Oscar-Preisträger Forest Whitaker:Eine Monsterrolle

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Herz der Finsternis: Forest Whitaker erspielte sich als grausamer ugandischer Diktator Idi Amin in "Der letzte König von Schottland" einen Oscar. Jetzt kommt der Film nach Deutschland.

Tobias Kniebe

Versetzen Sie sich für einen Moment in den Kopf von Forest Whitaker - schwarzer Charakterdarsteller, Kinoschwergewicht, Schauspielbesessener. Sie sind also: Idi Amin. Der Massenmörder, der Diktator, das Monster. Das wissen die Zuschauer, aber der Film hat gerade erst angefangen. Sehen dürfen sie es nicht. Oder doch, Unsinn: Sie müssen es sogar sehen, sonst würden Sie als Darsteller in dieser Szene lügen.

Forest Whitaker stellt im Berliner Ritz Carlton seinen neuen Film vor. (Foto: Foto: ddp)

Was Sie wollen, ist dies - dass das Monster sichtbar und trotzdem unsichtbar ist. Also grinsen Sie erst mal breit, ein Honigkuchengrinsen, das echte Freude zeigt, ganz aus dem Bauch heraus. Dann ein gutturales, tiefes Lachen. Ebenfalls nicht falsch. Übertriebenes Armrudern und Augenrollen. Botschaft: Dies ist eine Performance. Auch Idi Amin ist, zuallerst, ein Schauspieler.

Gerade will er einen jungen Schotten überzeugen, sein Leibarzt zu werden. Aber der will nicht. Schmeichelei und Kumpanei haben nichts genutzt. Ebensowenig wie die Aussicht auf Macht: Verantwortung tragen, das Gesundheitssystem des Landes mit aufbauen. Jetzt lassen Sie, für einen Augenblick, plötzlich die Maske fallen. Ein Riesenbaby kommt zum Vorschein, mit einem existentiellen Hass auf das Wörtchen Nein.

Ein großer Spieler

Sie blicken Ihrem Gegenüber starr in die Augen, während Sie gleichzeitig den Kopf hin- und herbewegen. Ein suchender, wandernder Blick. Das Schlange-Kaninchen-Ding. Sekunden der Überlegung. Den Wurm zerquetschen? Auf seine Schwäche bauen? Noch ein Witz? Beim nächsten Lachen scheint alles wieder verflogen, eine Sinnestäuschung. Und als das "Cut" des Regisseurs kommt, und die Szene im Kasten ist, dieses Gefühl: Wenn das mal kein Oscar wird . . .

Schon wahr, hinterher kann man leicht reden, Forest Whitaker hat den Oscar ja tatsächlich bekommen, und seine Darstellung des Idi Amin in "Der letzte König von Schottland" ist nun offiziell in das Pantheon der großen Schauspielleistungen aufgenommen.

Dennoch meint man dem Film dieses Bewusstsein immer schon anzusehen: Dass hier alle vereint darauf hinarbeiten, eine überlebensgroße Figur zu erschaffen, die den ganzen Sauerstoff um sich herum allein verbraucht; dass hier ein historischer Politiker mit eindrucksvollem Aussehen, drolligem Namen und mindestens 300 000 toten Landsleuten auf dem Gewissen benutzt wird, um mal wieder das dunkle, aber heftig pulsierende Herz Afrikas zu beschwören, die gefährliche Magie des schwarzen Mannes und natürlich die Faszination des Bösen an sich.

Das alles natürlich streng aus weißer, westlicher Perspektive, denn wo kämen wir hin, wenn die Afrikaner auch noch anfangen würden, sich selbst zu betrachten. Doch obwohl das alles präsent und in jeder Sekunde spürbar ist, genießt man diese Sekunden doch sehr - mit dem Hauch eines schlechten Gewissens. Ganz wie Forest Whitaker, während er noch spielt, auch schon in der Könnerschaft des eigenen Spiels zu schwelgen scheint.

Arzt ohne Grenzen

Denn Idi Amin, der ruchlose Menschenkenner, behält natürlich recht. Dr. Nicholas Garrigan, der frischgebackene Arzt, der seiner schottischen Kleinbürger-Herkunft entkommen will, der im Uganda des Jahres 1971 ein wenig auf humanitäre Hilfe macht, vor allem aber Sex und Abenteuer sucht und dem frischgebackenen Diktator nach einem Wasserbüffel-Unfall schon mal die Hand am Straßenrand verbunden hat, dieser Mann braucht am Ende keine Drohung und kein Ultimatum, um das gefährliche Angebot anzunehmen.

Es reicht, ihn auf einen farbenfrohen Staatsempfang einzuladen, ihm den Luxus des Präsidentenpalasts und das Reichenviertel der Hauptstadt Kampala zu zeigen, um ihn all seine humanitären Ambitionen vergessen zu machen. Natürlich wird er zum Leibarzt des Präsidenten. Natürlich nimmt er das silberne Mercedes-Cabrio an, das eines Tages vor seiner Tür steht, genau wie den Ehrentitel "Mein engster Berater" und all die anderen Schmeicheleien, mit denen Idi Amin seine Freunde umgarnt. Was er mit seinen Feinden macht, und wie ansatzlos man vom einen zum anderen werden kann, das ahnt er wohl - aber er ist auch ein Meister der Verdrängung.

Der junge schottische Schauspieler James McAvoy, der Garrigan spielt, hat keine wirklich dankbare Aufgabe. Aus seinen blauen Augen muss lange, viel zu lange, Erstaunen und Naivität herausleuchten - und die Gewissheit der Jugend, dass freche Selbstüberschätzung schon irgendwie belohnt werden wird.

Seine halblangen Haare hängen ihm fünf Jahre lang vor den Augen wie ein Brett vor dem Kopf. Gemeinsam mit seinem Gönner überlebt er einen Attentatsversuch, das schweißt zusammen, dann greift der Wahnsinn seiner Umgebung langsam auch auf ihn über: Obwohl niemand die wachsende Paranoia Amins übersehen kann, macht Garrigan dunkle Andeutungen über die Loyalität eines Ministers - und wundert sich dann sehr, dass der Mann wenig später für immer verschwunden ist.

Die Trunkenheit der Macht

Beginnende Panik und den halbherzig misslungenen Versuch einer Kündigung bekämpft er mit Scotch am Swimmingpool, nur um dann, in den Armen einer missachteten Nebenfrau des Diktators (Kerry Washington), einen noch viel gefährlicheren Fehler zu begehen. Das alles kann nur in Hass, Folter und Todesangst enden und tut es auch - ausgerechnet in jenem historischen Moment, in dem eine Airbus-Maschine mit entführten Israelis auf dem nahegelegenen Flughafen von Entebbe landet . . .

Verschiedene Dinge helfen dabei, diesem lächerlichen Helden doch fast bis zum Schluss zu folgen: Da ist einmal das reale Uganda, brillant fotografiert von Kamera-Maverick Anthony Dod Mantle und fast dogmamäßig inszeniert von Regisseur Kevin Macdonald, der vom Dokumentarfilm kommt. Es ist erstmals Schauplatz eines westlichen Spielfilms und entfaltet beträchtliche Zauberkräfte - von der Landschaft über die Frauen bis hin zur Architektur, die in einer Art afrikanischer Sixties-Utopie wie von der Zeit vergessen erscheint.

Dann versteht sich niemand so gut auf das quasi Shakespearesche Königsdrama wie die Briten - insbesondere der Koautor Peter Morgan, der gerade auch das triumphale Buch von Stephen Frears' "The Queen" geschrieben hat: Man wird einfach süchtig nach dieser Psychologie von Macht und Verführung, man bleibt dabei, schon weil man sehen will, was Idi Amin als nächstes wieder aushecken wird.

Was man dem Film vorhalten kann, ist allenfalls dies: Dass er all seine Schätze bedingungslos dieser großen bête noire zu Füßen wirft, die sicher hundertmal interessanter ist als ihr reales Vorbild, dass diese Figur gewissermaßen Jago und Othello in einer Person sein darf - und damit für seinen Gegenspieler oder auch nur Beobachter fast nichts mehr zu tun bleibt. Was man aber am Ende - wenn wir uns noch einmal kurz in den Kopf des Oscargewinners Forest Whitaker versetzen - auch einfach als schönes Geschenk begreifen kann.

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