Papst und Papsttum:Dieses feine Lächeln

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... und eine die entschiedene Variation in Auftreten und Charisma: Der neue Papst hat seine Grenzen. Wie sich Benedikt XVI. in die Geschichte der Kirche einreiht.

GUSTAV SEIBT

Die Wahl Joseph Ratzingers kam nach einer innerkirchlichen Logik nicht überraschend.

Na denn ... (Foto: Archiv-Foto vom 22.09.2003: dpa)

Es war eine Entscheidung für theologische Kontinuität und für den persönlichen Kontrast. Beides zusammen - die Fortzeichnung der Linie in der Botschaft und die entschiedene Variation in Auftreten und Charisma - gibt der Entscheidung etwas fast Zwingendes.

Nach der späten Leidenszeit des Vorgängers besteigt ein Mann des kurialen Apparats, ein Gelehrter und Intellektueller den heiligen Stuhl, aber zugleich einer, der dem vorangehenden Pontifikat aufs engste verbunden ist.

Natürlich ist die Entscheidung für Ratzinger radikal: Er gilt nicht als Mann des Ausgleichs, er ist keine populäre Erscheinung.

Gelehrsamkeit und Intellektualität wirken nicht nur auf viele Gläubige eher abschreckend. Bei Ratzinger kommt ein nicht beiläufiger physiognomischer Zug hinzu: der durch seine schleppende, hohe Stimme bei aller Freundlichkeit erzeugte Eindruck von Ironie.

Das ist keine leichte Hypothek, denn Kälte, Brillanz und eben Ironie zählten immer zu den schwersten Vorwürfen von Kirchenfeinden gegen einzelne Päpste.

Es sind unjesuanische Eigenschaften, in denen sich eine Verbindung von geistiger Überlegenheit und irdischer Macht ausdrückt, die für viele geradezu unchristlich wirkt.

Vielleicht hat der neue Papst ein klares Bewusstsein von seinem Handicap und hat deshalb den naheliegenden Namen Leo XIV. vermieden.

Denn nur die Namen Benedikt und Leo standen ihm ernsthaft zur Auswahl, wenn er ein kirchenhistorisches Signal geben wollte.

Der Name seines Vorgängers verbot sich von selbst, ebenso wie dessen Bestandteile Johannes und Paul.

Verbraucht ist vorerst "Pius", niemand würde heute an umstrittene Amtsträger wie Pius IX., X. oder gar XII. anknüpfen wollen.

Machtvolle Geschichtsnamen wie Gregor oder Innozenz könnten nur abschreckend wirken, halb lächerlich, halb hoffärtig. So blieben in der neueren Papstgeschichte nur Leo und Benedikt, wenn man nicht eine Revolution versuchen wollte - die Ratzinger aber ganz fern liegt.

Leo XIII. (1878-1903) war ein konservativer Gelehrter, der einige der entscheidenden Schritte der Kirche in die moderne Welt einleitete, mit denen er vor allem Teile der Arbeiterschaft für die Kirche zurückgewann, nachdem diese an die Kommunisten und Sozialdemokraten verloren gegangen war.

Ähnliches müsste heute, so sagen viele Kirchenbeobachter, für die Frauen geleistet werden. Ein "Rerum Novarum" für sie, für ihre Rechte und ihre Stellung in der Kirche scheint für die hochindustrialisierten Gesellschaften überfällig.

Mit der Wahl des Leo-Namens hätte Ratzinger sich für eine Analogie in Typus und Aufgabenstellung entschieden, die etwas allzu Bezügliches, und also Ironisches gehabt hätte.

Und eben diese Ironie verbot sich, nicht zuletzt weil Leo XIII. auch als Mensch immer wieder den Vorwurf kalter Brillanz und fast höhnischer Überlegenheit auf sich zog.

Ratzinger ist als Wissenschaftler Mediävist, Erforscher des Mittelalters; Mediävist war auch Leo XIII. Die Bezüge sind zu dicht. Also blieb der Benedikts-Name, und er hat mit dem Grundfaktum dieser Papstwahl zu tun: Der neue Papst ist ein Deutscher. Was diese Tatsache in sich beschließt, davon muss ein Mann von der Bildung Ratzingers ein klares Bewusstsein haben.

Der enge mittelalterliche Zusammenhang des Papsttums mit dem Deutschen Römischen Reich ging durch die Reformation verloren.

Seit dem 16. Jahrhundert hat es nur noch italienische Päpste gegeben, die als Landesherren auch Teil des Mächtesystems Italiens waren.

Vor allem aber war der Papststuhl umstritten zwischen den beiden katholischen Vormächten Frankreich und Österreich/Spanien.

Das letzte Veto eines österreichischen Kaisers gegen eine Papstwahl wurde 1903 gesprochen. 1905 trennte sich Frankreich durch seine Laisierung endgültig von der Kirche. Erst 1929 verzichtete das Papsttum auf den mittelitalienischen Kirchenstaat.

Erst in dieser Epoche wurde das moderne Papsttum also wieder zu einer überparteilichen Macht. Und der erste Papst, der diese Rolle mit vollem Bewusstsein unter schwersten Umständen ausfüllte, war Benedikt XV. (1914-1922).

Seine berühmteste Verkündigung gipfelte in zwei Worten: "strage inutile" - nutzloses Schlachten. Diese Kennzeichnung des Ersten Weltkriegs empörte damals die Kombattanten auf beiden Seiten, zuvörderst aber die Mittelmächte Deutschland und Österreich.

So galt Benedikt XV. zunächst als deutschfeindlicher Papst. Später aber verurteilte er den Versailler Vertrag als Keim zu neuem Hass.

Kardinal Ratzinger griff im vergangenen Jahr in einem Gedenkgottesdienst in Caen zur Invasion der Alliierten von 1944 den amerikanischen Unilateralismus an.

Das Völkerrecht könne nur von mehreren Mächten getragen sein, weil sich sonst die Interessen einer Hegemonialmacht vordrängten. Ratzinger ließ durchblicken, dass die Mindestanforderung an einen gerechten Krieg sei, dass eine Mehrzahl von Staaten über ihn entscheide. "Krieg ist immer eine Niederlage des Menschen", so lautete im Irak-Krieg der leidenschaftliche moralische Appell von Johannes Paul II. Ratzinger beantwortete dieselbe Weltlage mit einer Theorie des Völkerrechts, von Überparteilichkeit aus Machtbalance.

Er trägt nicht den Namen von Aposteln, sondern den eines prinzipienstarken Kirchendiplomaten. Das ist seine erste Botschaft.

Man darf sie so lesen - ohne sie damit auszuschöpfen - weil der neue Papst als Intellektueller vor allem durch seinen Blick auf das Ganze der Geschichte brilliert. Gegenstände seiner Forschungen als Wissenschaftler waren der heilige Augustinus und der heilige Bonaventura.

Von Augustinus stammt die Unterscheidung der beiden Staaten, des Gottesstaates und des irdischen Staates als Scheidung von Weltgeschichte und Heilsgeschehen - entworfen beim Untergang des Römischen Reichs im fünften Jahrhundert. Bonaventura entwickelte im 13. Jahrhundert eine Theorie der Geschichte, die das historisch Wirkliche in seiner Zeitlichkeit als Realisierung der überzeitlichen Wahrheit verstand.

Auch hier geht es also um eine Balance von Irdisch und Göttlich, von Zeitlich und Ewig. Als Theologe ist Ratzinger seinem Ruf als Konservativer zum Trotz ein Mann solcher Balancen. Dass das römische Papsttum seine geschichtliche Stellung nur erringen konnte, weil der römische Kaiser nicht mehr in Rom residierte, ist ihm ein wichtiger Gedanke: Die politische Trennung von Staat und Kirche schafft dem Glauben erst seinen Raum.

Allerdings entmenschlicht sich die Politik, wenn sie sich völlig vom Glauben löst. Dieser bleibt das Fundament. Die Theorie der Balancen, an der Ratzinger seit Jahren arbeitet, findet ihr Ziel im Ausgleich von Glauben und Vernunft.

Was man als Letztes von ihm gehört hat, war sein Angriff auf den modernen Relativismus als Ausdruck einer Vernunft, die sich ihre Ausgangspunkte beliebig wählt und dann ihren Lauf rücksichtslos nimmt. Aber ebenso kritisch sieht Ratzinger einen religiösen Fundamentalismus, der die Wahrheiten des Glaubens so konkret festlegt, dass er sich zur ihrer gewaltsamen Durchsetzung legitimiert sieht.

Das Gegenüber, das hier fehlt, kann Vernunft heißen, es meint aber vor allem: Erfahrung, etwas Wirkliches. Dieses Wirkliche erscheint aber immer nur als Teil, als partikulare Wahrheit, und darum ist die Vernunft so irrtumsanfällig. Und darum braucht die Menschheit die Kirche, denn sie ist als Gefäß der Tradition auch die Hüterin einer Wahrheit, die über die Erfahrungen einzelner hinausgeht. In der Kirche verwirklicht sich die Balance von Vernunft und Glauben, von Erfahrung und Wahrheit gewissermaßen selbsttätig. Die Kirche bedeutet also auch die Grenze päpstlicher Macht.

"Der Papst selbst kann auch nicht sagen, die Kirche bin ich, oder die Überlieferung bin ich", erklärte Ratzinger im Jahre 2000, und er hat damit auch Pius IX., den Initiator des Dogmas von der päpstlichen Unfehlbarkeit in einem wichtigen Punkt berichtigt.

Weil der Papst aber nicht die Kirche ist, kann auch keine Generation von Gläubigen den Anspruch "Wir sind Kirche" erheben.

Die Kirche ist nicht nur die Grenze des Papstamtes, sondern auch die Grenze möglicher Mehrheiten des Kirchenvolkes. "Der Papst ist nicht das Organ, durch das man eine andere Kirche herbeirufen kann, sondern der Schutzwall gegen Eigenmächtigkeit."

Die Auffassung Benedikts XVI. von seinem Amt ist also unmissverständlich. Hinter seinem feinen Lächeln steckt jene Balance von Unterwerfung und Autorität, die den Kern des Katholischen ausmacht.

Die Spielräume bleiben begrenzt. Dass er nicht vorhabe, ein Eiferer zu sein, hat der neue Papst durch seine ersten Gesten mitgeteilt. Die zweifelnde Frage an ihn bleibt, wieviel heutige, für uns erfahrbare Wirklichkeit in der ewigen Wahrheit der Kirche aufscheint. Das neue Kapitel der Kirchengeschichte, das am Dienstag aufgeschlagen wurde, wird nicht weniger interessant als das zu End gegangene.

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