Pop & Dichtung:Schattenkunde

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2018 war ein Jubiläumsjahr der Sängerin und Schauspielerin Nico, die 1938 in Köln geboren wurde und 1988 auf Ibiza starb. Nun ist ein Materialienband über die Ausnahmekünstlerin erschienen.

Von TOBIAS LEHMKUHL

Vom Spreewald über Andy Warhols Factory bis ins nordenglische Drogenparadies: Wer 2018 das Jubiläumsjahr der Sängerin, Schauspielerin und Andreas-Baader-Verehrerin Nico verpasst hat, den 80. Geburtstag und 30. Todestag der Muse, des Models und der Mutter des Sohnes von Alain Delon, oder nicht genug bekommen kann von der Geliebten Bob Dylans, Jim Morrisons und Lou Reeds, der greife zu dem neuen, umfangreichen Materialienband mit dem nicht weniger umfangreichen Titel "Wie kann die Luft so schwer sein an einem Tag an dem der Himmel so blau ist".

Herausgegeben haben ihn Manfred Rothenberger und Thomas Weber, fraglos zwei ausgemachte Nico-Fans. Dem Buch geht jedoch zum Glück alles Amateur- und Fanzinehafte ab. Nicht nur die Druckqualität ist überwältigend - selbst Scans abgegriffener Familienfotos aus den frühen Vierzigerjahren sind überraschend scharf wiedergegeben - auch die detektivische Recherchearbeit zeugt von hoher Professionalität. So haben die Herausgeber nicht nur einige nahezu unbekannte Interviews mit Nico ausgegraben, sie haben darüber hinaus Zeitzeugen interviewt und einige klassische Texte über Nico wieder zugänglich gemacht, wie etwa Lester Banks' "Dein Schatten hat Angst vor dir - Ein Versuch, vor Nico keinen Horror zu kriegen". Manch ein Text liegt nun in deutscher Erstüber- setzung vor, so der von Leo Goldsmith über Nico und ihre Rolle in den Avantgardefilmen von Philippe Garrel. Nebenbei schütten die Herausgeber ein wahres Füllhorn an Modefotos, Konzertplakaten und Filmstills vor dem Leser und Betrachter aus.

Über das Buch verstreut finden sich zudem zahlreiche Originalwerke von zeitgenössischen Künstlern wie Michaela Melián und Rosemarie Trockel, die sich mit Nico und ihrer Musik, vor allem ihrer wegweisenden Rolle als weibliche Komponistin und Interpretin Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre auseinandersetzen (ihr erstes Soloalbum "The Marble Index" gehört bekanntermaßen in jedes Plattenregal, das etwas auf sich halten will). Und nicht zuletzt hat der Dichter Ulf Stolterfoht ein Gedicht beigesteuert, das sich tief vor dem heroinabhängigen "greater manchester girl" verneigt: "sie tourte durch garderoben und damentoiletten / das waren keine vitamintabletten / das waren keine vitamintabletten /das waren sicher keine vitamintabletten (ad.lib.)".

Manfred Rothenberger, Thomas Weber (Hrsg.) : Nico - Wie kann die Luft so schwer sein an einem Tag an dem der Himmel so blau ist. Starfruit P ublications, Fürth 2019. 624 Seiten, 35 Euro.

© SZ vom 12.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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