Performance:25 Liter Blut

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An diesem Samstag: Hermann Nitsch in der Villa Stuck. Eine Würdigung

Von Jakob DeChirico

Es gibt Künstler, welche aus dem Körper Wirklichkeit gemacht haben, die einzige, an der man nicht zweifeln kann. Sie haben weiter noch den Leib zum Werk, zur Installation, zur rituellen Aktion, zum Theater erhoben. Es gibt Künstler, die bewiesen haben, dass die Physis nie Konsumobjekt sein kann, sondern die einzige Lebensquelle, die zum Erleben da ist. Unter diesen ist Hermann Nitsch, ein 1938 in Wien geborener Österreicher - der am meisten Umstrittene.

Nitsch hat sich zum Universalkünstler mit internationalem Ruhm entwickelt. Seine geistesverwirrenden Aktionen wurden zum Skandal: Mit nackten Händen extrahierte er Innereien, Kot und Blut gehäuteter Tiere. Die in die Handlungen seines Orgien Mysterien Theaters (OMT) verwickelten Personen konnten darüber entsetzt sein. Sie konnten sich aber auch - trotz möglicher innerer Widerstände - von dieser Wucht gefangen fühlen und veranlasst, mit ihm in diese dunkle Welt hinabzusteigen. Um dann in sich selbst, wie auch in den eigenen Trieben, den Ursprung einer jeden Lust und eines jeden Schmerzes zu entdecken.

Bis vor kurzem befand sich Hermann Nitsch noch auf einer Reise nach Neapel. Dort hat ihm die Morra-Stiftung im September 2008 das Museum-Archiv-Labor für die zeitgenössische Kunst gewidmet, welches seither seinen Namen trägt. Das Museum befindet sich in der Altstadt. Dort fand unlängst die Geburtstagsfeier von dessen Gründer Peppe Morra statt. Am 7. Mai nun, um 18 Uhr, gibt es ein andere Zelebration. Dann wird Hermann Nitsch in München, im Garten des Museums Villa Stuck die 147. Aktion seines OMT aufführen. Nitsch kommt damit nach München retour, und es handelt sich um eine große Rückkehr. Sie geschieht genau 46 Jahre nach seiner 7. Aktion, die hier im Februar 1970 aufgeführt worden ist, und 20 Jahre nach einer Retrospektive, die ihm damals das Lenbachhaus gewidmet hat.

Die 147. Aktion wird im Rahmen einer großen multimedialen Ausstellung aufgeführt, die am 8. Mai mit einer Finissage endet. In ihrer Organisation und Ausstellungsstätte ist sie einzigartig. Deren Titel ist: "Existenzfest. Hermann Nitsch und das Theater." Nie zuvor wurde sein Werk in dieser zweifachen - dramatischen und performativen - Form präsentiert, welche die Synästhesie und die Sinnespraxis verherrlicht. Beides sind Festpunkte in der Kunst des Gründers des Wiener Aktionismus. Kurator dieses Nitsch-Mikrokosmos ist Hubert Klocker.

Nitsch hat bereits sehr detailgenau erklärt, was er in München vor hat: "In der Stuck Villa steht die Stiertrage, um diese herum wird es eine ,Beschüttungsaktion' geben. Geplant sind 25 Liter Blut, 3 männliche passive Akteure, 1 weibliche passive Akteurin. Es werden genutzt: 3 Tragbahren, 1 Kreuztragbahre, 1 Steckkreuz und 1 normales Kreuz. Die Darsteller werden an diesen in den unterschiedlichsten Positionen beschüttet. Es wird nackte wie auch mit Malhemden bekleidete passive Mimen geben. Dies alles wird sich um die Stiertrage herum abspielen, die Akteure werden durch die Zuschauer getragen."

Nitsch hat sich mit unentwegtem Einsatz seinem Programm des "Gesamtkunstwerkes" gewidmet, das er 1973 auf den Namen "Orgien Mysterien Theater" taufte. Diese anormale Handlungsstruktur, die auf den Hügeln Niederösterreichs rund um das Schloss in Prinzendorf geboren wurde, hatte eine internationale Breitenwirkung, wie sie nur wenige andere Künstler für sich reklamieren konnten. Prinzendorf ist umgeben von Weinbergen, Kornfeldern, Wäldern und einem dichten Netz an Wegen, die zu Weinkellern führen. Nitsch hat ein dramatisches, komplexes Gesamtkunstwerk geschaffen - das genaue Gegenteil der traditionellen Museumskunst.

Er, der mit vollen Händen Innereien und Blut für seine Kunst verwendet, wird nur von jenen fälschlich als anstößiger Gewaltverherrlicher betrachtet, die ihn nicht kennen. Denn Nitsch hebt die Gewalt nur hervor, um sie zu beschwören. Achille Bonito Oliva, ein italienischer Kunstkritiker, bezeichnete ihn einmal als modernen Caravaggio, der imstande gewesen sei, die Sprache der Kunst radikal zu erneuern.

In der Villa Stuck wird Nitsch nun wieder einmal beweisen, was sein Gesamtkunstwerk wirklich ist: ein reales Ereignis, bei dem besonders auch der Klang der Aktion wichtig ist, der als musikalisches und akustisches Kommunikationsmittel entsteht. Dabei ist ihm "das dionysische Übermaß" an Laut notwendig - und überdies muss auch noch Krach sein. Und auch in München wird es wieder gelten: Der Zuschauer ist das Subjekt jeder Aktion bei Nitsch. Jeder Anwesende wird durch sie in eine Art globale Atmosphäre hineingezogen. Jeder, der dabei bleibt, fühlt sich in den finstersten und versteckten Bereichen seines Seins berührt, die gewöhnlich in der menschlichen Gesellschaft unterdrückt werden.

Nitsch dringt in mein, dein, unser Unterbewusstsein ein. Er stößt diesen Prozess mit Bilden von blutenden und gekreuzigten Tieren nur an. Und wenn er die Farbe Rot verwendet, zielt er damit zudem auf das innerste Problem der Malerei. Das Ergebnis seiner Aktionen ist stets die Erzeugung einer solchen klärenden und reinigenden Reaktion. Der erste Schritt des aktiven Aufstieges zur Selbsterkenntnis. Und kann man ihn auch diesmal in München sein.

Den Autor diees Textes, Jakob de Chirico (1943) verbindet mit Nitsch seit 1970 eine Künstlerfreundschaft. Sie kennen sich seit Nitschs Aktion auf dem Münchner Jakobsplatz. Der Meraner de Chirico hat in München an der Akademie der Bildenden Künste bei Günter Fruhtrunk studiert.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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