Petina Gappah:Der lange Weg nach Hause

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Petina Gappah: Aus der Dunkelheit strahlendes Licht. Roman. Aus dem Englischen von Anette Grube. S. Fischer, Frankfurt am Main 2019. 428 Seiten, 24 Euro. (Foto: N/A)

Petina Gappah erzählt die Geschichte der 70 Schwarzen, die David Livingstones Leiche retteten.

Von Hanna Engelmeier

Am Anfang von Petina Gappahs Roman "Aus der Dunkelheit strahlendes Licht" steht eine scheinbar überflüssige, weil unbeantwortbare Frage: "Was wäre gewesen, wenn wir damals gewusst hätten, was wir heute wissen?" Mit "wir" sind die 70 Personen gemeint, die ab Mai 1873 die Leiche des an Ruhr gestorbenen schottischen Forschers David Livingstone an die afrikanische Ostküste transportierten. Livingstone hatte seit Mitte des 19. Jahrhunderts Afrika bereist und eindrückliche Reiseberichte veröffentlicht, seine Missionsarbeit und Gegnerschaft zur Sklaverei machten ihn berühmt. Der Transport seiner Leiche durch Afrika dauerte 258 Tage, an ihrem Ende wurde der von seinen Organen befreite und getrocknete Leichnam Livingstones nach England verschifft, wo er unter großen Ehren begraben wurde.

Diese Ehre kam seinen Begleiterinnen und Begleitern nicht zu, genannt werden in der Regel lediglich James Chuma, der von Livingstone aus der Sklaverei befreit wurde, und Abdullah Susi. Mit ihrem Buch übt Gappah nicht nur Gerechtigkeit an jenen, die mit Chuma und Susi unterwegs waren, sondern hat auch ein Dokument ihrer seit zwanzig Jahren währenden Faszination für die letzte Reise Livingstones geliefert. Mit der Geschichte des Missionars, der unter anderem davon besessen war, die bei Herodot erwähnten Nilquellen in Afrika aufzuspüren, beschäftigte sich die in Sambia geborene Petina Gappah auch schon zu der Zeit, als sie noch als Handelsjuristin arbeitete. Das Buch enthält ihrer ausführlichen Recherche entsprechend einen richtigen kleinen Apparat, zu dem neben einem Glossar auch eine Bibliografie gehört, als Nachweis ihrer gründlichen Arbeit.

Doch nicht ihre Recherche stand zuletzt in der Diskussion, sondern eine Beratertätigkeit für den Präsidenten Simbawes, Emmerson Mnangagwa (SZ vom 10. 9. 2019). Dessen Zeit als Sicherheitsminister unter Robert Mugabe, in die auch Massaker an Oppositionellen fielen, macht ihn zu einem Arbeitgeber, zu dem Fragen an Gappah entstehen, die sie bislang für viele unzufriedenstellend beantwortet hat. Unzufriedenstellend wohl auch deshalb, weil der Wunsch besteht, Weltliteratur lesen zu können, die zwar von der Welt handelt, deren Autorinnen und Autoren aber offenbar nicht in die Ungereimtheiten, Ambiguitäten und Unverständlichkeiten eben dieser Welt verstrickt sein sollen.

Petinah Gappah bringt diejenigen zum Sprechen, die Fragen an die letzte Expedition Livingstones stellen können, die bislang niemanden ausreichend interessiert haben: Hätten die treuen Gefährten auch dann ihre Treue bewiesen, hätten sie gewusst, dass sie lediglich als namenlose Truppe mit dem Hauptmerkmal Loyalität zu einem Weißen in die Geschichte eingehen würden? Im Prolog zum Roman spricht noch genau jenes undefinierte "Wir" über die entbehrungsreiche Reise, auf der etliche der Gefährten starben: "Doch aus dieser tiefen und beunruhigenden Dunkelheit entsprang helles Licht. Unsere Opfer verliehen dem Ruhm seines Lebens den letzten Schliff."

Die Geschichte ist lebendig, aber langatmig, zumal man weiß, wie sie ausgehen wird

Der hohe Ton dieser Einleitung wird gleich im ersten Kapitel des Romans gebrochen, in dem Livingstones Köchin Halima das Wort ergreift, deren Bericht des Todes von Livingstone und der Vorbereitung der Reise den ersten Teil des Buches ausmacht. Sie sieht sich keineswegs als bloße Erfüllerin des Schicksals von Bwana Daudi, wie Livingstone genannt wird, sondern eher als pragmatische Tonangeberin der Gruppe, in der Nickeligkeiten zwischen den weiblichen Mitgliedern, miese Laune und Konkurrenz zwischen den Männern immer wieder vorkommen. Halima ist es auch, die die anderen überreden kann, Livingstones Organe seiner Leiche zu entnehmen und in Chitambo zu begraben, anstatt andere Methoden der Konservierung zu wählen. Der Treck, der sich an die Ostküste aufmacht, besteht also aus 70 sehr eigensinnigen Schwarzen und einem weißen Dörrleichnam, dessen Redezeit sich auf Einträge aus seinen Tagebüchern und Szenen beschränkt, die in der Erinnerung der Erzählerin stattfinden.

Ihre Perspektive wird ergänzt durch diejenige Jacobs Wainwrights, einem von Livingstone zum Christentum bekehrten befreiten Sklaven, dessen sehnlichster Wunsch es ist, mit seinem toten Herrn England zu erreichen und dort endlich ein richtiger Priester werden zu können.

Seine Tagebucheinträge beginnen im Stil von Kapiteleinleitungen in Romanen des 19. Jahrhunderts mit kurzen Zusammenfassungen ("9. Oktober 1873. Siebzehnter Eintrag im Tagebuch des Jacob Wainwright, geschrieben in Baula; in dem die Expedition sich aufteilt, in tiefer Trauer versinkt und vergeblich nach einem verlorenen Gefährten sucht"). Überhaupt bedient sich Petina Gappah vor allem der Figurenrede, die häufig dazu dient, die Handlung des Buches und das Verhalten der Weißen zu ironisieren.

Die Köchin und Analphabetin Halima plappert sich unbekümmert durch ihren Teil der Geschichte, für sie ist beispielsweise ganz unerheblich, dass sich Livingstone als Schotte versteht: Er spricht wie andere Weiße Englisch, das reicht als Merkmal völlig aus. Jacob Wainwrights Anteile sind ein nicht enden wollender, von der eigenen Würde schwer ergriffener Sermon, den er von denen übernommen hat, die ihn befreit haben - der Eindruck einer Überassimilation bleibt den ganzen Roman über erhalten. Hervorzuheben ist hierbei insbesondere die Arbeit der Übersetzerin Anette Grube, die diese Differenzierungen im Deutschen erhalten und die vielen Einsprengsel aus Suaheli so eingearbeitet hat, dass ein kohärentes Sprachbild entstanden ist.

Nichts ändern kann die Übersetzung jedoch daran, dass die Geschichte, deren Ausgang ja von vornherein bekannt ist, auf 450 Seiten zwar durch den Atem der vielen sprechenden Figuren sehr lebendig ist, aber eben auch sehr langatmig wird. Die vielen Verluste, Konflikte und den Hunger, die der Treck erleidet, bleiben durch die Schilderung durch Jacob Wainwright eben immer Berichte aus zweiter Hand, die zu seinem Möchtegern-Priester Ton passen müssen.

Der Anteil Halimas hingegen ist in der ausdauernden Darstellung eines anderen, eines schwarzen Blicks wenigstens hilfreich dabei, ein Hauptanliegen Gappahs zu verstehen: Sie stellt die Beschreibung der Livingstone-Expedition vom Kopf auf die Füße. So verdienstvoll das ist, so schnell ist es durchschaut, die Lektüre des Buches dauert im Vergleich dazu erheblich viel länger.

Dass Gappah für ihren Roman geehrt wird und als Vertreterin afrikanischer Literatur das diesjährige Internationale Literaturfestival Berlins eröffnete, wurde nicht auf Grund der Qualität ihrer Literatur problematisiert, sondern allein auf Grund ihrer Biografie. Dabei wäre es allerdings nicht nur gut zu wissen, dass Gappah Beraterin von Mnangagwa war, sondern vor allem, welche Gründe sie selbst dafür angibt. Noch steht das aus. Um irgendetwas aus Antworten, die noch unbekannt sind, ableiten zu können, wäre es sicherlich notwendig, zuvor noch etwas mehr zu lesen: Zum Beispiel von Autorinnen und Autoren, die etwas über Simbawe und seine Geschichte zu sagen haben, vor allem aber von Petina Gappah selbst.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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