Polnischer Roman:Beton und Fake News

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Ziemowit Szczerek: Sieben. Das Buch der polnischen Dämonen. Roman. Verlag Voland & Quist, Berlin 2019. 288 Seiten, 22 Euro. (Foto: N/A)

Mit Dämonen unterwegs auf der Königin von Polens Straßen: Der Roman "Sieben" des Schriftstellers Ziemowit Szczerek ist wohl der letzte aus dem Genre der postsozialistischen Grotesken.

Von Christoph Bartmann

Gleich nach den Umstürzen von 1989 kam ein Wort in Umlauf, mit dem man im Westen das postkommunistische Durcheinander in den Ländern Mittel- und Osteuropas satirisch auf den Punkt zu bringen glaubte: "Absurdistan". Beflügelt wurde die Konjunktur Absurdistans durch eine neue groteske Literatur aus den so bezeichneten Ländern selbst. Autoren wie Jáchym Topol in Tschechien, Andrzej Stasiuk in Polen oder Viktor Pelewin schrieben nach 1989 weiter an diesem Genre eines, wenn man so will, neuen osteuropäischen Surrealismus. Diese Bücher waren gegenwartsnah, gerade dann, wenn sie dem Verrückten Raum gaben. Der Mär von der "Transformation" hin zu liberalen Musterdemokratien vertrauten sie keinen Augenblick.

Jetzt, gut fünfzehn Jahre nach dem EU-Beitritt der mittelosteuropäischen Länder ist diese absurdistische Gegenwartsliteratur ihrerseits historisch geworden. Die Verhältnisse haben sich normalisiert, wenn auch nicht unbedingt zum Besseren verändert. Wenn man in den wilden Neunzigerjahren den ganzen Osten als Riesenbasar imaginierte, wäre jetzt eher die EU-finanzierte Bahnhofs-Shopping -Mall die Signatur der Zeit. Insofern kann man die These wagen, dass mit Ziemowit Szczereks aberwitzigem Roman "Sieben. Das Buch der Polnischen Dämonen" aus dem Jahre 2014 das Genre sich dem Ende zuneigt. Einen Roman wie diesen könnte man fünf Jahre später schon nicht mehr schreiben, und zwar aus einem ganz einfachen Grund.

Die Infrastruktur ist eine andere geworden. "Sieben", der Titel bezieht sich, neben vielem anderen, hauptsächlich auf die Staatsstraße Nummer Sieben, die Polen von Nord nach Süd durchmisst und die inzwischen, bis auf manche Lücken, einer regelrechten Autobahn gewichen ist. Auf dieser aus Mitteln des EU-Kohäsionsfonds mitfinanzierten Trasse sind Abenteuer, wie sie der Sensationsjournalist Paweł in einer Allerheiligennacht zwischen Krakau und Warschau erlebt hat, schlechterdings unmöglich: alles viel zu aufgeräumt, angepasst an die Brüsseler Standards. Polnischen Dämonen wird man am Straßenrand nun nicht mehr begegnen, was nicht heißt, dass sie ganz verschwunden wären.

Die Fahrt von Krakau nach Warschau wird zum ideologisch- dämonischen Höllentrip

Im Gegenteil, sie sind befördert worden, dank des "guten Wandels" der PiS, in die offizielle Politik, in parlamentarische Debatten und ideologische Verlautbarungen. Was Szczerek sich noch als Gedankengut einiger verwirrter Freaks ausmalt, darf jetzt von Staats wegen behauptet und von der Regierungspresse verbreitet werden. Eine Entwicklung, die sich auszumalen auch Szczereks kühne Geschichtsphantasmagorie nicht kühn genug ist. 2014 - damals waren in Polen noch die Liberalen am Ruder, aber es war auch das Jahr, in dem Putin den Konflikt in der Ostukraine anzettelte, ein Ereignis, das auch für die Romanhandlung einige Konsequenzen hat.

Paweł, der Held, arbeitet für ein Fake-News-Portal und nimmt es schon von daher mit der Wahrheit nicht allzu genau. Szczerek, sein Erfinder, ist auch Journalist, und zwar ein erklärter Fan des Gonzo-Journalismus. Ganz im Geiste Hunter S. Thompsons ist ihm jedes Mittel recht, um die Leser zu verblüffen, und man muss sagen, es gelingt ihm. Verblüffend ist nämlich auch das historische Wissen, mit dem hier das Buch der polnischen Dämonen aufgeschlagen wird. Szczerek oder sein Paweł haben diskursiv alles an Bord, was die polnische Geschichtspolitik umtreibt: die Lehre vom Sarmatismus, der Abstammung des polnischen Adels von uralten iranischen Stämmen. Oder die Idee des "Intermare", einer polnisch dominierten Einflusssphäre zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Die kleine Autofahrt von Krakau nach Warschau, am Allerheiligentag, dem wichtigsten polnischen Feiertag, wird jedenfalls zum ideologisch-dämonologischen Höllentrip. Dass dabei das eine oder andere Auto im Straßengraben landet, dass es Tote und Verletzte zu beklagen gibt, dass aus der Dunkelheit tatsächlich ein ganzes Heer polnischer Dämonen unterschiedlicher Observanz ersteigt, dass die Ankunft in Warschau zusehends ein Ding der Unmöglichkeit wird, versteht sich fast von selbst.

Und das alles auf der "Sieben". "Die Sieben, die Sieben, denkst du, Königin unter Polens Straßen, Rückgrat des polnischen Staates, Weichselpolens, das Oderpolen ist ja eine ganz andere Nummer." In der Mitte Weichselpolens klaffe ein "schwarzes Loch", sinniert der Erzähler. Was die Loreley für Deutschland und die Puszta für Ungarn, sei für Polen "das pfannkuchenplatte Land voller Betonmist ohne Sinn und Verstand". Auch wenn Szczerek dem Gonzo-Journalismus huldigt und keiner Übertreibung aus dem Wege geht, ist auf sein Urteil doch Verlass: man sollte mit ihm und seinem Buch auf Reisen gehen, solange von seinem wilderen Polen noch etwas übrig ist.

© SZ vom 15.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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