Politischer Roman:"Hallo, geliebte Befreite"

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Omar Robert Hamilton schreibt sich in "Stadt der Rebellion" den Aufstand auf dem Tahrir-Platz von der Seele und erzählt sein Scheitern.

Von Sonja Zekri

Ein Land im Freiheitsrausch, zukunftstrunken, über Religionen und Klassen ozeanisch vereint. Ein Platz im Herzen der Stadt leuchtet in die Welt und wird von der Welt gefeiert.

Ein Land im Blutrausch, 900 Tote an einem Tag, bejubelt als notwendiges Opfer, als chirurgischer Eingriff zur Rettung der Nation. Ein Platz in Kairo, auf dem Armeefahrzeuge Zelte planieren, Verletzte werden in Schubkarren fortgeschafft. Und dann die Grabesruhe einer neuen Militärherrschaft.

Zweieinhalb Jahre lagen zwischen dem Aufstand auf dem Tahrir-Platz und der Räumung der Protestlager der Muslimbrüder, nachdem diese sich an eine Herrschaft klammerten, deren Zustandekommen einer von vielen Unglücksfällen des Arabischen Frühlings war. Im Laufe jener knapp dreißig Monate hatte Ägypten seine Sicht auf den Aufstand gegen Hosni Mubarak verändert. Aus dem Stolz auf eine glanzvoll bestandene Schicksalsprüfung wurde eine peinliche Erinnerung, dann eine Verschwörung, schließlich das bei Strafe Unsagbare. So ist es bis heute.

Obwohl der Verlag das Buch Roman nennt, trifft das den Charakter nicht ganz

In diese erzwungene Geschichtsverleugnung fällt Omar Robert Hamiltons elektrisierendes Debüt "Stadt der Rebellion". Obwohl der Verlag das Buch "Roman" nennt, trifft das den Charakter nicht ganz. Durch die Geschichten der Figuren ziehen sich Tweets und Facebook-Posts, SMS und Schlagzeilen, Armee-Verlautbarungen und Protest-Slogans, die Tonspur jener zweieinhalb Jahre. "Stadt der Rebellion" ist mindestens so sehr Dokumentation wie Roman. Mit diesem Buch hat sich jemand die Revolution von der Seele geschrieben.

Hamilton, Sohn der ägyptischen Schriftstellerin Ahdaf Souef und des britischen Dichters Ian Hamilton, wuchs in Großbritannien auf, wurde an britischen Colleges erzogen und arbeitete als Filmemacher in Washington. Aber als die aufständischen Ägypter im Januar 2011 den Tahrir-Platz besetzen konnten - was niemanden mehr überraschte als sie selbst - stürzte er sich kopfüber in den Aufstand. Er gründete ein Medienprojekt, "Mosireen", um unabhängig zu berichten - gerade hat Mosireen sein Archiv ins Netz gestellt. Sein Cousin ist der Bürgerrechtler Alaa Abdel-Fatah, der als einer der Ersten im Gefängnis landete. Erst als sich der neue Herrscher Abdel Fatah al-Sisi als schlimmer erwies als Mubarak, verließ Hamilton Ägypten.

„Heute bringen wir euch Neuigkeiten von der Front, Musik aus dem Untergrund und den politischen Beat“: Blick auf den Tahrir-Platz in Kairo, am Abend des 8. Februar 2011. (Foto: Hannibal Hanschke/dpa)

In New York schrieb er dann die durchaus autobiografisch inspirierte Geschichte über einen amerikanisch-palästinensischen Ägypter, Khalil, der im Ausland lebt, aber für die Revolution nach Ägypten reist und eine Medienplattform namens "Chaos" gründet. Sie produziert Videos, Podcasts und eine Webseite und begrüßt Kairo jeden Morgen mit unwiderstehlichem Optimismus: "Hallo, geliebte Befreite auf den Straßen unserer Revolution, heute bringen wir euch Neuigkeiten von der Front, Musik aus dem Untergrund und den politischen Beat, den ihr braucht, um durch die Woche zu kommen."

Während das Land zerrissen wird, wachsen die Zweifel an der Macht der Bilder

Khalil liebt Mariam, eine Aktivistin, die in der ersten Szene des Buches im Leichenschauhaus die Toten zählt, während Eisblöcke zwischen den zerfetzten Körpern schmelzen. Das Militär hat einen Protestzug der koptischen Christen vor dem Rundfunkgebäude Maspero niedergewalzt, eine jener Katastrophen, die Ägypten fast im Wochenrhythmus erlebte. Außerdem ist Khalil mit Hafez befreundet, der am Ende an den Folgen der Folter stirbt.

Zwischen diesen fast überlebensgroßen Heldenfiguren bewegt sich Khalil, der Rückkehrer, der den marxistischen Philosophen Eric Hobsbawm liest und sich bald misstrauische Fragen wegen seines Akzents gefallen lassen muss. Anfangs wollte er so gern dazugehören, später hasst er sich für die Erleichterung, dass er Ägypten verlassen kann.

Denn während das Land zwischen Militär, Islamisten und säkularen Zynikern zerrissen wird, wachsen Khalils Zweifel an der Macht der Bilder und der Medien. Kurz nach dem Sturz Mubaraks kann Mariam einen Mitstreiter aus den Fängen der Polizei mit der Drohung freipressen, sie werde an die Öffentlichkeit gehen und fünf "Märtyrer-Familien" in einer Pressekonferenz versammeln. "Märtyrer" und "Zeuge" haben im Arabischen dieselbe Wurzel, die Macht von Medienprojekten wie "Chaos" - oder von Hamiltons "Mosireen" - beruht auf dieser Nähe von Zeugenschaft und Opfertod.

Zwar hadert Khalil bis zum Schluss damit, dass es den Aufständischen nicht gelang, das Rundfunkgebäude zu besetzen - "Wir hätten Maspero einnehmen müssen" -, aber längst beobachtet er, wie diese Kraft schwindet, wie Hafez Abstand von einem Drehbuchprojekt über die Revolution nimmt, weil jene 18 Tage "zu Tode erzählt" sind, wie die Begeisterung der Welt in Langeweile umschlägt: "Du hattest mal so viele Freunde. Wir waren mal Material für die beste Sendezeit", klagt Khalil.

Omar Robert Hamilton: Stadt der Rebellion. Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Wagenbach, Berlin 2018. 320 Seiten, 24 Euro. E-Book 21,99 Euro. (Foto: N/A)

Als wäre dies nicht das Schlimmste, wendet sich ihre einstige Wunderwaffe sogar gegen die, die sie führen. Die Bilder des Blutbades an den Muslimbrüdern stellen sie nicht einmal mehr ins Netz, denn sie begreifen, dass die Bilder des Massakers nicht nur ihre aufrüttelnde Wirkung verloren haben, sondern, im Gegenteil, einschüchternd wirken. "Sie wollen, dass wir sehen, dass wir Angst bekommen, dass wir verstehen, wie weit sie gehen können", sagt Hafez. Der Arabische Frühling eine Social-Media-Revolution? Was für eine grausame Illusion.

Wer gerne auf dem Tahrir-Platz dabei gewesen wäre, hier kann er es sein

Der ursprüngliche Titel des Buches lautet "Die Stadt gewinnt immer", denn gnadenloser als noch der x-beinigste Geheimdienstler ist Kairo, Al-Qahira, die Siegreiche. "Kairo ist Jazz", schwärmt Khalil im Rausch der Revolution: rivalisierende "kontrapunktische Einflüsse", dazu "gelegentlich brillante Solos, die sich hoch über den steten Rhythmus der Straße hinaufschrauben". Aber dann, als das "Chaos"-Büro schon leer steht, kann er die Geräusche der Stadt nicht ertragen, das ewige Hupen, den unerschütterlichen Alltag. Hamilton will Zeugnis ablegen, auch mit diesem Buch. Und wo er in den Tränengasnebel der Proteste eintaucht, in die wogenden, jubelnden, heulenden Massen, da entfaltet sein Buch eine schwindelerregende, geradezu gegenwärtige Wucht. Wer gern auf dem Tahrir-Platz dabei gewesen wäre, hier kann er es sein.

Zugleich aber zeigt er mit vielleicht unbewusster Offenheit, wie isoliert das kleine Häuflein um Khalil bald ist, wie wenig die aufrechten, globalisierten, vernetzten, oft auch: wohlhabenden Aktivisten die profanen Sorgen der übrigen Ägypter begreifen, wie selbstgerecht das Pathos von "Front" und "Krieg" klingt, wie beliebig manches Ziel. Maspero oder Präsidentenpalast? Jalla bina, wir sind dabei. "Ich sehe 100 Kinder, die Steine ins Leere werfen", sagt Mariams Vater.

Hamilton beschreibt die Intrigen zwischen Islamisten und Armee, die Erschöpfung der Ägypter, die politischen Wendepunkte wie die ersten Wahlen. Aber am Ende kann er genauso wenig wie alle Experten dieser Welt erklären, warum diese Revolution gescheitert ist. "Das ist Ägypten. Hier zerstört das Neue nicht das Alte", sagt der Vater eines getöteten Aufständischen, und er meint es durchaus patriotisch. Womöglich ist das der Kern des Problems.

© SZ vom 03.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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