Pop:Ausgestellt

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Wenn der Frauenarzt kommt, kann man nur in die Grätsche gehen und lässig zurückschlagen. (Foto: Vitali Gelwich)

Frauenarzt und Ballermann-Feminismus

Von Stefan Sommer, München

Ob West-Coast oder East-Coast, ob Berliner Plattenbau oder Offenbacher Ghetto, ob ödipal oder anal: Mütter haben es im Hip-Hop seit jeher nicht leicht. Das "Mutterficken" ist ein klassischer Rap-Topos, und so gehört der große Milf-Komplex auch in den von Körperflüssigkeiten verklebten Textbaukasten des Berliner Rap-Veterans Frauenarzt. Zusammen mit den proto-feministischen Rapperinnen von SXTN stellte "Dr. Sex" im 8 Below Club sein neues Album "Mutterficker" vor. Der Abend sollte ein feministisches Lehrstück werden.

SXTN, das sind die Neuköllner MCs Juju und Nura, die vor einigen Monaten mit dem Track "Ich bin Schwarz", einer ironischen Afro-Hymne auf den Neue-Deutsche-Welle-Schlager von Markus "Ich hab Spaß", einen Hype erlebten. Die rappenden Riot-Girls avancierten mit provokanten Diskurs-Pop-Stücken wie "Made 4 Love" zu einer ebenso klugen wie prolligen Persiflage des Sauna-Club-Raps von Bass Sultan Hengzt, King Orgasmus One oder eben auch Frauenarzt. Die mächtigen Trapbeats und die derbe Rohheit der Texte - selbstverständlich bleiben Mütter auch hier nicht verschont - funktionierten auch im 8 Below Club.

Als Voract gebucht, standen die beiden jungen Frauen in knappen Outfits schon zu Beginn des Abends auf der Bühne der mit Männern gefüllten Diskothek und grölten unter dem kalten LED-Sternenhimmel aus vollem Hals unsterbliche Bierzelt-Evergreens wie: "Prost, ihr Säcke!" oder "Loch ist Loch!". Um die Perversion auf die Spitze zu treiben, zitierten sie anschließend schelmisch-grinsend für das johlend in die Falle tappende Publikum die frauenfeindlichsten Zeilen des Sexismus-Klassikers "Ich Mann, du nichts" von King Orgasmus One, einem Schulkameraden des eigentlich Hauptacts des Abends und stolzen Erfinders des Porno-Raps.

Mit wütend in die Luft gestreckten Mittelfingern und breitbeiniger Macho-Gockelei besetzen sie männliche Rap-Posen und stellen mit ihrem Ballermann-Feminismus die ganze Vulgarität, Härte und Einfalt dieser Szene brutal aus. Ihre hyperaffirmative Tarnung ist dabei so geschickt, dass die Stimmung bei ihrem großen Triumph über die Allmachtsfantasien der Man-wird-ja-wohl-mal-dürfen-Fraktion, einem neuen Track mit dem Titel "Nein, heißt Nein!", den sie auf das Instrumental von Opus' "Life Is Life" rappten, den euphorischen Höhepunkt des Abends erreichte. Als würde Alec Baldwin, verkleidet als Donald Trump eine Frauenquote fordern. Ach, und Frauenarzt? Der kann sehr gut rappen, ist stolz auf seinen Pimmel, hat jetzt eine DJane, aber immer noch Hintergrund-Tänzerinnen ohne Oberteil und ist, nach eigener Auskunft, nicht "frauenfeindlich". Donald Trump sagt das auch.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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