Pierre Brice wird 80:Häuptling der Herzen

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Edler Wilder mit Beamtenstatus: Der Berufsindianer Pierre Brice wird 80 und ist noch immer gefangen in der Rolle seines Lebens.

Christine Dössel

Du lieber Manitu, was haben wir geschluchzt, als Winnetou sterbend dalag, niedergestreckt von dem Banditen Rollins, dessen Kugel er abgefangen hatte, um seinem Freund Old Shatterhand das Leben zu retten! Es war, als hätte der Schuss nicht nur das Herz des Apachen-Häuptlings, sondern auch unser eigenes Kinderherz getroffen. Und nur wer keines hatte, musste nicht ungeniert heulen, als Winnetou sein Leben aushauchte, während Martin Böttchers erhebende Seelenpräriemusik ihn in die ewigen Jagdgründe trug und Lex Barker als Old Shatterhand im Geiste noch einmal Rückschau hielt: Wie er Winnetou einst vom Marterpfahl befreite, wie sie gemeinsam durch Savannen und Felsgebirge ritten, wie sie Blutsbrüderschaft schlossen . . .

Immer wieder aus den ewigen Jagdgrünen auferstanden: Pierre Brice als Winnetou. (Foto: Foto: dpa)

Dass das Schöne und Gute, das hier in der Gestalt von Pierre Brice aufs Würdigste verkörpert war, dem Bösen derart weichen musste, war eine frühe Schockerfahrung. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass sich die ewigen Jagdgründe als kregle Wiedergeburtsstation erwiesen, aus der der Totgeglaubte gemäß der Forderung seiner Fans ("Winnetou darf nicht sterben!") ständig von neuem erstand. "Winnetou III", der mit der Todesszene, war 1965 bereits der siebte Karl-May-Film mit dem Bretonen Pierre Brice in der Rolle des Indianerhäuptlings, vier weitere, schlechtere sollten bis 1968 folgen. Selbst als die Zeit der deutschen "Sauerkraut-Western" vorbei war, blieb Brice der Rolle seines Lebens treu und wurde zum Berufsindianer - damit hatte er in Deutschland nicht nur einen ungeminderten Star-, sondern fast schon einen Beamtenstatus.

Noch Jahrzehnte später ritt der Deutschen liebster Franzose mit Silberbüchse und Langhaarperücke gegen bleichgesichtige Bösewichter ins Feld und auf dem eigenen Mythos herum: erst zehn Jahr lang bei den Karl-May-Festspielen im sauerländischen Elspe, dann in Bad Segeberg, schließlich in dem Fernsehzweiteiler "Winnetous Rückkehr" (1998), der auf dem Axiom basierte, Winnetou sei seinerzeit gar nicht gestorben, sondern nur ins Tiefkoma gefallen und von einem Medizinmann gerettet worden. Pierre Brice war damals 68 Jahre alt und längst eine promovierte Rothaut: Winnebagow-Indianer aus Nebraska hatten ihn 1991 zum Ehrenmitglied ihres Stammes ernannt und ihm den Namen We-Pumma-Ka-Da-Ga gegeben: Regenbogen-Mann.

Viele Monde sind seitdem vergangen, und wenn wir ihn heute, an seinem 80. Geburtstag, noch immer als den Häuptling der Herzen feiern, liegt darin nicht nur der Triumph, sondern auch die Tragik dieses Schauspielers, der in Frankreich, seiner Heimat, so gut wie unbekannt und in Deutschland auf ewig Winnetou ist. Als "goldenen Käfig" hat er diese Rolle selber einmal bezeichnet, blieben doch sämtliche Versuche, sich als Charakter- und Theaterschauspieler zu etablieren, erfolglos.

Der Horst Tappert des Indianerfilms

Pierre Brice ist der Horst Tappert des Indianerfilms, mit allen Vor- und Nachteilen, die eine solche Rollenfestlegung mit sich bringt. Er hat sich darein gefügt, hat - auch als Autor eigener Drehbuch- und Bühnenfassungen - fleißig an der Legende mitgestrickt, missionierte als "Ökologist" im Geiste der Indianer und setzte sich als Unicef-Botschafter für Frieden und Völkerverständigung ein. Selbst seine Liebe zu der Deutschen Hella Kregler, die er nach ungezählten amourösen Abenteuern 1981 zur Squaw nahm, begründete er wildwestpoetisch: "Diese junge Frau hatte einen Pfeil abgeschossen, der sein Ziel erreicht und mein Herz getroffen hat." Hugh.

Seine Autobiographie, erschienen 2004, heißt bezeichnenderweise "Winnetou und ich". Pierre Louis le Bris, wie der am 6. Februar 1929 geborene Adelsspross aus Brest mit vollem Namen heißt, hält darin gelegentlich Zwiesprache mit seinem "anderen Ich", einem mit fünf Kindern gesegneten Marineoffizier im Dienste Frankreichs. Ein solcher wäre aus dem jungen, nationalstolzen le Bris, der in Indochina gegen den Kommunismus gekämpft und beim Militär "die schönsten Jahre" seines Lebens verbracht hat, vielleicht geworden. Wenn nicht sein umwerfendes Aussehen dazwischengekommen wäre. Er fiel auf, wurde begehrt und verführt, ans Theater und in Betten empfohlen, jobbte als Chauffeur, Fotomodel, Coverboy, nahm privaten Schauspielunterricht und war akrobatischer Tänzer im "Trio Ganser". Bis er in "Harte Fäuste - heißes Blut" 1954 seine erste Filmrolle hatte: Darin durfte er Eddie Constantine die Tür aufhalten.

So silberseeblaue Augen

Erst als der Beau nach Rom zog und sein Glück in der italienischen Traumfabrik Cinecittà versuchte, klappte es mit der Filmkarriere. In nur drei Jahren spielte er in einem Dutzend Produktionen mit, die heute kaum mehr einer kennt. 1962, als Brice mit dem spanischen Film "Los Atracadores" zur Berlinale kam, wurde er schließlich von dem Produzenten Horst Wendlandt als Indianer entdeckt. Der schöne Pierre entsprach dem Bild von einem Häuptling, wie er bei Karl May im Buche stand: "Sein Gesicht war edel geschnitten, fast römisch, die Farbe ein mattes Hellbraun mit einem Bronzehauch." Dazu dieser traurig-sehnsuchtsvolle Blick aus silberseeblaugrünen Augen. Brice hatte sich anfangs darüber beklagt, dass sein Winnetou zu wenig Text hat, durfte er doch meistens nur Halbsätze in der dritten Person sprechen ("Winnetous Herz ist schwer"). Dass er gerade dadurch zum Idol wurde, statt vieler Worte eine gute Figur zu machen, mag den Schauspieler in ihm kränken. Den Indianer macht es unvergessen.

© SZ vom 6.2.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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