Paparazzi aus Zufall:Hey Jude!

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Er sah aus wie ein müder Zwölfjähriger mit Dreitagebart, und seine Assistentin rührte ihm den Kaffee um: Auf einer Zugfahrt von Manchester nach London traf unser Autor zufällig den Schauspieler Jude Law.

Alexander Menden

Neulich war ich in Manchester, beruflich. Ich reiste per Bahn. Zurück nach London fuhr ich Erster Klasse, ein Umstand, den ich der ebenso merkwürdigen wie erfreulichen Preisgestaltung des Streckenbetreibers zu verdanken hatte, der kleine Kontingente teuerster Fahrkarten billig an Kunden verkauft, die zum richtigen Zeitpunkt zugreifen.

Das hatte sich anscheinend auch bis zu Jude Law herumgesprochen, einem Schauspieler, den man ohne Übertreibung als Hollywood-Star bezeichnen darf. Möglicherweise hatte er aber auch den vollen Fahrpreis entrichtet. Wie auch immer: Ich fand mich im Großraumwagen auf einem Sitz schräg gegenüber von Herrn Law wieder, ich diesseits des Ganges an einem Vierertisch, er jenseits an einem Zweier.

Er hatte am Abend zuvor dieselbe Veranstaltung besucht wie ich. Anschließend hatte er vermutlich längere Zeit auf der Premierenfeier verbracht. Jedenfalls wirkte Jude Law müde. Er sah aus wie ein müder Zwölfjähriger mit Dreitagebart. Ihm vis-à-vis saß eine Frau in einem geblümten Kleid, die so geschäftig wirkte, wie das im Sitzen überhaupt nur möglich ist. Seine persönliche Assistentin, wie ich vermutete. Als Lebensgefährtin schied sie aus, dafür hatte sie - ich sage das ohne Häme - entschieden zu kräftige Beine.

Während Jude Law schwerlidrigen Blickes den Independent studierte, bestellte die geblümte Frau stilles Wasser, rührte ihm den Kaffee um - was sie mit einem neckischen "Jetzt rühre ich dir auch noch den Kaffee um!" begleitete - und versuchte vergeblich, "bessere" Sitzplätze zu finden. Irgendwann schlief Jude Law ein. Ich unterhielt mich derweil angeregt mit einem jovialen Baustoff-Händler, der mir gegenüber saß und die Vorteile des Vertriebs von Wandpaneelen übers Internet pries. Nachdem er in Milton Keynes ausgestiegen war, drückte ich mangels anderer Ablenkung gedankenverloren auf meinem Mobiltelefon herum und sah mir Familienfotos an.

Neugeboren als Paparazzo

Plötzlich fuchtelt am Rande meines Blickfeldes eine Hand herum. Die dazugehörige geblümte Frau wirkt alarmiert: "Ich hoffe, Sie tun nicht das, wovon ich glaube, dass Sie es tun!" ruft sie. "Nein!" sage ich verdattert, ohne recht zu wissen, wessen sie mich verdächtigt. "Ich habe Ihr Telefon klicken hören!", sagt die Frau. Oh Gott, sie denkt, ich mache heimlich Fotos vom schlafenden Jude Law! "Ich sehe mir Fotos meiner Kinder an", sage ich wahrheitsgemäß und bemerke verärgert, wie meine Ohren rot anlaufen, was die geblümte Frau zweifellos als Lügenindiz wertet.

Jude Law öffnet kurz ein Auge, um mir einen abschätzigen Blick zuzuwerfen. "Moment mal, das habe ich absolut nicht nötig, ich habe ständig mit Stars zu tun, beruflich", sage ich nicht. Stattdessen halte ich der Frau mein Telefon hin: "Hier bitte, sehen Sie selbst." Sie studiert die Bildchen, scheint beruhigt und sagt: "Ich will ihn nur beschützen."

Jude Law wacht auf.

Der Rest der Fahrt verlief in eisigem Schweigen meinerseits und angeregtem Geplauder jenseits des Ganges. Pünktlich in Euston Station angekommen, verschwand Jude Law samt Assistentin im Gedränge. Auf der Heimfahrt, die wegen eines Bombenalarms annähernd so lange dauerte wie die Tour von Manchester nach London, versuchte ich, mit meinem neuen Status als Paparazzo klarzukommen.

Richtig anfreunden kann ich mich damit bis heute nicht. Ich würde dieses Missverständnis gerne ein für allemal klären. Vielleicht begegne ich Jude Law demnächst ja mal wieder. Beruflich.

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