Oscar-Prognosen:Jedem sein eigener Eastwood

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Die nächste Oscar-Verleihung ist erst im März 2007? Egal, wir zeigen Ihnen schon jetzt die Favoriten für den Award. Darunter Filme, die bisher kaum jemand gesehen hat.

Susan Vahabzadeh

Mit den Oscars ist es wie mit dem Weihnachtsgebäck: Die Saison dafür wird jedes Jahr ein bisschen länger. Mit seinem Film und dessen Qualität allein kann keiner mehr gewinnen, es geht auch darum, sich rechtzeitig zu positionieren, die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences mit viel Lärm gefügig zu machen, die Konkurrenz aus dem Feld zu werben.

Am 5. März 2007 wird die 79. Verleihung stattfinden - und in den vergangenen Tagen wurden Stimmen lauter, die einem ewigen Oscar-Verlierer Hoffnung machten, es könnte endlich sein größter Tag werden - Martin Scorsese, sein neuer Film "The Departed", der in ein paar Tagen das neue Filmfestival in Rom eröffnen wird, ist am Freitag in den USA in die Kinos gekommen, unter euphorischer medialer Anteilnahme.

Ob Scorsese endlich einen Oscar bekommt?

Was auch passiert in den nächsten fünf Monaten, Scorsese wird das beste Startwochenende seiner Karriere zum Trost bleiben, die Mafia-Story "The Departed", mit Leonardo DiCaprio und Jack Nicholson, ist mit 27 Millionen Dollar Einspielergebnis auf Platz eins der Charts gelandet. Der Traum vom Oscar könnte für Scorsese nur einen Herbst lang dauern - aber vielleicht bekommt Nicholson ja seinen vierten dafür.

Scorsese und die Oscars, das ist eine lange, traurige Geschichte. Es würde seine siebte Nominierung als Regisseur werden in einem Vierteljahrhundert - irgendwas kam bislang immer dazwischen. Zum ersten Mal war er 1981 für "Raging Bull" nominiert. Doch die Academy hatte sich just diese Verleihung ausgesucht, um endlich einen anderen ihrer ewig übergangenen Helden zu ehren - Scorsese zog den Kürzeren gegen den als Schauspieler nie so recht gewürdigten Regiedebütanten Robert Redford mit "Ordinary People".

Und so ging es weiter. Bei "Gangs of New York", 2002, hatte der Produzent Harvey Weinstein die Werbetrommel allzu heftig gerührt und die Academy verärgert. Vor zwei Jahren galt "Aviator" als sicherer Tip - bis im Dezember, ein paar Tage vor Fristablauf, aus dem Nichts Clint Eastwoods "Million Dollar Baby" auftauchte und die Mitglieder der Academy, die die Oscars vergibt, im Sturm eroberte.

Was beweist, dass durch das Werben und Sich-in-Positur-Werfen das Spiel um die Oscars zwar teurer und anstrengender geworden ist, aber nicht unbedingt berechenbarer.

Immer häufiger werden Filme, deren Macher sich eine Oscarnominierung erhoffen, Ende des Jahres gestartet, auch wenn sie längst fertig sind - damit sie noch frisch in Erinnerung sind während der Abstimmungsphase nach Weihnachten.

Auch bei den diesjährigen Frühprognosen geht es oft um Filme, über die man noch wenig weiß, außer dass sich ihre Schöpfer selbst ins Gespräch bringen. Steven Soderberghs "The Good German" beispielsweise kommt erst am 8.Dezember, mit ein paar Kopien, ins Kino, und man weiß bislang vornehmlich drei Dinge: Es geht um Spionage im Nachkriegsberlin, die Hauptrollen spielen Cate Blanchett und George Clooney, und Letzterer hat angekündigt, seine Partnerin sei eine heiße Oscar-Favoritin.

Aber statt Soderbergh, der mit "Traffic" schon einmal gewonnen hat, könnte es wieder der Doppelsieger Eastwood sein, der Scorsese gefährlich wird. Die beiden haben ungefähr denselben Rhythmus bei der Arbeit, auch diesmal ist Eastwood kurz nach Scorsese fertig, sein Weltkriegsepos "Flags of Our Fathers" kommt Ende des Monats ins Kino, fristgerecht geliefert für die Oscars 2007. Und die ersten Ferndiagnosen attestieren ihm unbesehen gute Chancen.

Startrampe Venedig

Ansonsten werden bei den Oscars sicherlich jene Filme wieder auftauchen, die bei den großen Festivals zu sehen waren. Dass so viele vermeintliche Oscar-Anwärter erst Ende des Jahres gestartet werden, bedeutet allerdings, dass sie für Berlin im Februar und Cannes im Mai kaum noch in Frage kommen - die große Oscar-Pre-Show ist die Mostra in Venedig.

Im vorigen Jahr waren die beiden großen Venedig-Ereignisse, Ang Lees "Brokeback Mountain" und George Clooneys "Good Night, and Good Luck", auch die Anführer der Oscarnominierungslisten. Emilio Estevez' diesjähriger Wettbewerbsbeitrag "Bobby" über den letzten Tag im Ambassador Hotel vor der Ermordung von Robert Kennedy wird sicherlich unter den Nominierungen auftauchen, und Helen Mirren als Elizabeth II. in Stephen Frears' "The Queen" über die Woche nach dem Tod von Prinzessin Diana ist in Venedig schon mit einer Coppa Volpi geehrt worden.

Sie gehört bestimmt zu den Favoriten - sie war schon zweimal nominiert, für "The Madness of King George" und "Gosford Park", ging aber leer aus. Ihr männlicher Gegenpart in Venedig war eine Überraschung - Ben Affleck wurde als bester Darsteller ausgezeichnet, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich sein italienischer Ruhm in der Academy durchsetzt, ist eher gering.

Auch zwei Mexikaner machten auf den Festivals von sich reden, mit englischsprachigen Arbeiten: Alejandro Gonzáles Iñárritu mit "Babel" in Cannes und Alfonso Cuarón in Venedig mit dem apokalyptischen "Children of Men", in dem Clive Owen die letzte werdende Mutter der Menschheit zu retten versucht - ein großartiger Film, allerdings eine britische Produktion.

Iñárritu hat Hollywood im Rücken, er kann immerhin mit Brad Pitt aufwarten und mit der "Good German"-Kandidatin Cate Blanchett. Dass "Babel", eine kompliziert verwobene Geschichte über einen vermeintlichen Terroranschlag und eine Ehekrise bei näherer Betrachtung reichlich dünn ist - das wird die Academy-Mitglieder wahrscheinlich kaum stören.

In der Kategorie für den besten ausländischen Film waren beide Regisseure bereits nominiert, Cuarón für "Und deine Mutter auch" und Iñárritu für "Amores Perros". Die Academy hat gerade die Vorschriften geändert, die eingereichten Filme müssen nicht mehr in der Landessprache gedreht sein, es darf auch jede andere sein - nur eben nicht Englisch. Woraufhin man in Kanada gleich beschloss, Deepa Mehtas auf Hindi gedrehtes Frauendrama "Water" einzureichen.

Deutschland bewirbt sich mit Florian Henckel von Donnersmarcks Stasi-Film "Das Leben der Anderen" um eine Nominierung. Die Franzosen wollen es mit "Fauteuils d'orchestre" von Danièle Thompson versuchen, einer Komödie über Künstlerneurosen in Paris - nicht unbedingt Donnersmarcks härtester Konkurrent.

Da ist die italienische Konkurrenz gefährlicher, das Imigrationsdrama "Nuovomundo" von Emmanuele Crialese, auch ein Venedig-Beitrag. Aber auch die Kategorie für den besten ausländischen Film hat ihren eigenen Eastwood, den gefürchteten Großmeister, an dem kaum einer vorbeikommt: Pedro Almodóvar, dessen "Volver" Spanien eingereicht hat. Und wo Almodóvar dabei ist, ist er auch Favorit.

© SZ vom 10.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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