Peter Handke und Serbien:"Moralische Null"

Lesezeit: 4 min

Serbiens Nationalisten triumphierten, Bosniaken und Albaner waren empört: Warum der Literaturnobelpreis für Peter Handke der serbischen Demokratie schadet und die Aussöhnung im ehemaligen Vielvölkerreich erschwert.

Gastbeitrag von Paul Lendvai

In der Debatte um den Literaturnobelpreis für Peter Handke kommt eines zu kurz: Die schwerwiegenden politischen und moralischen Folgen seiner Haltung für die Suche nach einer Verständigung im versunkenen Vielvölkerstaat. Die Wunden, die durch den moralischen Relativismus angesichts des größten Kriegsverbrechens in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg geschlagen wurden, sind nicht geheilt. Die Zuerkennung des Literaturnobelpreises an Handke hat Jubel bei den serbischen Nationalisten ausgelöst, aber Empörung und Spott bei den Bosniaken (zwei Drittel der Kriegsopfer in Bosnien waren Muslime), bei den Albanern (800 000 wurden vor der Nato-Intervention durch das mörderische Milošević-Regime aus Kosovo vertrieben) und auch bei vielen Kroaten und Slowenen.

Liberale Serben haben die Nachricht von der Ehrung Handkes mit Bestürzung und Trauer aufgenommen. So erklärte der serbische Schriftsteller und Autor Filip David, der sich von Anfang an gegen den Kriegstreiber Milošević gestellt hatte: "Handke ist eine moralische Null. Es ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, Handkes Gesamtwerk von seinen politischen Aktivitäten zu trennen. Der Nobelpreis wird die Missverständnisse in unserer Region noch einmal vertiefen und die Wunden der 1990er wieder aufreißen."

Bora ĆNM1>Cosić, einer der herausragenden Schriftsteller des Balkans, hatte bereits bei den Kontroversen im Jahre 2006 um den Heine-Preis für Handke diesen als "falschen Anwalt für Serbien" verspottet, der das ganze Grauen der Gewaltherrschaft in Serbien in den letzten Jahren amnestiere. Auch diesmal meldete er sich zu Wort gegen die "Augenwischerei, die Verfälschung historischer Tatsachen sowohl aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs wie aus der jüngsten Vergangenheit". Er glaube lieber seiner muslimischen Putzfrau und den Gräbern ihrer Familie (fast alle männlichen Mitglieder wurden 1995 bei Srebrenica zusammen mit etwa 7000 Muslimen getötet), "als jenem Liebling der Weltöffentlichkeit, der seine verdrehten Ansichten mit sich herumschleppt".

Mit seinen zahlreichen Aussagen für das Milošević-Regime und dessen ultranationalistischen Nachfolger, die er immer wieder auf niederträchtige Weise mit dem "serbischen Volk" gleichsetzte, hat Handke vor allem der Demokratie in Serbien und der Öffnung des Landes in Richtung des demokratischen Europas einen Bärendienst erwiesen.

In Politik und Bildungswesen dominieren noch immer jene Kräfte, die die ethnische Trennung vertreten

Es geht aber auch um die zerbrechliche Föderation Bosnien und Herzegowina, bestehend aus zwei Teilstaaten, mit insgesamt 3,5 Millionen Einwohnern (50 Prozent Bosniaken, 31 Prozent Serben und 15 Prozent Kroaten). Fünfundzwanzig Jahre nach dem Daytoner Friedensschluss werden Politik und Schulwesen noch immer von jenen Kräfte geprägt, die die ethnische Trennung vertreten und Geschichtsklitterung samt der Leugnung der Verbrechen betreiben.

Handkes verächtliche Bemerkungen über "die serbokroatisch sprechenden, serbisch-stämmigen Muselmanen Bosniens (die) nun ein Volk sein sollten" und die Romantisierung der serbischen Truppen als "Indianer" oder "Freiheitskämpfer oben - auf den Bergen" stützen die menschenverachtende nationalistische Propaganda vor allem im serbischen Teilstaat Republika Srpska.

Einige suchen die Spuren seiner zuerst nostalgischen und später immer aggressiver gewordenen Jugoslawien-Mythologie in Handkes "Zuhause-Gefühl" im zerfallenen Jugoslawien, in seinem "Mutterkindland" und wohl auch in den nur tiefenpsychologisch deutbaren Kindheitserlebnissen. Handke war in das titoistisch-sozialistische Jugoslawien verliebt und fühlte sich durch die slowenische Mutterlinie mit dem antifaschistischen Kampf der jugoslawischen Partisanen verbunden. "Ich bin Jugoslawe von meiner Mutter her und vom Bruder meiner Mutter, der in Maribor studiert hatte. Der Großvater hat bei der Volksabstimmung für den Anschluss an Jugoslawien votiert. Jugoslawien hat für mich etwas bedeutet", bekannte er in einem Interview.

Serbiens Nationalisten verehren Handke, allerdings nicht wegen seiner Bücher

"In Trauer und Zorn" nahm Peter Handke in einem Essay 1991 Abschied von seinem geliebten und verklärten Jugoslawien ("das wirklichste Land in Europa"). Schon damals sprach er "den sogenannten ,großserbischen Panzerkommunismus'" von jeder Schuld für die Selbstzerstörung des Vielvölkerstaates frei. Die Slowenen und Kroaten hätten sich "den Zerfall ihres Staates von außen einreden" lassen. Den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl und den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand ("diese zwei Pflaumen, diese Nichtsnutze") macht er durch ihre Anerkennung der nach Volksabstimmungen unabhängig gewordenen Nachfolgestaaten für den angeblichen Verrat an dem "alleingelassenen Serbien" verantwortlich.

Dieser bedeutende Schriftsteller wurde nicht wegen seiner letzten fünf Bücher, sondern wegen seiner haarsträubenden Handlungen und Interviews zur Ikone der serbischen Nationalisten. Handke stilisierte den Kriegstreiber Milošević zu einer "tragischen Figur", den er im Haager Gefängnis besucht und von dem er sich mit einer emotionalen Grabrede in dessen Geburtsstadt vor mehreren Zehntausend Trauergästen verabschiedet hat.

Bei einem erst Jahre später bekannt gewordenen Geheimtreffen mit dem bereits steckbrieflich gesuchten und vom Haager Kriegsverbrechertribunal später zur lebenslangen Haft verurteilten Radovan Karadžić, einem der Haupttäter bei dem Massaker von Srebrenica, tranken die Männer Pflaumenschnaps und schenkten sich gegenseitig Bücher. Die Plauderstunden begründete Handke mit seinem Wunsch, "die Geschichte zu verstehen".

Handke hat sich in Belgrad 2008 öffentlich für den ultranationalistischen Präsidentschaftskandidaten Tomislav Nikolić ausgesprochen. Nach der Wahl des zum Präsidenten gewählten Freundes, den der junge serbische Autor Marko Dinić als "Rassist, Muslim- und Menschenhasser" bezeichnet, bekam er im April 2013 die "Goldene Verdienstmedaille Serbiens". Zwei Jahre danach wurde Peter Handke Ehrenbürger Belgrads.

Die serbische Autorin Biljana Srbljanović, die ihm wegen des Auftritts bei Miloševićs Begräbnis Ahnungslosigkeit über die wahren Verhältnisse in Serbien vorwarf, beschimpfte Handke als "Westhure". Mit zynischem Hochmut zieht er noch heute Vergleiche zwischen seinen Begegnungen mit dem großen sozialdemokratischen Staatsmann Bruno Kreisky und den freundlichen Treffen mit den beiden finsteren Figuren.

Zur unverhohlenen Freude der rechtsradikalen serbischen Nationalisten sanktioniert der Nobelpreis den enormen Schaden, den Peter Handke in der Verarbeitung der Geschichte angerichtet hat.

Der Autor, geboren 1929 in Budapest, ist ein Kenner Südosteuropas. Zuletzt veröffentlichte er "Die verspielte Welt. Begegnungen und Erinnerungen" (Ecowin Verlag, 2019). Er lebt in Wien.

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: