"Legacy", Vermächtnis, lautete das Schlagwort der Londoner Olympischen Spiele von 2012. Die nachhaltigsten Spiele aller Zeiten sollten es werden, ein urbanes Regenerationsprojekt - grün, ressourcenschonend, der Beginn einer sehr viel umfassenderen stadtplanerischen Entwicklung. Betrachtet man heute den Queen Elizabeth Olympic Park in Stratford, die rund 300 Hektar zwischen den Stadtbezirken Newham, Waltham Forest, Tower Hamlets und Hackney, ist der Eindruck gemischt. Wer von hier aus nach Hamburg schaut, wo die Stadtbevölkerung gerade Nein zur Olympia-Bewerbung gesagt hat, versteht die abgekühlte Begeisterung bei vielen, wenn es darum geht, dass die eigene Stadt solch ein Großereignis bei sich abhält. Die Versprechen werden so gut wie nie eingehalten.
Zunächst ist aber festzuhalten, dass vieles richtig gemacht wurde: Der Park funktioniert als öffentliche Grünfläche. Das von Zaha Hadid entworfene olympische Aquatic Centre ist ein öffentliches Schwimmbad; auch das Velodrom und die "Copper Box", in der 2012 die Handballwettbewerbe stattfanden, werden von örtlichen Sportvereinen genutzt. Das olympische Dorf wurde in mehr als 2800 Wohnungen umgewandelt. Davon stehen die Hälfte zu horrenden Marktpreisen zum Verkauf, ein Viertel ist als "bezahlbar" für Menschen mittleren Einkommens eingestuft, ein Viertel sind Sozialwohnungen.
Hunderte von Millionen fließen nun in die hochkulturelle Infrastruktur von Olympicopolis
Die übrigen Wohnungsbauprojekte entstanden, im Gegensatz zu dem noch unter Labour-Bürgermeister Ken Livingstone erstellten Nutzungsplan für das Olympische Dorf, unter der Ägide von Boris Johnson. Insgesamt soll es fünf neue Siedlungen geben. Die erste davon, Cobham Manor, bietet 850 neue Wohnungen, von denen nur 29 Prozent als "bezahlbar" oder als Sozialwohnungen eingestuft sind. Das wird sich bei den übrigen Siedlungen kaum verbessern, zumal die Regierung öffentliche Investitionen in Sozialbauprojekte stark gekürzt hat. Die Frage ist, auf wessen Kosten die Regeneration Ostlondons gehen wird.
Als ähnlich zweifelhafter Segen könnte sich die Anreicherung des Olympiaparks durch große Kulturprojekte erweisen. Hier kommt Boris Johnsons Vision für London zu voller Entfaltung, gestützt von der Regierung in Westminster, ohne deren Finanzierungsgarantien nichts ginge. Wenn alles nach Plan läuft, werden sich demnächst rund um Kanish Kapoors umstrittene olympische Stahlskulptur Außenstellen des Victoria & Albert-Museums, des Tanztheaters Sadler's Wells und der amerikanischen Smithsonian Institution sowie zwei Universitäts-Campusse ansiedeln. Rund 200 Millionen Euro öffentlichen Geldes hat Johnsons Parteifreund, Schatzkanzler George Osborne, garantiert. Dazu sollen noch einmal 256 Millionen Euro aus Privaten Quellen kommen. Es ist genau die Art von spektakulärer Public-Private-Partnership, die Johnson liebt. Nachdem gerade der Bau an einem seiner Lieblingsprojekte, der Gartenbrücke über die Themse, trotz einer Finanzierungslücke von mehr als 40 Millionen Euro begann, kann der Londoner Bürgermeister sich nun dem sogenannten "Olympicopolis"-Plan zuwenden.
Der Cluster aus Museen und Hochschulen werde nicht nur ein "Magnet für einheimische und internationale Besucher" sein, so Johnson, sondern vor allem der "Kommune zu Gute kommen, indem langfristig neue Arbeitsplätze sowie neue kulturelle Angebote und Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen werden". Die Dependance des V&A soll hier Teile der Sammlung zeigen, die im Stammhaus in South Kensington aus Platzgründen nicht zu sehen sind; zudem ist eine Galerie geplant, die digitalem Design gewidmet ist. Sadler's Wells hat ein Theater für Zeitgenössischen Tanz mit 600 Plätzen in Aussicht gestellt. Für das Smithsonian Institute wäre es die erste britische Niederlassung. Die Gesamtkosten für das neue Kulturviertel, das 2022 fertiggestellt sein soll, werden auf 1,2 Milliarden Euro geschätzt. 3000 neue Jobs und anderthalb Millionen zusätzlicher Besucher soll es generieren.
Für die sich zunehmend im East End ansiedelnde Mittelschichtklientel klingen die Aussichten tatsächlich brillant. Welche Verdienstmöglichkeiten werden die transplantierten Kulturinstitutionen aber den verbliebenen alteingesessenen Bewohnern aus der unteren Mittel- und Arbeiterschicht von Stratford bieten? Welche für die hier traditionell lebenden Einwanderer aus Afrika, der Karibik, Pakistan und Bangladesch? Wenn man sich vor dem gigantischen Westfield-Shoppingcenter umsieht, dem Einfallstor zum Olympiapark, ist wenig von der "Legacy" zu sehen. Gleich gegenüber in der alten Markthalle werden noch immer billige Handtaschen, Modeschmuck und Plastikschuhe verkauft - hier findet man die Locals, die schon vor den Olympischen Spielen hier wohnten. Sie merken nichts von der Regeneration.
Während Hunderte von Millionen in die hochkulturelle Infrastruktur von Olympicopolis gepumpt werden, zwingt die Regierung die Stadtteilverwaltungen von Newham, Tower Hamlets und Hackney zu drastischen Kürzungen bei alltäglichen Dienstleistungen, von der Müllentsorgung bis zu sozialen Diensten. Driften die Entwicklungen inner- und außerhalb des Olympiaparks weiter so auseinander, wird das geplante Kulturviertel eine künstliche Kunstinsel bleiben.