Pop-Neuerscheinungen:Das sind die Alben der Woche

Lesezeit: 4 min

Bausa verbreitet Koks-Plattitüden, die man sich auch auf Wikipedia anlesen kann. Franz Ferdinand beerdigen die Gitarrenmusik mit zuckenden Lenden. Und MGMT tun weiter so als ob.

Bausa - "Powerbausa" (Warner)

Ist ne gute Zeit für Bausa: "Was du Liebe nennst" hat gerade Doppel-Platin-Status erreicht. 800 000 Einheiten - Verkäufe und Streams zusammen. Der Cloud-Rapper aus Bietigheim könnte damit der erste deutschsprachige werden, der Diamant-Status schafft. Eine Million also. Ist aber auch ne schlechte Zeit für Bausa: Der Song ist nämlich ein seltsam melancholisch-herumhüpfendes Stück Gefühls-Hip-Hop (ja, ja: Klingt widersprüchlich, ist es auch, funktioniert aber trotzdem irre gut) - und damit eher untypisch für den Künstler. Auf "Powerbausa" (Warner) steht die Nummer jedenfalls wie ein etwas offenherziger Trottel zwischen Liedern, die quasi alle durch ein inzwischen wahnsinnig anachronistisch anmutendes, semantisches Feld aus Koks, Teilen, Joints, Clubs, Bitches, dicken Autos und immer noch mehr Koks delirieren - alles über die hustensaftsämigen Beats, die man da eben gerade hat. Also nicht falsch verstehen: Man kann da ja drüber rappen und singen, wenn einem wirklich nix anderes einfällt. Aber es würde dann helfen, wenn man über das Niveau hinauskäme, das man sich ab der Mittelstufe so bei Wikipedia anliest.

Jakob Biazza

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Franz Ferdinand - "Always Ascending" (Domino)

Dass die Gitarrenmusik dieser Tage am Ende sei, ist zugleich eine sehr beliebte und sehr verhasste Diagnose im Pop. Zum einen will man nicht so nervig kulturpessimistisch sein. Weil: Was ist denn jemals wirklich am Ende, was jemals wirklich weg? Kommt doch alles für immer wieder. Zum anderen ist an dieser Diagnose aber auch mehr als ein bisschen was dran. Interessiert sich noch jemand für die Bands aus der letzten großen Blütezeit der Gitarrenmusik, damals, in den Nullerjahren? Die Strokes? Die Libertines? Franz Ferdinand? Letztere waren von all den blassen, dürren Jungs mit Gitarre ja die mit dem sexysten Hüftschwung. Und sexy schwingt die Hüfte noch immer auf "Always Ascending" (Domino), Album Nummer fünf und Comeback mit halbneu ausgetauschter Besetzung. Franz Ferdinand haben sich musikalisch fit gespritzt, da drückt die Lende noch ein bisschen saftiger auf die Gitarrenspur, da presst sich ein Saxofon in den Mix. Ändert aber nichts daran, dass Songs wie "Lazy Boy" und "Feel The Love Go" auch nur müde Varianten des alten Zuckens und Stampfens sind. Vielleicht ist die Gitarrenmusik auch einfach am Ende, weil ihren Protagonisten die Ideen ausgegangen sind.

Julian Dörr

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Ezra Furman - "Transangelic Exodus" (Bella Union/PIAS)

Grauenhaft zerfieselt ist dieser Engel. Das Blut auf den Lippen geht fließend ins Make-up über, die Bandagen decken frische Wunden ab. Eigentlich gehört er noch für Wochen in das Krankenhaus, aus dem er gerade geflohen ist. Und der Ich-Erzähler wohl besser auch: Chemische Verbrennungen entstellen ihn, die Haut schält sich vom Körper. Rekonvaleszenz wird aber gerade nicht großgeschrieben. Engel sind nämlich verboten in der Dystopie, in der die Handlung von "Transangelic Exodus" (Bella Union/PIAS) spielt, dem neuen Album des Amerikaners Ezra Furman, bei dem sich Attribute wie "offen bisexuell" und "Cross-Dresser" so schlecht einsparen lassen, weil sie seine Kunst so prägen. Furman schickt seinen Protagonisten und dessen geliebten Engel nämlich nun auf eine Mad-Max-artige "queer outlaw saga" (seine Worte), deren weiteren Verlauf man schwer wiedergeben kann, ohne wie auf Drogen zu wirken. Ist aber auch unerheblich. Die Schlachttrommeln und die wie von Säure angeätzten Beats, die überreizten Synthies und latent paranoiden Gitarren injizieren die Beklemmung direkt ins Nervenzentrum. Was alles nur dadurch noch irrer wird, dass die Songs größtenteils auch noch wunderschön sind. Wer danach nicht fühlt, wie es gerade ist, als Freak und Ausgestoßener, nein, schlimmer noch: einfach als "Anderer" in Amerika zu leben, der hat wahrscheinlich eine Excel-Tabelle, wo das Herz sein sollte.

Jakob Biazza

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Joan As Police Woman - "Damned Devotion" (Play It Again Sam)

An der Seite von Leslie Feist oder Annie Clark alias St. Vincent ist die amerikanische Sängerin und Songwriterin Joan Wasser alias Joan As Police Woman mit Hits wie "The Magic", "Nervous" oder "Holy City" seit vielen Jahren eine der großen supercoolen Frauen des Indie-Pop der Gegenwart. Und was soll man sagen? Auf ihrem neuen, siebten Album "Damned Devotion" (Play It Again Sam) macht sie freundlicherweise einfach weiter mit ihrem grandios verschleppten, formvollendet minimalistisch dahingeknarzten Indie-Pop-Soul auf Songs wie "Wonderful", "Warning Bell" und vor allem "Tell Me". Es ist eine große Kunst, völlig tiefenentspannt durch einen Song taumeln zu können und dabei doch nie einen Zweifel daran zu lassen, alles vollkommen im Griff zu haben. Wenige beherrschen diese Kunst so souverän wie Joan Wasser.

Jens-Christian Rabe

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MGMT - "Little Dark Age" (Columbia/Sony)

Auf dem supersmarten Debütalbum der amerikanische Psychedelic-Synthiepop-Band MGMT waren vor einigen Jahren Hits wie "Electric Feel", "Kids" und vor allem "Time To Pretend", der immer noch der unwiderstehlichste bittersüße Meta-Pop-Song des 21. Jahrhunderts ist: "This is our decision: to live fast and die young / We've got the vision, now let's have some fun / Yeah it's overwhelming, but what else can we do? / Get jobs in offices and wake up for the morning commute?" Tja, was soll man machen? Und vor allem: was danach? Immer weiter schön clever nur so tun, als ob? Natürlich! Ohne ähnlich große Hits waren die beiden folgenden Alben dann aber leider nicht mehr ein ganz so großartiger Spaß. Und weil das blöderweise auch auf dem neuen, stark von den kristallinen Synthie-Orgien der Achtziger inspirierten Album "Little Dark Age" (Columbia/Sony) so ist, steht hier auch nicht mehr darüber.

Jens-Christian Rabe

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Son Lux - "Brighter Wounds" (City Slang)

Jungsein ist Glück und Unglück zugleich. Diese schöne Weisheit gibt es auf der neuen Platte des amerikanischen Trios Son Lux zu hören. Dabei geht es Songwriter und Sänger Ryan Lott aber weniger um die Art von Jugend, um die die Popmusik seit ihren Anfängen so obsessiv ihre Spiralen dreht, als um die große existenzielle Schlitterbahn von Geburt bis Tod. Beides hat Lott im Jahr der Trump-Wahl erlebt (er wurde zum ersten Mal Vater; ein enger Freund starb an Krebs). Auf "Brighter Wounds" (City Slang) leuchtet er nun seine von allerlei Zukunftsängsten befallenen Gedanken aus und lässt sie mit einem tollen, artifiziellen Hybridsound kollidieren: R'n'B-Sequenzen treffen auf spärliche, kammermusikalische Arrangements, Stop-und-Start-Polyrhythmen, Streicher und hauchdünne Synthie-Flächen. Dazwischen schiebt Lott seinen zittrigen, kunstvoll leidenden Vibratogesang. Um Politik geht es in seinen Texten nie, aber sie ist immer da - als unheimlicher Unterton: "You're lucky to be young, with future in your form. Unlucky to be young, to start so near the end", richtet er sich an seinen Sohn - dein Jungsein ist ein Glück, weil die Zukunft noch formbar ist, und ein Unglück, wenn man so nah am Ende geboren wird. Ziemlich pessimistisch der Mann, denken Sie jetzt? Kann sein. Andererseits trifft er mit dieser Mischung aus Wehmut, Miesepetrigkeit und ernsthafter Besorgnis die gegenwärtige Stimmung vieler junger Menschen (und Eltern) wahrscheinlich sehr gut.

Annett Scheffel

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