Politische Philosophie:Hochzeit mit Machiavelli

Lesezeit: 3 min

Reinhard Mehring über Werk, Wirkung und Aktualität des umstrittenen Philosophen Carl Schmitt, der derzeit wieder viel rezipiert wird.

Von Sebastian Huhnholz

Wer schenkt sich Machiavellis Werke zur Hochzeit? Der deutsche Staatsrechtler, politische Ideentheoretiker, spätere Edelnazi und klandestine Berater der jungen Bundesrepublik Carl Schmitt (1888-1985) tat es. Doch was sagt das über ihn? Folgt man dem neuen Buch seines Biografen Reinhard Mehring, sagt das nicht allzu viel, denn Schmitt war ein "Denker im Widerstreit": Gleichsam radikaler Kritiker wie machtfixierter Apologet verschiedener deutscher Regimes des 20. Jahrhunderts, lag Schmitt mit "sich selbst oft im Streit".

Fast alle seiner erfolgreichen Schriften - von der feindseligen Parlamentarismusschrift der Zwanzigerjahre über den "Nomos der Erde" nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Theorie des Partisanen in den frühen Sechzigerjahren - weisen laut Mehring "gravierende Schwächen" auf. Selbst die Erträge der berüchtigten politischen Theologien seien dürftig, wiewohl Schmitts Interpretation der Welt und der Weltereignisse mithilfe apokalyptisch aufgeladener Deutungen das Werk anleitet.

Nach 1945 interessierte sich Schmitt nicht mehr für das Schicksal der deutschen Nation

Wahrscheinlich sind es gerade die schillernden Ungereimtheiten, die Schmitt zu einem grellen Stern der Debatten machen. Sein Werk aber, dem früh eine Gesamtausgabe verwehrt wurde, wird immer oberflächlicher benutzt. Seine Internationalisierung zum "globalen Phänomen" treibt Stilblüten, zumal es vor allem politisch linke Theoretikerinnen und Theoretiker sind, die sich bei Schmitts antiliberaler Demokratiekritik mehr oder minder kompetent bedienen. Umso interessanter ist es, wenn Mehring fast erleichtert konstatiert, dass "selbst Schmitts labyrinthischer Nachlass nicht unerschöpflich" und die konsequente "Historisierung des Werkes fortgeschritten" sei. Ein wenig klingt das nach Abschied.

Mehrings neue Sammlung zumeist überarbeiteter, teilweise stark gekürzter jüngerer Aufsätze, Gespräche und Vorträge trägt dem "global" gewordenen Trend zu Schmitt durch Ordnung Rechnung. Der "philologisch strikte Fokus" sondiert und verortet jüngere Editionen und Monografien, kommentiert Deutungsmoden, identifiziert die wenigen Restlücken im extrem umfänglichen Quellenbestand. Viele bemerkenswerte Einsichten und gereifte Beobachtungen fallen dabei wie nebenbei an.

Dass sich Schmitt nach 1945 nicht mehr für das Schicksal der deutschen Nation interessierte. Warum sein Hang, Politik, Ideologie und Geschichte zu personalisieren, ideenhistorisch inkompetent ist. Und treffend kommt Mehring zu dem Schluss, dass Schmitt international so intensiv rezipiert wird wie wenige andere Deutsche: Habermas, Hegel, Heidegger, Nietzsche, Kant und Weber.

Über drei von insgesamt vier Buchteilen ist das präzise ausgeführt. Ein erster Teil markiert bislang übersehene "Positionen", etwa die Haltung zu Hegel oder Schmitts Vision für sein Amt als Staatsrat im Dritten Reich. Ein zweiter Teil vertieft Schmitts Faible, sich in anderen zu "spiegeln", hier etwa in Machiavelli und Hamlet. Der dritte Teil beleuchtet dann "Wechselwirkungen", direkt mit Arnold Gehlen, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Rudolf Huber, Reinhart Koselleck und Joachim Ritter, indirekt auch mit Theodor W. Adorno, auf den und dessen überragende öffentliche Bedeutung der "weinselige" Schmitt in seinem Plettenberger "Exil" nächtens schon mal ein antisemitisches Hassgedicht verfasst.

Die Deckung des Archivarbeiters verlässt Mehring im vierten Teil des Buchs. Manch starke Wertungen und sogar wehmütige Blicke auf die alte Bundesrepublik finden sich schon zuvor. Erst zum Schluss aber wird die Aktualität Schmitts zum Thema. Denn die "Optik des Ausnahmezustands" sei heute weit verbreitet und lasse Schmitt permanent wie den "Autor der Stunde erscheinen". Dagegen differenziert Mehring, der 2009 seine große Schmitt-Biografie vorgelegt hat, engagiert an. Es ist das erste Mal, dass der von Extremen her denkende Schmitt seinen gelassenen Kenner zu derart ausführlichen Zeitkommentaren verleitet. Auch darum wohl gesteht Mehring zum Beginn und zum Ende des Buchs, dass er wisse, wie "heikel" das Genre solcher letztlich immer auch autobiografischen Aufsatzsammlungen ist.

Skepsis erweckt bei alldem allenfalls die Menge der von Schmitts Werk heute Geprägten, die Mehring zu entdecken meint. Dass ein Herfried Münkler oder eine Chantal Mouffe sich gelegentlich mit ausgesuchten Denkfiguren Schmitts oder auch bloß dessen Freund-Feind-Kriterium behelfen, trifft sicher zu. Doch gerade weil heute alle Schmitt erwähnen, käme es auf die Details an. Wer Schmitt erwähnt, muss ihn nicht schätzen. Wer sein oft anstößiges Werk und Wirken auf der Höhe des heutigen Forschungsstandes kennt, kann kein Schmittianer sein. Je weiter sich Mehring aber gegenwärtigen Aufnahmen nähert, desto mehr verschwimmen diese Grenzen.

Das ist bedenklich, da ein intellektuell reflektierter Schmittianismus in Europa heute eigentlich kaum mehr zu finden ist, wohingegen die bei Mehring gestreifte Internationalisierung von einem bisweilen dramatisch uninformierten Vulgärschmittianismus begleitet wird. Was für ein Schmitt etwa ist es, der derzeit in gewaltigen Auflagen in asiatische Sprachen gebracht wird? Und was für eine Werkgerechtigkeit lässt der auf schnelle, schicke Lesehäppchen dressierte Fachzeitschriftenmarkt zu? Die Folgen dessen sind für die zukünftige Rezeption und geradezu spielerische Repolitisierung zumal der radikaleren Werkanteile sicher nicht minder gewichtig als die hierzulande mittlerweile nüchterne und reflektierte Einspeisung Schmitts in den Klassikerkanon der jüngeren Geistesgeschichte. Für diese Normalisierung und Professionalisierung leistet Reinhard Mehring Außergewöhnliches.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: