Philharmonisches Konzert:Kirill Petrenko in Berlin

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(Foto: Monika Rittershaus/dpa)

Der designierte Chef der Berliner Philharmoniker reißt das Publikum zu Ovationen hin mit Musik von Mozart, Adams und Tschaikowsky.

Von Wolfgang Schreiber

Ein "Schock" sei es für ihn gewesen, im Juni 2015, als er erfuhr, die Berliner Philharmoniker hätten ihn zum Chefdirigenten gekürt. Kirill Petrenkos Gefühle reichten da "von Euphorie und großer Freude bis zu Ehrfurcht und Zweifel". Das Amt tritt er erst 2019 an, bis dahin bleibt Petrenko der getreue GMD der Bayerischen Staatsoper. Und steht nun erstmals seit dem Votum am Pult seiner Zukunft.

Eine Art Schockerlebnis bot sich den Zuhörern in der Berliner Philharmonie - durch Petrenkos unerbittliche Hingabe an die Musik, seine Intensität des Musizierens, die dem Orchester, das er erst drei Mal dirigiert hat, das Äußerste an Konzentration und Klangpräsenz, dem Publikum ein euphorisierendes Mitgehen abverlangt. Petrenkos Körper- und Seelenenergie gelingt es auch in Berlin "schlagend", zwei scheinbare Gegensätze in Einklang zu zwingen: die alle Tondetails entfaltende Kontrolle und eine musikalisch geradezu explosive Hochspannung, die das Publikum schon nach Mozarts "Haffner"-Sinfonie zu Ovationen hinreißt.

In kleiner Besetzung garantieren die Berliner bei Mozart vollkommene Durchhörbarkeit des Stimmengewebes, Petrenko diktierte den Klanggruppen schönste melodische Artikulation. Messerscharf die rhythmischen und motivischen Zuspitzungen, überfallartig der Duktus im stürmischen Finalpresto. Eine Mozart-Analyse der Erregung des Herzens - aus Überdruck.

Petrenko geht auf die Ideen des Orchesters ein, dirigiert dessen composer in residence, die Gesangsszene "The Wound-Dresser" von John Adams. Walt Whitmans Gedichte über seinen quälenden Sanitätereinsatz im amerikanischen Bürgerkrieg singt Georg Nigl mit erlesenem Mitgefühl, Petrenko belässt die abgründig nach Britten klingende Orchesterpalette sanft im Hintergrund.

Erstaunlich, wie zielsicher der schmale kleine Mann, der mit leichtem Tritt aufs Podium eilt, Orchester und Musik seinem Kunstwillen unterwirft. Das wird für Tschaikowskys oft sentimentalisierte Sinfonie "Pathétique" zur Rettung. Denn Petrenko, der Feuerkopf als Medium, setzt hier alles auf die Karte totaler Identifikation mit der tragischen Wucht dieser Musik. Größer entwickelt meint man den zerrissenen Kopfsatz nie gehört zu haben, verzweifelter nicht den Todesritt des Scherzos, niederschmetternder nicht das Adagio-Verlöschen.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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