Pop:Er nimmt es persönlich

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Marc Cohn denkt zwar politisch, überlässt das Schreiben politischer Songs aber anderen, die sich dazu inspiriert fühlen. In München singt er Neues über die Liebe, deren Anfang und Ende. (Foto: Erik Valind; PGM)

Marc Cohn hat in 25 Jahren nur fünf Alben veröffentlicht und war lange nicht mehr in Deutschland unterwegs - in München wird er jetzt auch neue Lieder vorstellen

Interview von Michael Zirnstein

Es war, als hätte die Welt auf das Debütalbum des Café-Sängers und Keyboarders von Tracy Chapman gewartet. Elf soul-volle Songs von der guten Seite Amerikas - allen voran "Walking in Memphis - machten Marc Cohn (Jahrgang 1959) vor 25 Jahren zum Star und Grammy-Gewinner. Nach einer Welttournee hörte man von ihm allerdings außerhalb der USA nichts Neues mehr.

SZ: Warum waren Sie so lange nicht mehr in Deutschland auf Tour?

Marc Cohn: Ich habe vier Kinder, zwei Jungs sind noch recht jung. Und alleine, dass ich als Musiker durch die USA tourte, hat mich schon 100 Tage von meinen Kindern ferngehalten. Ich freue mich sehr auf Deutschland, ich war oft da, als ich jung war. Meine Stiefmutter ist in Nürnberg geboren und hat mich überall hingebracht.

In den USA haben Sie zum Jubiläum eine Reihe von Konzerten gegeben, bei denen Sie ihre Debütplatte von vorne bis hinten durchspielten. Machen Sie das in München auch?

Fast, die Platte ist ja meine Visitenkarte. Einige Songs wie "Miles away" oder "29 Ways" benötigen aber eine volle Band, obwohl sie sehr leicht erscheinen. Auch "Memphis", aber das werde ich natürlich trotzdem spielen. Ich habe in Europa noch einen Musiker dabei: Glenn Patcha. Er hat viel mit Rosanne Cash gearbeitet.

Wie denken Sie heute über die Texte von damals?

Ach, ich war schon 30, als sie herauskamen, da war ich auch schon erwachsen. In 25 Jahren habe ich nur fünf Alben veröffentlicht. Ich habe den Markt nie mit Material geflutet. Ich warte immer, bis etwas gut genug ist.

Nun haben Sie kürzlich frühe Songs zum ersten Mal auf einem Raritäten-Album veröffentlicht . Warum waren die auf einmal gut genug?

Sie waren damals schon gut. Aber damals hatte ich zu viele Songs für das Debütalbum, und ich suchte elf Stücke heraus, die am besten zusammenpassten. "From The Faraway Nearby" etwa handelt vom Tod meines Vaters, und ich hatte mit "Ghosttrain" schon einen Song zu dem Thema.

An welchen Dirigenten haben Sie damals beim Song "Maestro" gedacht?

Es war George Szell, ich denke, er ist aus Österreich. Er war der Dirigent des Cleveland Orchestra - und mein Nachbar, als ich aufwuchs. Ich öffnete das Fenster und konnte ihm in seinem Musikzimmer zuhören.

Hat Sie das inspiriert?

Er mochte meine Mutter sehr und gab uns Logenplätze bei seinen Konzerten, fast jeden Freitagabend. Das Orchester war eines der besten der Welt. Seltsam: Ich kenne mich mit Musiktheorie überhaupt nicht aus, kann keine Noten lesen und schreiben. Aber von dieser wunderbaren Klassik habe ich sicher etwas aufgesogen: Es gibt da eine dynamische Spannbreite in meinen Stücken. Die sind manchmal sehr still und sofort darauf eben nicht.

Für David Crosby zählen Sie zu den "wenigen Künstlern, die auf dem allerhöchsten Niveau arbeiten". Was bedeutet Qualität für Sie?

Ich versuche etwas zu schreiben, das mich bewegt. Etwas, das Bedeutung hat. Dass Crosby, den ich sehr liebe, das von mir sagt, wärmt mir das Herz. Man wächst als Künstler, man lernt, immer mehr man selbst zu sein. Und ich hoffe, das Ergebnis hat dann Poesie in sich und Schönheit.

Könnten Sie sich vorstellen, über Politik zu schreiben? Etwa, wenn Sie sich über Donald Trump aufregen?

Das ist einfach nicht die Art von Liedern, zu denen ich mich hingezogen fühle - als Autor. Es gibt nur eine Handvoll Leute, die politische Stücke gut schreiben können.

Wie Randy Newman?

Der ist sicher an der Spitze. Auch Dylan. Jackson Browne. Persönlich beschäftigt mich Politik sehr. Ich schüttle meinen Kopf in Unglauben, was da gerade passiert. Songs darüber zu schreiben, ist eine ganz andere Geschichte. Aber wer weiß: Schon dass Sie mich gefragt haben, könnte etwas in mir auslösen.

So einen Song wie "Silver Thunderbird" über den Wagen Ihres Vaters würden Sie nie über einen Volkswagen schreiben?

Richtig.

Reden die Leute in den USA über die Schummelei?

Ich weiß gar nicht, was Sie da ansprechen.

Nun, VW hat bei den Abgaswerten seiner Diesel-Autos getrickst und die Verbraucher betrogen.

Noch nie gehört. Das muss ich auch noch nachlesen. Ich habe seit 20 Jahren kein Auto mehr; ich brauche keins in New York.

I hre letzten neuen Songs kamen nach dem Hurrikan Katrina heraus.

Es gab damals zwei Auslöser: Zunächst wurde ich 2007 in unserem Tour-Van nach einem Konzert mit Suzanne Vega angeschossen. Ich hatte Glück. Die Kugel steckte in meiner linken Schläfe fest. Aber psychologisch war das schwierig zu bewältigen. Ich sagte die Tour ab und ging heim, um meinen posttraumatischen Stress zu überwinden. Zwei, drei Wochen später schlug dann Katrina zu. Ich denke, es war die Kombination, persönlich so verletzlich zu sein und zu sehen, wie diese großartige amerikanische Stadt völlig unnötigerweise verwüstet wurde, die mich ans Klavier zurücktrieb. Sie können sich vorstellen, dass es auf der Platte um Schicksal ging, Leben und Tod.

Haben Sie neue Songs im Kopf?

Ja. Ein paar. Ich werde sie in München auch spielen. Hauptsächlich sind es Liebeslieder, über den Anfang und das Ende einer Liebe. Und wie das ist, als allein erziehender Vater. Ich wurde gerade zum zweiten Mal geschieden. Etwas, das ich in meinem Leben noch nie hinbekommen habe, obwohl ich es wollte, ist, Kinder mit meiner Partnerin aufzuziehen. Das sind sehr persönliche Lieder.

Marc Cohn , So., 12. Juni, Carl-Orff-Saal, Rosenheimer Straße 5, 21 83 73 00

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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