der Philharmonie. (Foto: Robert Haas)

Die "Einstürzenden Neubauten" gastieren in der Philharmonie

Von Dirk Wagner, München

Die Neubauten würden nicht mehr einstürzen, begründete 1995 ihr Perkussionist FM Einheit seinen Ausstieg. Die Einstürzenden Neubauten steckten damals gerade inmitten einer Produktion. Vielleicht auch, weil in diese Arbeit schon viel Kapital floss, entschieden sich die verbliebenen Musiker weiterzumachen. Das daraus resultierte Album "Ende Neu" markierte sodann nicht nur dem Titel nach einen Neuanfang. Im nächsten Album "Silence Is Sexy" vermutete man sogar einen Stilwechsel hin zu ruhigeren Klängen. Und das, wo die Neubauten doch für höllische Lärmattacken standen. Dabei hatte die Band schon auf genügend Konzerten die Bohrmaschine nur ungenutzt in die Luft gehalten, mit der sie einst gelärmt hatte. Als wollte sie mit solcher Geste sagen: Wir könnten, aber . . .

Leiser wurden sie ohne Bohrmaschine freilich nicht. Denn die sexy Stille, die die Neubauten mittlerweile auch in der Philharmonie gestalten, kann brutal laut sein. Selbst die Zigarette, die deren Sänger Blixa Bargeld dabei raucht, um das Verbrennen der darin eingewickelten Tabakblätter nebst des Zigarettenpapiers mit einem entsprechend laut aufgedrehten Mikrofon hörbar zu machen, wird zu einem bis in die letzten Reihen der Philharmonie hörbaren Instrument. Allein da, wo das Stück die Stille beschreibend tatsächlich schweigt, scheint solche Stille, die ganz im Sinn von John Cage den Raum hörbar macht, einige Zuschauer zu überfordern. Dann klatscht auch mal ein Zuschauer unangemessen, womöglich, weil er glaubt, das Stück sei beendet. Der italienische Konzertpianist Arturo Benedetti Michelangeli hatte bei solchen Störungen ein Konzert nicht selten abgebrochen. Und Blixa Bargeld, der dem Maestro vor allem in seinem Verlangen nach Präzision ähnelt, kann da auch verbittert reagieren. Doch an diesem Abend zu Ehren des 25-jährigen Bestehens der Muffathalle als Veranstaltungsort bleibt er gelassen. Dietmar Lupfer, einer der Betreiber der Halle, hatte die Band immerhin schon 1987 in die Alabamahalle geholt und mehrere Jahre als Touragent deren Auslandstourneen organisiert. Es ist darum kein Zufall, dass die Neubauten sowohl als Band als auch in ihren Soloprojekten immer wieder in der Muffathalle gastierten. Doch diesmal bucht Lupfer die Band in die Philharmonie.

Nun sind Pop-Veranstaltungen in Klassikhochburgen seit Benny Goodmans Jazz-Konzert in der Carnegie Hall keine Seltenheit. Und auch in der Münchner Philharmonie hatte schon 1992 während des Art-Projekts des Rosenheimer Konzertveranstalters Franz Abraham die Sängerin der Punk-Band Babes in Toyland den Besuchern in der ersten Sitzreihe vulgär vor die Füße gerotzt. Den Neubauten aber, die schon längst als des Feuilletons liebste Undergroundband auffallen, misstrauen einige Fans der frühen Phase. Fans also, die es bedauern, dass die sogenannte "Greatest Hits"-Tour mit wenigen Ausnahmen nur Songs, die nach jenem eingangs erwähnten Neubeginn entstanden, berücksichtigt. Als würden die Neubauten damit das neue Terrain nicht erobern, sondern gleich die Seiten wechseln. Aber wie soll eine Undergroundband die Seiten wechseln, die schon immer Hochkultur mit anderen Mitteln war. Deren angebliche Hits nur ein Kanon von Songs sind, die bewusst nie als Hits konzipiert wurden. Gleichwohl es trotzdem kein schöneres Lied gibt als "Sabrina", für das die Bühne in ein atemberaubendes Rotlicht getaucht wird. Ein Licht, das so intensiv ist, wie der Sound, den es begleitet.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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