Politische Kunst:Sprache der Revolution

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Jeder Epochenbruch, jede Revolution hat eigene Schlagworte. Die amerikanisch-ägyptische Künstlerin Amira Hanafi hat untersucht, wie sich das ägyptische Arabisch durch den Arabischen Frühling verändert hat.

Von Sonja Zekri

"Freiheit", gut. "Soziale Gerechtigkeit" natürlich. Auch "Muslimbrüder". Aber "Zwiebel"? Und doch: Im Getümmel auf dem Tahrir-Platz in Kairo 2011, während des Arabischen Frühlings, sprachen die Menschen viel über Freiheit, aber sobald sich Tränengasnebel auf die Aufständischen senkte, kamen Zwiebeln ins Spiel, denn ihr Geruch ließ die Getroffenen leichter atmen, behaupteten sie. Im digitalen "Wörterbuch der Revolution" der ägyptisch-amerikanischen Künstlerin Amira Hanafi findet sich deshalb neben großen Menschheitsthemen auch gewöhnliches Gemüse. Hanafi hat 2014 ein halbes Jahr lang 200 Ägypter befragt - Männer und Frauen, Junge und Ältere, Hauptstädter und Beduinen: Woher kennen sie diese Worte? Wie hat sich ihre Bedeutung verändert? "Mich interessiert, wie Sprache die Menschen prägt. Es gab auch vor der Revolution schon politische Gespräche, aber plötzlich hörte man sie auf der Straße", sagt Hanafi am Telefon aus Kairo. Im Internet ordnete sie 160 Begriffe in sternförmigen Diagrammen. Zieht der Besucher den Mauszeiger auf ein Wort, zeigt dieses, ausgehend von den Interviews, die Verbindung zu anderen Wörtern. Daneben stehen anonymisierte Auszüge aus den Gesprächen, etwa das Erstaunen über das Auftauchen arabischer Neologismen wie "Ichwana", die "Muslimbruderisierung", also die Durchdringung des Landes mit der Ideologie der Islamisten. So simpel die Idee von Hanafis Werk ist, so sehr verblüfft der Effekt. Die Besucher bewegen sich vorwärts, rückwärts und sogar seitwärts zwischen Orten, Ideologien und Objekten jener aufgewühlten Tage. Während viele Künstler verstummten und die offizielle Lesart der Revolution praktisch umgehend erstarrte und erst die Geschichte einer gloriosen Selbstbefreiung vertrat, dann jene einer Täuschung durch die Islamisten, dann eines amerikanischen Komplotts, schuf Hanafi, wie sie es nennt, eine "nicht-lineare Darstellung der Revolution": Alles hängt zusammen, vieles widerspricht sich, nichts ist berechenbar. Am heutigen Samstag will sie die Seite freischalten, zuerst auf Arabisch (qamosalthawra.com), später auf Englisch. Es ist ein riskantes Projekt. Die Wörter der Revolution will in Ägypten niemand mehr hören. Eine Zwiebel ist nur eine Zwiebel. Bis auf Weiteres.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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