Peter Rühmkorf: "Paradiesvogelschiß":Und es knattern die Poengten

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Selten wird Dichtung so einladend präsentiert: Peter Rühmkorfs neuer Gedichtband "Paradiesvogelschiß" ist geschrieben für alle, verständlich für jeden.

Franziska Augstein

Sein neuer Gedichtband ist ein Buch des Zufalls. An sich hatte Peter Rühmkorf seine gesammelten Gedankensplitter und Splitterreime zu formal durchkomponierten Gedichten machen wollen.

Aber dann setzte ein Krebs sich in ihm fest, den er nicht besiegen kann und der ihn am Arbeiten hindert. Die ersten zwei Drittel des neuen Buchs bestehen also aus den Einfällen, die Rühmkorf im Lauf der vergangenen Jahre gesammelt hat.

Ein gutes Aperçu, gereimt oder nicht, ist etwas Vollkommenes. Der Dichter hatte mehr als Aperçus im Sinn gehabt, aber die Rezensentin vermisst nichts. Im Gegenteil, man kann stöbern in diesem Buch, viele Einzeiler, Zwei- und Vierzeiler animieren den Leser, sich das für ihn Passende auszusuchen.

Perfekte Aufmachung

Die Aufmachung der Seiten, die Rühmkorf bis ins Letzte überwacht hat, ist perfekt. Selten wird Dichtung so schön und einladend präsentiert.

Rühmkorf notiert, wie ihm mitunter zumut war: "Und wenn du morgens wieder mal dunkeltrunken / deinen Rattenbau erreichst, / gratuliere, ah, im Kühlschrank brennt noch Licht." Das Licht, das noch brennt, ob bei der Mutter zu Haus oder bei Väterchen Stalin im Kreml - lyrischen Funzeln dieser Art sollte Rühmkorfs Kühlschranklampe ein für alle Mal heimgeleuchtet haben.

Rühmkorf, dieser große Verteidiger des Reims, hat zeit seines Lebens den Kitsch in der Poesie bekämpft, wie andere sich gegen Diktatoren auflehnen.

Gleich neben dem Kitsch steht in Rühmkorfs Schreckenskabinett die Angeberei, zumal die von Dichtern. Denen schreibt er auf: "poeta doctus / Er war ein Dichter vom Schuh bis zum Scheitel / mit Bildung gefüllt / wie ein Staubsaugerbeutel."

Rühmkorf ist selbst ein poeta doctus, aber er ist immer peinlich darauf bedacht gewesen, das herunterzuspielen.

Der Paradiesvogel, auf den Rühmkorf sich beruft, hat auch ein paar pointierte politische Kommentare ins Buch klacksen lassen. "Ab einer bestimmten Gehaltsstufe beginnt der Klassenkampf." Und: "Klassenkampf wird von oben geführt: 'Neiddiskussion'."

Nach dem Sinn des Lebens

Die meisten Verse kreisen allerdings um die Vergänglichkeit: Sie ist eine der Hauptaktricen in "Paradiesvogelschiß". Die Frage nach dem Sinn des Lebens linst zwar um die Ecke; mit ihr legt Rühmkorf sich aber nicht an: "Der Wahrheit zuliebe immer weite Bögen / um die letzten Dinge gemacht."

Die Vergänglichkeit hingegen respektiert er: "Es hat sich ausgepsaltert, / nicht nur das Herz, das Hirn, die Seele altert." Oder: "Eigentlich ist doch alles beklagt, / was noch nennenswert wäre" - ein hinreißender bitterkomischer Satz.

Aus den Gedichten Peter Rühmkorfs spricht ein Mann, der zwar mitunter eigensüchtig sein kann und das dann auch genießt, der aber grundsätzlich das "wir" hochhält, immer "für uns, für euch" schreibt: "Nun sag doch mal jemand was / gegen die Welt, / die blüht uns doch richtig entgegen."

Seine gelegentlichen Eskapaden im Namen des "lyrischen Ich" handeln manchmal von der Liebe, meistens aber vom Tod. In jedem Fall sind sie amüsant: "Gestorben wird doch unentwegt und allenthalben, / und diese Abschiedsfeiern sind mir ein Gealber. / Hingegen einmal noch den Zug von Schwalben / verfolgen, mit mir selbst als Oberschwalber" - in diesen Versen zeigt sich auch Rühmkorfs Vorliebe für Gottfried Benn.

"Früher die ganze Flur / Dir zu Belieben, / fast eine Furche nur / ist dir geblieben." Das ist lakonisch; die Ironie, mit der Rühmkorf die Welt betrachtet, wendet er auch auf sich selbst an. In seinem gesamten Werk findet sich keine selbstmitleidige Zeile.

36 Gedichte hat Rühmkorf zu Ende schreiben können, bevor die Krankheit ihn überrumpelte. Eines heißt "Rückblickend mein eigenes Leben...". Da steht: "Von einer gewissen Gleichgültigkeitswarte aus / ließe sich vielleicht sogar noch / über diesen oder jenen Lichtblick verhandeln / (...) und du tust dich statt mit deinen Altersbeschwerden / ausnahmsweise mal / als großer Wohltäterätäter hervor."

Aufs Liebenswürdigste komisch

Der Dichter als Täterätäter: Rühmkorf ist aufs Liebenswürdigste komisch. In "Rückblickend mein eigenes Leben" stehen auch diese Verse: "Wo die Erde bereits wie ein durchgedrehter Brainburger / durch die große kapitalistische Imbißbude saust, / rasend, / rotierend, / dem Selbstverzehr entgegen ...".

Anlässlich des 100.Geburtstags des Rowohlt-Verlags wollte Rühmkorf viele neue, lange Gedichte geschrieben haben, aber er arbeitet langsam: "Man fragte mich, was kam denn so zusamm' / im letzten Jahr? / Ach, sprach ich, nur ein Lied, / so einfach wie die Hand mit einem Kamm / durchs Haar / paar hübsche Zeilen zieht." Das ist die erste Strophe aus dem Gedicht "Widmungsblatt für E.", E wie Eva Rühmkorf.

Rühmkorf war unglücklich, weil er nicht dazu kam, alle seine Gedichte zu schreiben. Da fiel ihm eine Ballade in die Hände, an die er einige Zeit lang gar nicht mehr gedacht hatte, "Die Ballade von den geschenkten Blättern".

Sie las sich auf einmal wie das Programm des Buchs, das Rühmkorf dann doch pünktlich publizieren konnte. Da scheißt ihm ein Paradiesvogel in den Garten, und der Dichter rupft das daraus keimende Gewächs ncht aus, sondern wartet ab: "Ein Stengel schoß auf, ein Blättchen daran, / das sah mich statt grün eher bleiern an."

Da wachsen die "Einfälle", mit denen er umgeht und auf die er immer gesetzt hat. Dichtung, sagt Rühmkorf, sei nicht nur Arbeit mit Wörtern, man sei auch angewiesen auf das, was einem einfällt, zufällt oder vom Paradiesvogel in den Garten geschissen wird.

Wer sich bislang scheute, Gedichte zu lesen: Vor diesem Buch braucht er nicht zurückzuschrecken. Rühmkorfs gesammelte Blätter vom Paradiesvogelbaum beweisen, dass Dichtung ein Genre ist, das alle angeht.

Der Baum in der Ballade empfiehlt sich dem Dichter und den Lesern: " ...weil auf jedem Blatt steht ein goldener Spruch / in privater Geheimschrift geschrieben. / Und wenn du sie einsäckelst Fitz für Fitz, / selbst die schrägen und scheinbar verrenkten, / und es mangelt dir eines Tages an Witz, / dann greif nur zurück auf deinen Besitz, / und es knattern wie eh die Poengten .../ Und genieß dich getrost als Beschenkten!"

PETER RÜHMKORF: Paradiesvogelschiß. Gedichte. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. 143 Seiten, 19,90 Euro.

© SZ vom 22.04.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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