Performance:Erlösung beim Shoppen

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Die Konsum-Werte-Madonna zeigt: Der Weg vom Konsum- zum Kultobjekt ist kürzer als gedacht. (Foto: Abo Schmid)

Wie man mit Hilfe von Supermarkt-Produkten doch noch eine höhere, geistige Ebene erreicht, das zeigt Stephanie Senge in ihrer Performance "Konsum-Werte-Madonna" auf dem Wiener Platz

Von Jürgen Moises

Dass Menschen als Konsumenten durchs Museum wandeln und in der Kunst vor allem teure Handelsware sehen, das ist im Grunde ja nichts Neues. Wie wäre es aber, wenn man den Spieß einfach mal umdreht und durch einen Supermarkt wie durch ein Museum geht? Wenn man sich dort auf Farben und Formen der Verpackungen konzentriert oder Wörter und Texte wie "Aktivwaschkraft" oder "jetzt 10 % mehr Inhalt" als Kunst wahrnimmt? Stephanie Senge macht genau das seit etwa 20 Jahren. Sie streift mit dem Blick eines Kunstsammlers durch die Gänge von Supermärkten in der ganzen Welt. Wenn sie ästhetischen Gefallen an einem Konsumartikel findet, nimmt sie ihn mit, und er wird Bestandteil ihrer Sammlung.

Senge macht das aber nicht nur zum Selbstzweck, sondern um "eine neue geistige Konsumkultur" herbeizuführen. Es geht ihr um eine "Erweiterung des Konsumbegriffs" und eine "wahre Erlösung beim Shoppen", um nur ein paar der zehn Parolen aus ihrem "konsumidealistischen" Manifest zu nennen. Um das zu erreichen, werden die Produkte von ihr nicht nur gesammelt, sondern sie werden von der in München geborenen, aktuell in Berlin lebenden Künstlerin in einen anderen Zustand überführt. Übermalt, überschrieben, in abstrakte Gemälde oder Skulpturen umgearbeitet, die Senge dann unter dem Siegel "Konsumkonstruktivismus" oder "Konsumnaturalismus" ausstellt.

Teilweise geht Stephanie Senge, die bei Olaf Metzel an der Münchner Kunstakademie studiert hat, mit ihren Konsumartikeln auch auf die Straße. Und genau das wird an diesem Freitag in München auf dem Wiener Platz passieren. "Konsum-Werte-Madonna" nennt die Künstlerin ihre Aktion, die von 12 Uhr an mit der Ausstellung von drei Skulpturen beginnt. Darauf folgt um 14 Uhr eine Performance mit Musik-Mantra, bei der Senge die Skulpturen mit ausgewählten Konsumwaren bestückt. Um 17.40 Uhr startet dann eine öffentliche Prozession und die drei Konsum-Werte-Madonnen werden zum Hofbräukeller überführt. Dort hält um 18 Uhr der Kunsttheoretiker Wolfgang Ulrich einen abschließenden Vortrag. Sein Thema: "Werte, überall Werte. Was sie uns bringen und warum sie nicht ungefährlich sind."

Ihre "Konsum-Werte-Madonna"-Prozession hat Senge vor ein paar Wochen schon einmal in München durchgeführt und in den vergangenen Jahren ganz ähnliche Aktionen. So wurden zum Beispiel vor zehn Jahren die "lustvolle", die "beschwingte" und die "wütende Konsumentin", der "gierige", der "bewusste" und der "starke Konsument" durch München getragen. Vor drei Jahren hat Senge ein "Konsum-Dank-Fest" in Braunschweig organisiert. Alles mit der Absicht, mehr Bewusstsein für den eigenen Konsum zu schaffen. Ihn aber nicht zu verdammen, sondern auf eine höhere, geistige Ebene zu führen. Ihn als Ideologie anzuerkennen, aber diese nicht als vorgefertigt zu akzeptieren, sondern sie konstruktiv in eine eigene Utopie oder Glaubenslehre zu verwandeln.

So ähnlich sieht das jedenfalls Wolfgang Ulrich, mit dem Senge schon seit Längerem kollaboriert. Es gehe darum, dass die Konsumenten "eine reifere, klarere und damit auch stärkere Haltung gegenüber dem Konsum entwickeln", so hat es Ulrich im vor zwei Jahren erschienenen Katalogbuch "Konsumidealismus" formuliert. Deshalb funktioniert Senge ihre Konsumwaren zu Kunst- oder besser Kultobjekten um und geht mit ihnen auf die Straße. Die "utopischen" Einflüsse dafür holt sich die Künstlerin beim Konstruktivismus und Katholizismus, bei De Stijl und Ikebana. Vor allem die Konstruktivisten Friedrich Vordemberge-Gildewart und Kasimir Malewitsch haben es ihr angetan. Ihr konsumidealistisches Manifest hat Senge sehr frei nach Malewitsch entwickelt.

Auch an Nam June Paiks "TV-Buddha" fühlt man sich bei Senges "Konsum-Werte-Madonna" erinnert. Hatte der berühmte Video- und Fluxus-Künstler doch mit seiner Verbindung von Buddha und TV-Gerät gezeigt, welch wichtige oder geradezu heilige Rolle das Fernsehen in westlichen Gesellschaften einnimmt. Beim Konsum ist das nicht anders, und man kann sich durchaus mal fragen, warum. Weil wir uns nicht nur "mehr Geschmack" oder eine "verbesserte Waschkraft" erhoffen, sondern vielleicht etwas ganz anderes in den Konsumdingen sehen? Bei der Prozession am Freitag soll es jedenfalls um Werte wie "Freiheit, Liebe, Kraft und Solidarität" gehen, dafür wird laut Programm mit den Konsumwaren geworben. Dazu gibt es Musik auf Violine, Cello und indischem Harmonium. Und jetzt, lieber Konsument, der entscheidende Clou: Das alles gibt es gratis!

Konsum-Werte-Madonna, Freitag, 6. Oktober, von 12 Uhr an, Wiener Platz

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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