Österreichische Lyrik:Beil im Nacken

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Nach seinem großen Wien-Roman "Der Kalte" ist Robert Schindel wieder zur Lyrik zurückgekehrt. Sein neuer Gedichtband "Scharlachnatter" feiert in barocker Fülle die Sprache - auch die Wortmonster.

Von Helmut Schödel

Es ist Salome, die bei Oscar Wilde, Jochanaans Kopf betrachtend, sagt: " Deine Zunge, sie spricht kein Wort, Jochanaan, diese Scharlachnatter, die ihren Geifer gegen mich spie . . . Wie kommt es, dass die rote Natter sich nicht mehr rührt?" Die ungiftige Scharlachnatter lebt nicht nur im Südosten der USA, sondern symbolbeladen auch in der Literatur und gibt nun Robert Schindels neuem Gedichtband, mit dem sich der österreichische Autor nach seinem großen Wien-Roman "Der Kalte" wieder der Lyrik zugewandt hat, den Titel.

In "Scharlachnatter" präsentiert Schindel ein Deutsch in barocker Fülle, Wort für Wort, in Wortmonstern auch, eine Sprache, die sich in Neubildungen erweitert statt verkürzt, bis sie sich bisweilen in einer Art Selbstgespräch vom Leser entfernt. Dort, wo das Titeltier auftaucht, stürzt ein "Wir" wie ein Chor auf den Leser zu: " . . .wir mit der Scharlachnatter im Maul wollen dir den Kopf abhauen und die Natter dir zwischen die Lippen stecken, um hernach deine Botschaften nachzureden Jochanaan." Man kann das Positive, das Ungiftige der Natternzunge auch negativ als Folgenlosigkeit ihrer Reden verstehen, als Leere der Prophezeiungen. Auch davon redet der Text.

Schindel will die Sprache verdichten, was sie gelegentlich hermetisch werden lässt. Es geht ihm hier nicht mehr so sehr um das Leiden an Österreichs Vergangenheit, um die Prägung seiner Biografie durch den Nationalsozialismus, sondern um Krankheit, um Alter, um Liebe, auch wenn man manche beiläufige Formulierungen auch politisch lesen könnte: "Rechts ist der Henkel längst herausgewachsen, in den sich immer wer einhängt." Was bleibt sind so "Sächelchen" wie "Brot und Wein, Apfel und Ei, Tod und Teufel, Mir nichts dir nichts." Es sind Wörter wie "Erschossenheit", vor denen man aufschreckt oder Sätze wie: "Mit dem Beil im Nacken nähert sich der Abend."

Es geht um die Sprache, in der die Geschichten sich verrätseln

Aber es sind keineswegs nur Gedichte, die die Finsternis der Existenz ausloten, es gibt auch ein Rondo über "Herzschatten", an dessen Ende es heißt: "Da sitzt sie . . . Ich lächel sie an und bin freundlich und bitter und sag ihr lass uns hoffnungslos sein. Sie steht auf um den Tisch und lässt sich darauf ein." Eine kleine Romanze, in der sich Bitterkeit und Lebenslust zusammenfinden. Nicht an der Wahrheit vorbeileben und eine Sprache finden, die ihr Ausdruck verleiht, die sich in sich selbst verbohrt, bis dahin, wo das Schweigen beginnt.

"Scharlachnatter" ist ein kleines, sehr beachtenswertes Buch, das mehr über die Sprache erzählt als über die Geschichten, die sich in ihr verrätseln. Worthaufen, unter denen sich unsere Verhältnisse bemerkbar machen, als hätte die Schöpfung mit dem Satz begegnen: Am Anfang war das Wort.

Robert Schindel: Scharlachnatter. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 100 Seiten, 20,95 Euro. E-Book 17,99 Euro.

© SZ vom 22.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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